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"Der Rechtsstaat wird ausgehebelt"

Von Petra Tempfer

Politik

Die Volksanwaltschaft und ihr polnisches Pendant haben ähnliche Ziele. Polens Unabhängigkeit ist in Gefahr.


Wien. Die Unabhängigkeit einer Institution ist vor allem dann entscheidend, wenn derjenige, der sich an sie wendet, in Konflikt mit Politikern oder staatlichen Behörden steht. Wird diese Unabhängigkeit beschnitten, geraten die Prinzipien des Rechtsstaats ins Wanken. In Polen ist das laut dem polnischen Ombudsman (geschlechtsneutrale, übliche Bezeichnung) Adam Bodnar aktuell der Fall - das Parlament hat die Mittel der Ombudsstelle gekürzt. Im Doppelinterview zeigen Bodnar und der österreichische Volksanwalt Günther Kräuter Schwierigkeiten auf, mit denen die Ombudsstelle zu kämpfen hat, und was man dagegen unternehmen kann.

"Wiener Zeitung": Welche Unterschiede beziehungsweise Parallelen gibt es zwischen der polnischen Ombudsstelle und der österreichischen Volksanwaltschaft?

Adam Bodnar: Die Hauptaufgabe des Beauftragten für Menschenrechte, wie wir den Ombudsman in Polen nennen, ist die Sicherstellung der in der Verfassung und anderen Rechtsakten verankerten Freiheiten und Rechte der Bürger. Der polnische Ombudsman verfügt zudem über eine europaweit einzigartige Kompetenz: Er kann sich auch an den Verfassungsgerichtshof wenden, um feststellen zu lassen, ob ein Gesetz mit der Verfassung und ratifizierten internationalen Übereinkommen übereinstimmt, oder um überprüfen zu lassen, ob Verordnungen den Gesetzen entsprechen. Obwohl der Ombudsman selbst keine gesetzgebende Gewalt hat, kann er sich an die zuständigen Behörden wenden, damit diese gesetzgebend tätig werden beziehungsweise eine Verordnung erlassen oder ändern.

Günther Kräuter: Auch die österreichische Volksanwaltschaft geht Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern nach und prüft, ob die Verwaltung im Rahmen der Gesetze handelt und dabei Menschenrechtsstandards einhält. Wenn die Volksanwaltschaft einen Missstand vermutet, kann sie auch von Amts wegen - also ohne eine konkrete Beschwerde - tätig werden. Die Volksanwaltschaft kann Gesetzesänderungen anregen und bei Bedenken über die Gesetzesmäßigkeit einer Verordnung einer Bundes- oder Landesbehörde einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof stellen. Ebenso wie der polnische Beauftragte für Menschenrechte verfügt die Volksanwaltschaft über ein Opcat-Mandat. Im Rahmen dieses Mandats kontrollieren in Österreich sechs Expertenkommissionen Einrichtungen, in denen es zu Freiheitsentzug kommt oder kommen kann, darunter Justizanstalten, Psychiatrien und Pflegeheime.

Wie wichtig ist Unabhängigkeit für Ombudsman-Einrichtungen?

Kräuter: Die Unabhängigkeit der Ombudsman-Einrichtungen von Politik und staatlichen Behörden ist unverzichtbar. Auch wenn die Rolle von Ombudsman-Einrichtungen in den verschiedenen Ländern unterschiedlich ausgestaltet ist, vereint sie doch eines: das Hauptziel, die Bürgerinnen und Bürger vor Missständen in der öffentlichen Verwaltung, Verletzung ihrer Rechte, Machtmissbrauch und unfairer Behandlung zu schützen. Das können wir jedoch nur wirkungsvoll tun, wenn wir absolut unabhängig und weisungsfrei arbeiten können.

Bodnar: Speziell wenn eine Bürgerin oder ein Bürger in Konflikt mit Politikern oder staatlichen Behörden steht, ist die Unabhängigkeit entscheidend. Eines meiner Ziele ist es, sicherzustellen, dass die polnische Ombudsstelle unabhängig bleibt und weiterhin effektiv für die Menschen in Polen arbeiten kann.

Herr Bodnar, Sie stellen der Polizei kritische Fragen, woraufhin Ihnen Mittelkürzungen drohen. Ein nationalistischer Abgeordneter sammelte Unterschriften gegen Sie. Ist Ihre Unabhängigkeit bedroht?

