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Ein Präsident im Dilemma

Von WZ-Korrespondentin Karin Rogalska

Politik

Das slowakische Staatsoberhaupt Andrej Kiska akzeptierte das Kabinett Pellegrini im zweiten Anlauf - die Protestbewegung will weiter vorgezogene Wahlen durchsetzen.


Bratislava. Der Streit um die Minister des designierten slowakischen Premiers Peter Pellegrini ist beigelegt. Staatspräsident Andrej Kiska akzeptierte am Mittwoch den zweiten Vorschlag für das neue Kabinett in Bratislava und gab bekannt, die neue Regierung am Donnerstag ernennen zu wollen.

Pellegrini, bisher als stellvertretender Ministerpräsident zuständig für Investitionen und Digitalisierung, nominierte nunmehr den bisherigen Gesundheitsminister Tomas Drucker für das Innenressort. Damit gab er im Zwist um den Parteilosen Jozef Raza nach. Ihn hatte Kiska wegen mutmaßlicher freundschaftlicher Kontakte zu Robert Kalinak abgelehnt, der nach wochenlangen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Ermordung des Enthüllungsjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova das Amt des Innenministers niedergelegt hatte.

An der Person Kalinaks und des gleichfalls zurückgetretenen Ministerpräsidenten Robert Fico hatten sich die Proteste entzündet, zu denen sich seit dem Auffinden der Leichen Kuciaks und Kusnirovas Ende Februar jeden Freitag zehntausende von Slowaken in allen größeren Städten des Landes versammeln. Der Journalist hatte in seinem letzten, unvollendeten Artikel mutmaßliche Verbindungen zwischen Fico und dem in der Ostslowakei operierenden Mafia-Ableger ’Ndrangheta aufgedeckt. An zu viel Nähe zu Kalinak war zuvor schon die Nominierung der langjährigen Staatssekretärin im Innenministerium Denisa Sakova für den Ministerposten gescheitert.

Kiska hatte mit der Zurückweisung Razas reinen Tisch an der Spitze der Exekutive machen wollen. Dem Präsidenten war zuletzt vorgeworfen worden, er habe sich vom bisherigen Regierungschef Fico über den Tisch ziehen lassen, als dieser Ende vergangener Woche darauf bestand, er werde nur dann zurücktreten, wenn es keine Neuwahlen gebe und die von ihm geführte sozialdemokratische Smer auch den neuen Ministerpräsidenten vorschlage. Den Vorwurf der Halbherzigkeit bei der Neuordnung der Exekutive kann Kiska jedoch nur teilweise entkräften. Denn in den Medien wird etwa über eine Nähe des designierten Justizministers Gabor Gal zur Unterwelt spekuliert.

Polizeipräsident tritt zurück

Zumindest aber gab der Präsident grünes Licht für eine Mannschaft, welche sich spürbar für die Interessen der strukturschwachen Ostslowakei engagieren könnte. Mit Richard Rasi als künftigem Vize-Premier für Investitionen und Digitalisierung hat Pellegrini den bisherigen Oberbürgermeister von Kosice zum Nachfolger im eigenen Amt ernannt. Der Regierung Fico war in den vergangenen Jahren häufig vorgeworfen worden, sie nehme das zunehmende Gefälle zwischen West- und Ostslowakei tatenlos hin.

Einen Wechsel gibt es auch an der Spitze der Polizei. Präsident Tibor Gaspar, dem im Mordfall Kuciak eine Verschleppung der Ermittlungen vorgeworfen wird, räumt seinen Posten. Das habe nichts mit den anhaltenden Protesten zu tun, vielmehr gehe er aus persönlichen Gründen, so Gaspar. Allerdings ist dies wenig glaubwürdig. Zwar halten die Behörden nach wie vor an der Version fest, Kuciak und seine Verlobte seien zwei Tage vor dem Auffinden ihrer Leichen durch jeweils einen Schuss getötet worden. Doch werden immer mehr Zweifel an dieser Darstellung laut.

Zweifel an Tathergang

Die Familien der Ermordeten hatten stets darauf gepocht, dass die Toten erst nach vier Tagen entdeckt wurden. Zlatica Kusnirova, die Mutter der ermordeten Martina Kusnirova, machte vor kurzem öffentlich, auf Kuciak seien mehrere Schüsse abgegeben worden. Auch habe ihre Tochter mit ansehen müssen, wie ihr Verlobter ermordet wurde, bevor sie selbst einen Schuss in den Hals und nicht wie bisher behauptet in den Kopf erhalten habe.

Bisher hatte es geheißen, die Opfer hätten den Täter hineingelassen und mit ihm Kaffee getrunken. Kusnirova sei als Erste getötet worden, während Kuciak etwas geholt habe. Der Journalist sei dann bei der Rückkehr ins Wohnzimmer exekutiert worden.

Protestbewegung ist uneins

Damit sehen sich viele bestätigt, die am Freitag zum vierten Mal gegen die Regierung protestieren wollen. Diese setzt jedoch darauf, dass sich deutlich weniger Demonstranten als bisher versammeln. Denn in der Protestbewegung zeichnen sich Risse ab. Vielen, die zunächst der Ermordeten gedenken und Anstand in der Politik anmahnen wollten, ist es zu radikal, wenn die Organisatoren nach Neuwahlen rufen. Viele schreckt darüber hinaus ab, dass sich zunehmend andere Gruppierungen die Proteste zunutze machen wollen, welche die Ermordung Kuciaks und Kusnirovas nur zum Vorwand nehmen, um ihre Sache voranzutreiben - darunter etwa auch Abtreibungsgegner.