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Ksenia gegen alle, alle gegen Ksenia

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik

An der 36-jährigen Ksenia Sobtschak, einem ehemaligen Reality-TV-Star, der liberale Positionen vertritt, scheiden sich die Geister.


Moskau. "Ich bin eine Feministin", sagt Ksenia Sobtschak. Es ist ein bitterkalter Vormittag in Moskau, es hat minus elf Grad, und Sobtschak steht in Turnschuhen und einem Wintermantel vor dem russischen Parlament. "Feminismus hat in Russland einen schlechten Ruf", sagt sie, von dutzenden Fernsehkameras umringt. "Dabei geht es doch einfach nur um Gleichberechtigung und darum, dass sich Frauen nicht mehr von ihren Männern verprügeln lassen. Ich fände es gut, wenn auch Putin ein Feminist wäre!"

Es ist ein Protest gegen den Duma-Politiker Leonid Sluzkij, dem vorgeworfen wird, Journalistinnen sexuell belästigt zu haben. Sobtschak selbst hält ein Schild in der Hand: "Wir wollen diese Abgeordneten nicht!" Ein Fall, an dem sich der ganze Sexismus der russischen Politik entlud und auf den Sobtschak am Frauentag aufmerksam machen wollte - und für ihren Wahlkampf zu nutzen wusste.

In Umfragen bei zwei Prozent, Tochter eines Putin-Mentors

Ksenia Sobtschak tritt am Sonntag bei den Präsidentschaftswahlen an. "Gegen alle", so lautet ihr Slogan. Sie ist chancenlos, Umfragen sehen sie bei zwei Prozent. Dennoch scheiden sich an ihrer Kandidatur die Geister: Ein Kreml-Projekt, das nur dazu da ist, um die Beteiligung am Wahltag anzukurbeln, dem Urnengang etwas Pepp zu verleihen und somit die Legitimität von Putins Wiederwahl zu steigern, sagen die einen. Zumindest eine kleine Chance für die schwache Opposition, die anderen.

Bei vielen Kreml-Gegnern ruft alleine schon ihre Vita Naserümpfen hervor. Sie ist die Tochter Anatolij Sobtschaks, des ehemaligen Bürgermeisters von St. Petersburg, der Putins wichtigster Mentor war. Bekannt wurde Sobtschak als Fernsehstar im russischen Reality-TV. Doch später wechselte sie auf die Seite der Opposition. Bei den Protesten 2011/12 wurde sie in einem Gefangenentransporter abgeführt. "Ich habe eigentlich erwartet, dass ich einen VIP-Truck für mich alleine bekomme", spottete sie damals selbstironisch. Zuletzt hat sie als Fernsehjournalistin für den Online-Sender TV Rain gearbeitet, dem 2014 die Lizenz entzogen wurde. "Es ist deine Entscheidung und deine Verantwortung", soll ihr Putin gesagt haben, als sie am Rande eines Interviews ankündigte, gegen ihn anzutreten.

Man kann Sobtschak bestimmt nicht vorwerfen, sich nicht ins Zeug zu legen: Der 36-jährige Fernsehstar gibt sich bürgernah und nimmt an Protesten gegen Müllhalden, Bauprojekte und sexuelle Belästigung teil. Im Fernsehen hat sie schon viele heiße Eisen thematisiert - sei es die Annexion der Krim oder Rechte für LGBT-Personen. Bei einer TV-Fragerunde stellte sie Putin zur Rede, warum der Oppositionelle Alexej Nawalny nicht zu den Wahlen zugelassen wurde, die Nennung seines Namens ist ansonsten im Staatsfunk tabu. "Selbst wenn wir davon ausgehen, dass ich ein Kreml-Projekt bin, dann bin ich doch ein ziemlich gutes, weil ich Dinge anspreche, über die sonst geschwiegen wird", so Sobtschak zuletzt in einem Podcast.

