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"Kein Premier könnte dem je zustimmen"

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Die "irische Frage" bedroht nun Londons Brexit-Vertrag mit der EU - und die Position von Premierministerin May.


London. Politischen Aufruhr und zornige Drohungen aller Art hat der am Mittwoch veröffentlichte EU-Entwurf zum Vertrag über das Ende der britischen Mitgliedschaft in der Union entfesselt. Vor allem "die irische Frage" bedroht nun unmittelbar den Vertragsschluss zwischen London und der EU - und die Position von Premierministerin Theresa May.

Nordirlands Unionisten haben May mit dem Sturz der Regierung gedroht, falls sie sich auf die EU-Pläne einlässt. Unionisten und Tory-Brexiteers werfen der Europäischen Union vor, Nordirland "annektieren" zu wollen.

May selbst hat erklärt, sie werde keinerlei Dokument unterschreiben, das "die verfassungsmäßige Integrität des Vereinigten Königreich" in Frage stelle. "Kein britischer Premierminister könnte dem je zustimmen", sagte sie kategorisch.

Auch dass der Europäische Gerichtshof in Großbritannien post-Brexit weiter ein Sagen haben soll, hält London für inakzeptabel. Das Hauptproblem für May ist aber Nordirland. Die Premierministerin lehnt den Verbleib des Vereinigten Königreichs in Zollunion und Binnenmarkt der EU rundweg ab. Sie hat sich im vorigen Dezember jedoch dazu verpflichtet, die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland offen zu halten.

Auf dieses Versprechen beruft sich nun, an der Seite Dublins, die EU. Sollte London nicht noch eine andere überzeugende Lösung finden, müsste nach Vorstellungen Brüssels Nordirland Teil der EU-Zollunion bleiben und zentralen Binnenmarkts-Regeln folgen.

Der EU-Vertragsentwurf sieht in diesem Fall ein einheitliches, gesamtirisches Zollgebiet im Rahmen der EU-Zollunion vor - und bei Bedarf Zollkontrollen zwischen der irischen Insel einerseits und Großbritannien andererseits, also den Teilen des Königreichs östlich der Irischen See.

Dass es dazu nicht kommt, hat May freilich Nordirlands Partei der Demokratischen Unionisten (DUP) zugesichert, von deren zehn Westminister-Abgeordneten May seit ihrem Wahldebakel im vorigen Sommer an der Macht gehalten wird. Und für die DUP ist der Brüsseler Vertragsentwurf ein rotes Tuch.

"Wir werden Zollunion für immer verlassen"

Es sei vollkommen undenkbar, hat die Unionisten-Partei erklärt, dass Brexit zum "Auseinanderbrechen" der Union Großbritanniens mit Nordirland führen werde. Eine konservative Regierung werde "etwas derart Lachhaftes" niemals wagen.

Einzelne DUP-Abgeordnete liessen keinen Zweifel daran, dass ihre Partei der Regierung May sofort die Unterstützung entziehen würde, falls sie auf entsprechende EU-Vorstellungen eingehe. Der führende DUP-Politiker Sir Jeffrey Donaldson sagte: "Wenn die EU oder Dublin glauben, dass die Regierung des Vereinigten Königreichs eine Grenze längs durch die Irische See gutheißt, dann irren sie sich ganz gewaltig."

May selbst betonte bei der Fragestunde der Premierministerin am Mittwoch im Unterhaus, dass sie den EU-Gesetzentwurf "vollkommen" ablehne. Zugleich wiederholte sie ihre Ankündigung, ihr Land werde die europäische Zollunion für immer verlassen.

Auch im Namen von Außenminister Boris Johnson versicherte sie erneut, dass London keinerlei "harte Grenze" zwischen Irland und Nordirland zulassen werde. Noch am Abend zuvor war eine vertrauliche Notiz Johnsons an May bekannt geworden, die die Möglichkeit einer solchen "harten Grenze" erstmals erwog.

In der Notiz hieß es, es sei "nicht Aufgabe der Regierung" in London, für offene Grenzen zwischen Irland und Nordirland zu sorgen, sondern nur zu verhüten, "dass die Grenze sich erheblich verhärtet". Noch im Vorjahr hatte Johnson versichert, es werde "absolut keine Änderung" bei der irischen Grenze geben. Labours Schatten-Außenministerin Emily Thornberry warf ihm vor, die Nation in Sachen Irland im großen Stil "zu täuschen".

Ebenfalls diese Woche hatte Johnson die innerirische Grenze bereits mit den Grenzen der Mautzone in London verglichen, die von Kameras überwacht werden. Brexiteers wie Johnson glauben, dass sich eine akzeptable technologische Lösung finden lässt, die einen "nahezu reibungslosen Grenzverkehr" ermöglicht.

Konservative Pro-Europäer und alle Oppositionsparteien Westminsters verlangen, dass das Vereinigte Königreich als Ganzes der EU durch eine Zollunion verbunden bleibt - und sich das Nordirland-Problem so in Luft auflöst.

Ex-Premier Major: Regierung für Bevölkerung verantwortlich

Aufsehen erregte gestern auch der frühere konservative Premierministerin John Major mit einer Rede, in der er die "unrealistische Brexit-Politik" der Regierung scharf kritisierte und eine letztgültige Parlamentsabstimmung ohne Fraktionszwang, gegebenenfalls auch zu einem neuen EU-Referendum, verlangte. Die britische Regierung, sagte Major, habe schließlich nicht nur irgendeinen undefinierten "Volkswillen" zu berücksichten, sondern sei vor allem verantwortlich "für das Wohlergehen der Bevölkerung".

Er habe, sagte der Ex-Premier, "noch nie erlebt, dass eine Regierung eine Politik durchsetzt, durch die unser Land und die Menschen hier ärmer werden". Niemand habe den Leuten deutlich gemacht, welche wirtschaftlichen Konsequenzen der Brexit haben werde. An Weltgeltung habe Großbritannien schon jetzt verloren. "Viele Wähler wissen, dass sie irregeführt wurden, und andere beginnen das zu begreifen", sagte Major. Sie haben "das Recht, sich ihre Entscheidung noch einmal neu zu überlegen".