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Kabinett Pellegrini geht an den Start

Von WZ-Korrespondentin Karin Rogalska

Politik

Slowakischer Vizepremier entscheidet langen Machtkampf in der zweiten Reihe der Regierungspartei für sich.


Bratislava. Die Überraschung über den Rücktritt des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico war gestern, Donnerstag, nicht nur in Bratislava groß. Der 53-jährige Sozialdemokrat hat die Politiklandschaft im Nachbarland an der Spitze von drei Regierungen und zwischenzeitlich auch während einer anderthalbjährigen Machtauszeit als Oppositionsführer in mehr als einem Jahrzehnt so entscheidend geprägt, dass auch Diplomaten wie Investoren seinen Abgang als "gewissermaßen unwirklich" empfinden.

Tatsächlich aber war in den Reihen der größten Regierungspartei Smer-SD schon seit der vergangenen Woche mehr oder weniger unverhohlen über Ficos Rückzug von der Kabinettsspitze spekuliert worden. Als sichtbarstes Anzeichen dafür ließ sich die zunehmende mediale Präsenz seines designierten Nachfolgers und Vize-Premiers für Investitionen und Digitalisierung, Peter Pellegrini, deuten.

Auf den ersten Blick erscheint Ficos Entscheidung wie das Eingeständnis der Niederlage inmitten der heftigen politischen Turbulenzen, von denen die Slowakei seit der Ermordung des Enthüllungsjournalisten Jan Kuciak und dessen Verlobter Martina Kusnirova Ende Februar erschüttert wird. Dies wäre jedoch zu kurz gegriffen.

Debatte über Parteizukunft

Fico habe derzeit so wenig zu verlieren wie selten, heißt es nicht nur aus den Reihen der Smer-SD. Zudem sei der Premier, der sich kurz nach den Wahlen zum Nationalrat im März 2016 einer schweren Herzoperation unterziehen musste, ohnehin längst amtsmüde und nutze nun gewissermaßen auch eine Gelegenheit, die Amtsgeschäfte so zu übergeben, dass die Vormachtstellung der 1999 von ihm gegründeten Smer-SD nicht gefährdet werde.

Das klingt insofern plausibel, als in der Partei schon seit längerem darüber diskutiert wird, wie eine Zukunft ohne Robert Fico an der Spitze aussehen soll. Die slowakische Öffentlichkeit ist zumindest im Grundsatz seit dem Spätherbst über diese Debatte und die damit verbundenen Auseinandersetzungen im Bilde. Denn Smer-SD verlor bei den Regionalwahlen im vergangenen November sehr deutlich einige sicher geglaubte Mehrheiten in den Verwaltungsbezirken.

Peter Pellegrini zählt seit seiner Ernennung zum Bildungsminister im Jahre 2014 zu den engsten Vertrauten von Robert Fico. Der heute 42-Jährige gehört auch zu den Smer-SD-Repräsentanten mit den besten Beziehungen vor allem zu ausländischen Investoren. So empfahl er sich zu einer Zeit, als die Slowakei auch wegen der von Kuciak in einem letzten unvollendeten Artikel aufgedeckten mutmaßlichen Verbindungen zwischen Regierung und organisiertem Verbrechen massiv an Ansehen eingebüßt hat und viel in die Zurückerlangung internationalen Vertrauens wird investieren müssen, als Erster für die Übernahme der Regierungsgeschäfte. Wie tief der Unmut bei Investoren ist, lässt sich etwa daran ablesen, dass der Vorstand der einflussreichen Deutsch-Slowakischen Industrie- und Handelskammer die Regierung in Bratislava nach Bekanntwerden des Doppelmordes prompt aufforderte, weitaus entschiedener als bisher gegen Korruption vorzugehen.

Europäische Zurückhaltung

Ungeachtet der jüngsten Umfragen, wonach Smer-SD zuletzt deutlich an Wählerzuspruch eingebüßt hat, ist zumindest in Politik- und Wirtschaftskreisen das Aufatmen darüber groß, dass die Slowakei um die tagelang diskutierten Neuwahlen herumkommen dürfte. Fico habe sich über die Jahre als berechenbarer Partner erwiesen und bekenne sich als einziger slowakischer Parteivorsitzender uneingeschränkt zu Europa.

Ohnehin wurde der Sozialdemokrat trotz aller Kritik einer EU-Delegation an mutmaßlich schleppenden Ermittlungen im Mordfall Kuciak bisher seitens der europäischen Linken in den vergangenen Wochen nie öffentlich attackiert. Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass weite Teile Europas sehr gut mit einer Fortschreibung der bisherigen Machtverhältnisse in der Slowakei leben kann. Der Grund dafür ist offenkundig: Smer-SD ist seit 2006 aus allen Parlamentswahlen als mit Abstand stärkste Partei hervorgegangen. Einen solch sicheren Verbündeten gibt gerade in Zeiten eines deutlichen Aufwinds für rechtsorientierte Parteien kein Sozialdemokrat gern preis.