Ihr Spin-Doktor arbeitete früher für Obama

Dass es einen kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen dem Kreml und Sobtschak gibt, daraus macht man auch in ihrem Wahlkampfstab keinen Hehl. Ein luftiges Co-Working-Space auf einem umgebauten Fabrikgelände nahe dem Ufer der Moskwa. Junge Russen brüten in dunkel-dämmrigem Licht vor ihren Laptops. Es hat etwas von einem Fernsehstudio, es gibt eine große Bühne und quer durch den Raum sind Klebebänder mit der Aufschrift "Ich bin dagegen!" gespannt. Auf einer Couch sitzt Witalij Schkljarow. "Sollen wir etwa so lange warten, bis alles perfekt ist?" fragt er. Der 41-jährige Spin-Doktor hat in Berlin promoviert und lebt seit vielen Jahren in Washington, wo er als Freiwilliger Barack Obama unterstützt hat. Jetzt berät er Sobtschak.

Dass man von der Straße aus die russische Politik verändern könnte, daran glaubt er inzwischen nicht mehr. "Die russische Gesellschaft hat so viele Brüche erlebt - die Bolschewiken, die Kriege, Stalin, den Zerfall der UdSSR. Die Leute haben keine Lust mehr auf Revolution", sagt Schkljarow in perfektem Deutsch. "Aber es gibt trotzdem viele Menschen in Russland, die nicht einverstanden sind, wie die Dinge laufen und die gerne einmal jemand anderen sehen würden - ohne, dass man dazu gleich Autoreifen anzünden muss." Die Kandidatur Sobtschaks sei dazu eine Gelegenheit, die man nützen müsse. Dabei sei es nicht wichtig, wie viele Prozente Sobtschak am Sonntag bekommen werde, sondern vielmehr, ihre Botschaft unters Volk zu bringen und über den Wahltag hinaus mit ihrer Partei "Bürgerliche Initiative" eine liberale Alternative anzubieten. Dass Sobtschak als Reality-Star in ganz Russland bekannt ist, sei da eher ein Vorteil als ein Nachteil, glaubt Schkljarow. "Selbst wenn jemand in der Pampa schlecht über Ksenia redet, setzt er sich zumindest mit Politik auseinander", sagt er. Ein politischer Wandel brauche nun einmal Zeit - und die bisherige Strategie der Opposition, "in ihrem eigenen Saft zu schmoren", habe letztlich auch zu nichts geführt. "Wir brauchen mehrere Sobtschaks und mehrere Nawalnys, um die Politik zu verändern", sagt Schkljarow.

Nawalny sieht Sobtschak mit dem Kreml im Bunde

Alexej Nawalny, der wichtigste Oppositionsführer, sieht das freilich anders. Er ruft zum Wahlboykott auf, nachdem er selbst nicht zu den Wahlen zugelassen wurde. Sobtschak wirft er vor, mit dem Kreml im Bunde zu sein und Unterschriften für ihre Kampagne gefälscht zu haben. Überhaupt sind die Oppositionellen misstrauisch, und das nicht ganz ohne Grund: Es wäre nicht das erste Mal, dass Schein-Parteien aufgebaut werden, um Proteststimmen zu kanalisieren und dadurch erst recht wieder die alten Machtverhältnisse einzuzementieren. "Selbst, wenn sie immer wieder versucht, aus der Kreml-Umarmung auszubrechen, ist und bleibt sie ein Kreml-Projekt", sagt die Politologin Lilija Schewzowa. "Ihre Aufgabe ist es, Nawalny als Oppositionsführer zu verdrängen", so der Politologe Abbas Galljamow.

Sobtschak hat derweil eine andere Lesart. "Sie fürchten mich nicht so wie Nawalny und ich habe eine Vergangenheit, die man immer wieder gegen mich verwenden kann", sagte sie zuletzt in einer BBC-Dokumentation. "Alle unterschätzen mich. Aber genau das ist meine Chance."