London/Washington/Paris/Moskau. Russland hat die von Großbritannien im Zusammenhang mit der Vergiftung des früheren russischen Agenten Sergej Skripal verhängten Sanktionen als "ganz und gar unverantwortlich" bezeichnet und eine baldige Antwort angekündigt. Entsprechende Maßnahmen würden "nicht lange auf sich warten lassen", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Donnerstag.
Der russische Präsident Wladimir Putin werde die Entscheidung treffen, die in jeder Hinsicht "den russischen Interessen entspricht". Auch Außenminister Sergej Lawrow erklärte der Agentur Interfax zufolge, Russlands Antwort auf die Ausweisung russischer Diplomaten werde "sehr bald" folgen. Bevor diese öffentlich erklärt werde, wolle Moskau sie aber zunächst den Briten mitteilen.
Eine Ausweisung britischer Diplomaten aus Russland gilt als eine wahrscheinliche Option. Russische Politiker hatten zuletzt immer wieder von einer "symmetrischen Antwort" gesprochen. Man werde mit den Ausweisungen in Kürze beginnen, zitierte die Nachrichtenagentur RIA Lawrow.
NATO sichert Solidarität zu
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat Russland nach dem Nervengift-Anschlag in Großbritannien vorgeworfen, den Westen destabilisieren zu wollen. "Der Angriff in Salisbury passt in ein Schema, das wir seit vielen Jahren beobachten", sagte Stoltenberg am Donnerstag in Brüssel. Die NATO reagiere auf viele unterschiedliche Arten darauf.
Am Montag wolle er in Brüssel mit dem britischen Außenminister Boris Johnson über den Anschlag beraten. Großbritannien könne sich auf die Solidarität der NATO verlassen. Bisher gebe es allerdings noch keine Anfrage aus London, den Bündnisfall mit der daraus resultierenden gegenseitigen Beistandspflicht auszurufen. Die britische Regierung habe auch nicht um Hilfe bei den Ermittlungen gebeten.
Bilaterale Kontakte auf Eis gelegt
London hatte am Mittwoch wegen des Giftanschlags vom 4. März in der britischen Stadt Salisbury Maßnahmen gegen Russland verhängt. Unter anderem werden die bilateralen Kontakte zu Moskau auf Eis gelegt und 23 russische Diplomaten ausgewiesen.
Die britische Regierung geht davon aus, dass bei dem Mordanschlag ein Gift der sogenannten Nowitschok-Gruppe zum Einsatz kam, das während des Kalten Krieges in der Sowjetunion entwickelt wurde. London und mehrere Verbündete werfen Russland vor, hinter dem Angriff zu stecken. Premierministerin Theresa May sagte am Mittwoch im Unterhaus: "Der russische Staat ist des versuchten Mordes schuldig."
Kremlsprecher Peskow wies die Vorwürfe am Donnerstag erneut zurück. Russland habe "nichts mit dem Vorfall zu tun", sagte er.
Das britische Verteidigungsministerium kündigte an, Tausende Soldaten gegen Anthrax impfen zu lassen. Die Erreger von Anthrax (Milzbrand) gelten als potenzielle Biowaffen. Zudem wird London ein hochmodernes Zentrum zur Verteidigung gegen Chemiewaffen errichten. Hierfür werden 48 Millionen Pfund (54,16 Mio. Euro) bereitgestellt.
"Wenn wir an der Bedrohung für unsere Bevölkerung durch Russland zweifeln, dann müssen wir nur auf das schockierende Beispiel der rücksichtslosen Attacke in Salisbury schauen", sagte Verteidigungsminister Gavin Williamson einem Redetext zufolge. Das Zentrum zur Verteidigung gegen Chemiewaffen wird auf dem Forschungsgelände Porton Down in der südenglischen Grafschaft Wiltshire entstehen. Auf dem Areal wird auch militärisch geforscht.
In der Nähe liegt die Stadt Salisbury, in der der Anschlag auf Skripal und dessen Tochter verübt worden war. Beide befinden sich weiterhin in einem kritischen Zustand.
Die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland haben sich in einer gemeinsamen Erklärung "entsetzt" über den Giftanschlag in Salisbury geäußert und Russland zur Aufklärung aufgefordert. "Es handelt sich um einen Übergriff gegen die Souveränität des Vereinigten Königreichs" und einen Verstoß gegen das Völkerrecht, heißt es in der Erklärung der Regierungschefs
Fall liegt schon bei der UNO
Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen forderte Moskau auf, zur Aufklärung beizutragen. "Wir nehmen das sehr, sehr ernst", sagte sie im ZDF-"Morgenmagazin". Die Ministerin zog eine Verbindung zum Engagement Russlands im Syrien-Krieg an der Seite von Präsident Bashar al-Assad: "Wir sehen, wie der Verbündete Assad Giftgas einsetzt. Russland ist der Verbündete von Assad. Deshalb ist es für Russland entscheidend aufzuklären, was dort geschehen ist."
Im UNO-Sicherheitsrat in New York hatten sich Großbritannien und Russland bei einer Sondersitzung am Mittwoch einen Schlagabtausch geliefert. Premierministerin May sorge für eine "hysterische Atmosphäre", sagte der russische UNO-Botschafter Wassili Nebensia (Nebensja). London werde sich nicht von Moskaus "Leugnungen, Ablenkungen und Drohungen" beirren lassen, so der britische Vizebotschafter bei der UNO, Jonathan Allen.