Bodnar: Das polnische Parlament hat die Mittel der Ombudsstelle gekürzt. Das ist jedoch nur ein Teil des Problems in Polen. Wir beobachten Tendenzen, die Prinzipien des Rechtsstaates auszuhebeln. 2016 wurde die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts beschnitten. Im Vorjahr beobachteten wir eine weitere Einschränkung der gerichtlichen Unabhängigkeit. Ich bin noch für zwei Jahre als Ombudsman bestellt. Ich muss in meinen Urteilen und Handlungen unabhängig bleiben. Ich kann mich daher nicht zu sehr damit auseinandersetzen, welche Konsequenzen meine Äußerungen auf das Budget der Einrichtung haben.

Herr Kräuter, Sie sind Generalsekretär des International Ombudsman Institute (IOI). Was kann dieses unternehmen, wenn die Rechte und die Unabhängigkeit von Ombudsman-Einrichtungen bedroht sind?

Kräuter: Das IOI ist das einzige, weltweit agierende Kooperationsnetzwerk von derzeit 188 Ombudsman-Einrichtungen aus 90 Ländern und sieht seine Hauptaufgabe in der weltweiten Förderung und Entwicklung des Ombudsman-Konzeptes sowie in der Unterstützung und Vernetzung der Einrichtungen. Wie Herr Bodnar bereits erwähnte, zeigte sich die polnische Ombudsstelle in jüngster Zeit mit Repressionen konfrontiert. Das IOI entsandte eine Delegation zu einem Lokalaugenschein nach Warschau. Die Delegation traf Vertreter des Verfassungsgerichtshofs, NGOs und Bürgerbewegungen und führte Gespräche mit Regierungsvertretern. Im abschließenden Bericht, der im Rahmen einer Pressekonferenz in Warschau präsentiert wurde, kritisierte das IOI die Einschränkungen des Wirkungskreises des Ombudsmans und betonte dessen Wichtigkeit. Das IOI verurteilte in seinem Bericht die persönlichen Angriffe gegen den Ombudsman und forderte die ausreichende Bereitstellung von finanziellen Ressourcen.

Inwieweit hat das geholfen?

Bodnar: Die IOI-Mission nach Polen half, Spannungen abzubauen und die Unabhängigkeit zu stärken.

Liegt es international im Trend, die Unabhängigkeit von Ombudsstellen zu beschneiden?

Kräuter: Leider berichten immer wieder Ombudsleute weltweit, dass ihre unabhängige Arbeit gefährdet ist. Erst kürzlich hat mir die Volksanwältin von Zypern berichtet, dass sie von Rechnungshof und Staatsanwaltschaft unter Druck gesetzt wird. Das IOI verfasste daraufhin ein offizielles Schreiben zu ihrer Unterstützung.

Gibt es auch in Österreich Versuche der Einflussnahme?

Kräuter: Die österreichische Volksanwaltschaft arbeitet absolut unabhängig. Nur der bloße Versuch einer Einflussnahme wäre skandalös und würde sicher auf großes mediales Interesse stoßen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern können Medien in Polen kaum Unterstützungsarbeit leisten - eine Zeitung wurde kürzlich gerügt, weil sie zu kritisch schrieb. Herr Bodnar, wie gehen Sie damit um?

Bodnar: Ich bin offen für die Zusammenarbeit mit allen Medien. Leider schaffen es Menschenrechte nicht in die Schlagzeilen, außer es ereignet sich eine Tragödie. Zugleich beobachte ich, dass die Redefreiheit in Polen abnimmt, weil die öffentlichen Medien nicht die Funktion erfüllen, die sie sollten. Sie bieten keinen pluralistischen Informationsfluss oder zuverlässige Informationen. Ich habe noch immer Zugang zu privaten Medien - speziell zu einigen Zeitungen und Magazinen, privaten Fernsehstationen und Internetportalen. Aber dieser Tage muss man direkteren Austausch und Kontakt mit den Bürgern suchen. Deshalb reise ich viel in Polen herum und treffe Bürgerinnen und Bürger. Ich nutze auch die sozialen Medien, um die wichtigsten Aspekte meiner Arbeit zu bewerben.

In welchen Bereichen gibt es die größten Missstände?

