Was halten Sie von Gergely Karácsony, dem Spitzenkandidaten der Sozialisten und der Kleinpartei Dialog für Ungarn?
Auch Karácsony mag ich. Er ist sehr intelligent, nur versteht er leider gar nichts von Diplomatie. Stellen Sie sich vor, er hat gesagt, er würde als Ministerpräsident keinen Eid auf die Verfassung ablegen. Das kann man tun, aber doch bitte nicht vor der Wahl sagen! Unsere Politiker haben sehr oft keinen Sinn für Diplomatie.
Was haben Ungarns Linke und Liberale sonst falsch gemacht?
Sehr viel. Bis 2005 glaubten sie, dass man die ganze Politik im Parlament erledigen kann. Sie hatten keine Ahnung, welches Volk sie regieren. Sie haben geglaubt, wenn man gute Institutionen hat, reiche das für eine Demokratie. Das stimmt nicht. Demokratie hängt auch von der demokratischen Gesinnung der Bevölkerung ab. Deshalb konnte Fidesz mit seiner Zweidrittelmehrheit das ganze Land besetzen.
Linke und Liberale haben also den Kontakt zu den Massen verloren?
Total. Sie haben sogar den Kontakt zu ihren eigenen Parteimitgliedern verloren. 2010 habe ich im Wahlkampf in der Provinz Aktivisten der inzwischen verschwundenen liberalen Partei SZDSZ getroffen, die mir gesagt haben, dass ihre eigene Zentrale in Budapest sich nicht dafür interessiert, was die Parteifreunde in der Provinz machen. Sie fühlten sich alleingelassen. Das geht so nicht! In den 1990er Jahren gab es die sogenannten "Liberalen Kreise" in den Dörfern und Kleinstädten. Ich hatte dort wunderbare politische Diskussionen. Man hat sie abgeschafft. Und die Politiker waren damit zufrieden, dass sie im Parlament sitzen und eine Fraktion haben.
Haben die Ungarn deswegen 2010 und 2014 Fidesz gewählt?
Alle Welt fragt uns, warum die Ungarn diese Regierung gewählt haben. Die Ungarn haben sie nicht gewählt. Aufgrund des Wahlsystems konnte Fidesz die Zweidrittelmehrheit im Parlament bekommen, obwohl sie 2014 weniger Stimmen hatten als die Oppositionsparteien zusammen.
Können jetzt die vielen Korruptionsvorwürfe gegen Fidesz-Politiker das Blatt wenden?
Korruptionsprobleme gibt es überall. Mit Fidesz ist das Problem ein anderes: Nicht die Regierung hängt von den Oligarchen ab, sondern die Regierung hat die Oligarchen erschaffen. Das ist nicht Korruption, das ist Feudalismus. Sie verteilen Latifundien an Menschen, die sie unterstützen, und zweigen etwas für sich selber ab. Sie haben 20 bis 30 Prozent der EU-Förderungen in die eigene Tasche gesteckt.
Ist also die EU mitschuld an dieser Entwicklung?
Das kann ich nicht beantworten. Ich bin nicht die EU, ich bin ungarische Staatsbürgerin und ich glaube, wir sollten hier aktiv werden, nicht die EU. Wir haben damals, als der Eiserne Vorhang fiel, für unsere Freiheit nicht bezahlt, sondern wir haben sie wie ein Geburtstagsgeschenk bekommen. Aber man muss trotzdem für alles bezahlen. Und jetzt bezahlen wir. Natürlich hätte die EU mehr gegen Orbán tun können. Aber das ist ihr Problem, nicht meines.