Zum Hauptinhalt springen

Anti-EU-Rhetorik wird leiser

Von Anja Stegmaier

Politik

Gegen Ende des Wahlkampfs in Italien bemühen sich alle Parteien um einen EU-freundlichen Anstrich.


Wien/Rom. Italiener sind Instabilität gewohnt, sie fürchten sie nicht. Das Land lebt die stabile Instabilität - "Convergenze parallele" nannte das seinerzeit der italienische Premier Aldo Moro. Ein Widerspruch in sich. Zwei Parallelen, die sich kreuzen - das geht zumindest in der Politik. "In Italien geht alles zusammen", sagt der Triestiner Meinungsforscher Roberto Weber mit einem abgeklärten Lächeln und Achselzucken vor Journalisten bei einer Veranstaltung des Forum Journalismus und Medien in Wien. Erst Anti-EU, dann Brüssel-Liebe, Linke koalieren mit Rechtsaußen und Abgeordnete wechseln die Lager in jedwede Richtung, um Mehrheiten im Parlament zu schaffen. 350 Personen, fast ein Drittel der Mitglieder von Abgeordnetenhaus und Senat, wechselten allein in der letzten Legislaturperiode. Verdorben und korrupt nennen es die einen, pragmatisch und vernünftig die anderen.

Ebenso wissen die Italiener auch, dass vor Wahlen allgemein, und so auch jetzt vor dem 4. März, viel geredet wird. Da voraussichtlich keine Partei oder Bündnis eine Mehrheit erreichen wird, kann so das Blaue vom Himmel versprochen werden - schließlich lässt sich die Verantwortung des Nichteinhaltens der Zusagen nach den Wahlen auf den Koalitionspartner schieben. Oder die EU, die nicht zulässt, dass sich das Land weiter verschuldet. Dementsprechend erwarten sich die Wähler gar nicht mehr, dass Politiker liefern.

Silvio Berlusconi ist der Altmeister der unrealistischen Versprechen. Bereits in den 1990ern präsentierte er sich als neue Hoffnung gegen die politische Elite. Heute wie damals verspricht er unter anderem die utopische Schaffung von zwei Millionen Jobs. Der 81-jährige Ex-Regierungschef, der wegen einer Vorstrafe gar nicht selbst für sein Mitte-rechts-Bündnis, bestehend aus seiner Partei Forza Italia, der Rechtsaußen-Bewegung Lega Nord sowie der nationalistischen Vereinigung Fratelli d’Italia, als Ministerpräsident antreten darf, führt aktuell die Umfragen mit 37,5 Prozent an. Er verkündete am Dienstag, dass er nach Ende seines Amtsverbotes 2019 als Premier zur Verfügung stehe.

Das Bündnis des wegen Steuerhinterziehung vorbestraften Berlusconi, dem gekaufte Gerichtsurteile, Mafiaverbindungen und Sex-Parties mit Minderjährigen nachgesagt werden, hat das Vertrauen vieler - vor allem älterer - Italiener gewonnen.

Mal anti EU, mal pro EU

Auf Platz zwei der Umfragewerte kommt mit etwas mehr als 26 Prozent die Movimento 5 Stelle (M5S), eine populistische und euroskeptische Protestbewegung, die überwiegend Wähler bis 45 Jahre anspricht. Der Gründer Beppe Grillo sprach sich seinerzeit für ein Referendum zum Ausstieg Italiens aus dem Euroraum aus. Der 69-jährige Komiker zog sich aber kürzlich zurück und im Wahlprogramm der vom 31-jährigen Luigi Di Maio angeführten Bewegung ist vom Referendum kein Wort mehr zu lesen. Di Maio bekräftigte, dass dieser Schritt lediglich ein "letztes Mittel" sei, falls Italien keine Änderungen an den EU-Haushaltsregeln durchsetzen könne. "Ich glaube, es ist nicht mehr der richtige Moment für Italien, den Euro zu verlassen", sagte er dem staatlichen TV-Sender RAI. In einem "Le Monde"-Interview vor zwei Wochen gab er sogar an, eine "pro-europäische" Partei zu vertreten.

Obwohl auch einer von Berlusconis Bündnispartnern, die Lega Nord (aktuell bei knapp 15 Prozent), für einen Austritt Italiens aus der EU eintritt, gilt auch hier: In Italien wird viel geredet, vor allem vor einer Wahl. Verfällt einer im Lager in Anti-Euro- oder Anti-EU-Rhetorik, wird dieser von Berlusconi zurechtgewiesen. Der Medienmogul ist darum bemüht, die Kanten zu schleifen. Sein Wunschkandidat für den Premierminister ist der Präsident des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani. Berlusconi sagt nun, dass Italiens Wirtschaft den Austritt aus dem Euro nicht verkraften würde. Bei seinem letzten Abtritt als Premier 2011, zum Höhepunkt der Eurokrise, hetzte er noch, dass diese von Deutschland gegen ihn gerichtet sei.

Das gesamte politische Spektrum Italiens hat sich immer wieder mit Brüssel angelegt. So auch Matteo Renzi, der Ex-Premier und Politiker des eigentlich EU-freundlichen "Partito Democratico", der aktuell mit seinem Mitte-links-Bündnis 25,7 Prozent in den Umfragen erzielt.

Auch der 43-Jährige schlug schon EU-kritische Töne an. Einige Wochen vor seinem Rücktritt Ende 2016 ließ er via Facebook-Livechat die EU-Fahne öffentlichkeitswirksam von seinem Büro entfernen. Im Jänner, zwei Monate vor den Wahlen, organisierte Renzi in Mailand hingegen eine Pro-Europa-Veranstaltung, bei der er für "Vereinigte Staaten von Europa" eintrat und seine Rivalen aufforderte, diesbezüglich Position zu beziehen.

Bevölkerung will mehr EU

Woher der Sinneswandel? Zum einen gibt es nach Jahren der Flaute wieder wirtschaftlichen Aufwind in der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone. 2017 wuchs die Wirtschaft mit 1,4 Prozent so stark wie seit 2010 nicht mehr. Dennoch hinkt Italien den anderen Partnern im Währungsraum konjunkturell hinterher. Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit bleibt mit mehr als 30 Prozent weiter hoch im Land.

Auch wenn die öffentliche Meinung bezüglich der EU stark abgekühlt ist, wollen viele nicht den endgültigen Schritt. Hielten 80 Prozent der Italiener zu Beginn der 1990er Jahre die EU-Mitgliedschaft für eine gute Sache, hat sich dieser Wert bis heute mehr als halbiert und liegt 21 Prozentpunkte unter dem EU-Durchschnitt.

Gleichzeitig spricht sich eine Mehrheit der Bevölkerung für eine gemeinsame EU-Politik aus. Eine aktuelle Studie des Jacques Delors Instituts besagt, dass 61 Prozent der befragten Italiener finden, dass mehr Kompetenzen an Brüssel abgegeben werden.

Vor allem Fragen und Probleme der Migration bestimmen nicht nur den politischen Diskurs, sondern bewegen auch viele Italiener - dabei dominiert insbesondere bei Flüchtlingsfragen das Gefühl, dass Italien von Europa im Stich gelassen wird.

Über die Anti-EU-Rhetorik im italienischen Wahlkampf müssen sich die EU-Partner also keine Sorgen machen. Langfristig werden vielmehr die Staatsverschuldung und die mangelnden Reformen (Themen, die keine Partei angreift) Anlass zur Sorge geben.