Bodnar:In Polen haben wir einige systemische Probleme im Zusammenhang mit Haftbedingungen, Polizeibrutalität, Zugang zu Sozialwohnungen, Ineffizienz der Gerichte und der Staatsanwaltschaft. Es gibt auch zahlreiche Probleme mit dem Zugang zu Sozialleistungen, speziell für Menschen mit Behinderungen. In den vergangenen beiden Jahren haben wir neue Arten von Menschenrechtsverletzungen beobachtet. Die Zentralisierung der Staatsgewalt hat die Rede-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit beeinflusst.

Wie äußert sich das?

Bodnar: Wir können einen "abschreckenden Effekt" bezüglich der Ausübung von politischen Freiheiten beobachten. Manche Bürger haben Angst vor dem wachsenden Staatsapparat und seiner Fähigkeit, das Leben der Menschen zu überwachen, und schränken sich selbst in der Ausübung ihrer politischen Freiheiten ein. Sie werden kaum einen Beamten treffen, der zu einer Demonstration gehen würde. Manche Anwälte, speziell jene, die für staatliche Unternehmen arbeiten, würden nicht aktiv am öffentlichen Leben teilnehmen, aufgrund der möglichen beruflichen Konsequenzen. Schritt für Schritt werden Freiheiten eingeschränkt. Zusätzlich vertritt die Regierungspartei einen sehr traditionellen Zugang zu bestimmten Rechten, vor allem im Bereich von Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung. Es ist schwierig, einen echten Dialog zu Themen wie LGBT-Rechten (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender, Anm.) oder den Rechten von Frauen zu führen. Kürzlich wurden die Förderungen für führende NGOs im Bereich häuslicher Gewalt gestrichen.

Inwieweit werden die Empfehlungen des polnischen Beauftragten für Menschenrechte beziehungsweise der Volksanwaltschaft in Österreich umgesetzt?

Bodnar: Wenn ich eine Verletzung von Vorschriften oder eine Bedrohung der Bürgerrechte feststelle, weise ich darauf hin und sage: Lasst uns dieses Problem lösen, lasst es uns beheben, weil die Bürger das brauchen. Meine Empfehlungen werden oft von den Behörden gehört und umgesetzt, aber manchmal werden sie nicht als konstruktive Kritik oder als Angebot der Zusammenarbeit zur Lösung des Problems gesehen, sondern als Angriff und Verhinderung von Reformen.

Kräuter: Die Volksanwaltschaft genießt in Österreich viel Reputation. Meist bemühen sich die Behörden, den Empfehlungen der Volksanwaltschaft nachzukommen. In manchen Fällen hatten wir keinen Erfolg, manchmal ist es ein langwieriger Prozess. Aber wir bleiben hartnäckig.

Adam Bodnar ist polnischer Beauftragter für Menschenrechte. Der 41-Jährige ist Verfassungsrechtler und Menschenrechtsaktivist. Das Justizwesens, Obdachlose und Flüchtlinge zählen zu seinen Schwerpunkten.

Günther Kräuter ist seit 2013 als österreichischer Volksanwalt unter anderem für Soziales, Pflege, Gesundheit, Jugend und Familie zuständig. Der 61-jährige Jurist agiert zudem als Generalsekretär des International Ombudsman Institute.

Ländervergleich

Polen: Ombudsstelle

Seit wann? 1987

Wie strukturiert? Der Beauftragte für Menschenrechte (Ombudsman, geschlechtsneutrale, schwedische Bezeichnung) wird von beiden Kammern des Parlaments für eine fünfjährige Amtszeit gewählt. Er kann bis zu drei Stellvertreter haben. Die Kontrollarbeit ist in rechtliche Sektionen aufgeteilt. Der Ombudsman arbeitet auch mit Expertenkomitees zu ausgesuchten Themen zusammen.

Wie viele Mitarbeiter? Etwa 300, hauptsächlich Juristen.

Österreich: Volksanwaltschaft

Seit wann? 1977

Wie strukturiert? Die Volksanwaltschaft besteht aus drei Mitgliedern, die kollegial zusammenarbeiten und für sechs Jahre vom Nationalrat gewählt werden. Sie kontrolliert die öffentliche Verwaltung und seit 2012 mit sechs Expertenkommissionen alle Einrichtungen, in denen es zum Entzug oder zur Einschränkung der Freiheit kommt oder kommen kann.

Wie viele Mitarbeiter? 75 Bundesplanstellen, darunter rund 40 Juristen.