Zum Hauptinhalt springen

Mokum hat genug

Von WZ-Korrespondent Tobias Müller

Politik
Antisemitische Vorfälle in den Niederlanden nehmen zu.
© Schlijper/Hollandse Hoogte/laif

Fast alle Amsterdamer Parteien unterzeichnen vor den Lokalwahlen am 21. März ein Abkommen gegen Antisemitismus. Ein später Schritt - und doch eine Premiere.


Amsterdam. Das koschere Restaurant HaCarmel dürfte derzeit das bekannteste der Niederlande sein. Keine andere gastronomische Einrichtung ist häufiger in den Nachrichten. Was nichts mit den schmackhaften Hummus- Spezialitäten und dem reichhaltigen vegetarischen Angebot zu tun hat. Eher damit, dass Sami Bar-on, der israelische Eigentümer, in diesem Winter ein regelmäßiger Kunde von Glasereien wurde.

Im Dezember schlug ihm ein syrischer Palästinenser die Scheiben ein - aus "Verzweiflung" über Israels Politik. Kurz nach Neujahr, als Bar-on nach dem Schabbat in sein Lokal kam, fand er die Fenster mit Mayonnaise und Eiern beschmiert. Anfang März schließlich mussten die gerade eingesetzten, extra-stabilen Scheiben schon wieder erneuert werden: Jemand hatte nachts probiert, sie mit einem schweren Gegenstand einzuwerfen.

Während die Polizei einen anti- jüdischen Hintergrund der Tat noch nicht bestätigen wollte, reagierte die Politik: Wenige Tage nach dem jüngsten Angriff auf das Restaurant unterzeichneten die lokalen Abteilungen von zwölf Parteien ein "Amsterdamer Jüdisches Abkommen". Ziele: Antisemitismus und Gewalt gegen Juden bekämpfen sowie ein stärkerer Einsatz für die Sicherheit der jüdischen Gemeinschaft und ihrer Infrastruktur.

Teil der Abmachung ist auch, dass in sämtlichen Bildungseinrichtungen der Stadt Judenfeindlichkeit bekämpft wird. Auf allen weiterführenden Schulen ist der Besuch einer Gedenkstätte obligatorisch, die über die Geschichte der Amsterdamer Juden berichtet. Zudem bekommen Schulen und Lehrer Unterstützung, die beim Unterricht über die Shoah auf "Hindernisse" treffen. Auch wer neu in die niederländische Hauptstadt zieht, wird in Zukunft über deren jüdische Geschichte informiert.

Antisemitische Vorfälle sind keine Einzelfälle

Ein Schritt mit Pionier-Charakter: "Es ist das erste Mal in den Niederlanden und in Europa, dass Parteien, die sich zur Wahl stellen, zuvor ein Abkommen über Dinge unterzeichnen, die für die jüdische Gemeinschaft von vitaler Bedeutung sind", kommentiert der Dachverband jüdischer Gemeinden NIK (Nederlands Israëlitisch Kerkgemeenschap).

Am 21. März finden in den Niederlanden Kommunalwahlen statt. Das Bekenntnis der Unterzeichner bezieht sich darum ausdrücklich auf die kommende städtische Legislaturperiode bis 2022.

Die nahenden Wahlen sind aber nicht der einzige Grund, warum die Politik schnell handelte. Vielmehr sind die Angriffe auf das koschere Restaurant die Zuspitzung einer Tendenz, die Juden in Amsterdam und anderen niederländischen Städten seit langem besorgt.

Am Wohnhaus von Oberrabbiner Binyomin Jacobs etwa wurden in den letzten Jahren wiederholt die Fenster eingeschmissen. In der Neujahrsnacht passierte das gleiche bei der orthodoxen Chabad-Vereinigung im Zentrum der Hauptstadt.

Von Einzelfällen kann dabei längst keine Rede mehr sein: Das Israel-Informations- und Dokumentationszentrum (CIDI) in Den Haag registrierte 2017 insgesamt 113 antisemitische Vorfälle in den Niederlanden - vier mehr als 2016. In polizeilichen Diskriminierungs-Statistiken sind Juden als Opfer überrepräsentiert.

Laut Staatsanwaltschaft sind 22 Prozent aller Diskriminierungsfälle antisemitischer Natur. Seit Jahren geht unter den rund 50.000 niederländischen Juden, von denen die meisten in Amsterdam wohnen, die Angst vor Übergriffen um. Auswanderung ist, zumal in der jungen Generation, eine ernsthafte Option.

Freilich gibt es bislang nicht die Dimension körperlicher Übergriffe wie in Frankreich. Doch Fälle von Bedrohungen oder Anspucken in der Öffentlichkeit wird seit Jahren immer wieder berichtet. Viele vermeiden es, mit Kippot oder sonstigen als jüdisch erkennbaren Accessoires auf die Straße zu gehen. Bei pro-palästinensischen Demonstrationen wurde in den letzten Jahren mehrmals "Tod den Juden" skandiert oder der antisemitische "Khaybar"-Schlachtruf angestimmt, der in Erinnerung an die Schlacht bei der gleichnamigen Oase im siebten Jahrhundert den Juden die Rückkehr der Armee Mohammeds androht.

Auffällige Abwesende bei den Unterzeichnern

Lange hat man auch in Amsterdam, ob seiner jüdischen Tradition einst "Jerusalem des Nordens" genannt, diesen Entwicklungen zugesehen. Dabei sind Alltagskultur und Umgangssprache bis heute von jiddischen Ausdrücken geprägt, so wie die stolze Selbstbezeichnung als "Mokum", die auf die hebräische Bezeichnung für "Stadt" zurückgeht. Nun aber wollen die Parteien zeigen, dass sie "als künftige politische Fraktionen" für eine Stadt stehen, die ihre 400-jährige jüdische Geschichte "wertschätzt und sich um ihre jüdischen Einwohner kümmert".

Auffällige Abwesende unter den Unterzeichnern waren die politische Bewegung Denk, die vor allem unter türkischen Niederländern erfolgreich ist, und die auf Anti-Diskriminierung ausgerichtete Partei "Bij1". Letztere gab an, man sei zwar gegen Antisemitismus, stimme aber mit der entsprechenden Definition nicht überein, die das Recht, Israel zu kritisieren einschränke.