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Ein deutscher Schutzschild für Puigdemont

Von Konstanze Walther

Politik

Schleswig-Holstein lässt den katalanischen Ex-Regierungschef frei und verunmöglicht Spanien die Anklage wegen Rebellion.


Neumünster/Madrid. In Madrid ist man fassungslos. Vor allem am Obersten Gerichtshof, der höchsten Instanz in Strafsachen in Spanien. Denn ein Richter des Obersten Gerichts, Pablo Llarena, hat den Europäischen Haftbefehl ausgeschrieben. Dem flüchtigen katalanischen Politiker Carles Puigdemont wirft Llarena, und damit die Institution Oberster Gerichtshof, Veruntreuung und Rebellion vor.

Und nun kommt ein bloßes Oberlandesgericht, ein Gericht, das in der Hierarchie niedriger gestellt ist, und hebelt die Entscheidung des Obersten aus.

Ein verkehrter Instanzenzug, der nicht möglich wäre, wenn es sich in ein und demselben Land abspielen würde. Doch Europa macht es möglich. Und so kam es, dass in einem richtungsweisenden Urteil ein Dreier-Senat am Oberlandesgericht Schleswig-Holstein den Europäischen Haftbefehl gegen Puigdemont nahm, und den vom Obersten Gerichtshof in Spanien gemachten Vorwurf der Rebellion im Grunde genommen einfach durchstrich. Nicht zutreffend. Oder in der Formulierung des Gerichts: Die Auslieferung wegen Rebellion erweise sich als "von vornherein unzulässig". Denn das Puigdemont zur Last gelegte Verhalten - einen Umsturz durch Androhung oder Anwendung von Gewalt zu erzwingen - wäre in Deutschland "nicht strafbar": Es fehle für den vergleichbaren Straftatbestand des Hochverrats an der "Gewalt".

Die gewalttätigen Ausschreitungen um das verbotene Referendum zur Abspaltung seien Puigdemont zwar zuzuordnen (Madrid sieht darin den Vorwurf der Gewalt begründet). Aber die Gewalttätigen seien "nicht geeignet gewesen, die Regierung derart unter Druck zu setzen, dass sie sich "zur Kapitulation vor der Forderung der Gewalttäter" gezwungen gesehen hätte.

Was für Deutschland bleibt, ist der Vorwurf der Veruntreuung. Doch diese Straftat habe eine geringere Strafandrohung als Rebellion, damit sei die Fluchtgefahr laut Gericht "deutlich herabgemildert". Puigdemont durfte Freitag Mittag nach der Hinterlegung einer Kaution von 75.000 Euro die Strafvollzugsanstalt in Neumünster verlassen. Er muss aber vorerst in Deutschland bleiben. Das Oberlandesgericht verlangt unterdessen von Spanien weitere Details zum Vorwurf der Veruntreuung. Puigdemont werden im Kern die Kosten für die Abhaltung des Referendums vorgeworfen.

Konsterniert debattiert man am Obersten Gericht in Madrid nun die verbleibenden Möglichkeiten, um das Gesicht nicht zu verlieren. Was ist wichtiger? Puigdemont nach Spanien zu bekommen? Oder ihn wegen Rebellion anzuklagen - wegen eines Delikts, das mit 15 Jahren bis zu 30 Jahren Haft bedroht ist?

Überschießende Strafen

Denn wenn Spanien den gegenwärtigen "Auslieferungshaftbefehl" von Schleswig-Holstein akzeptiert und Puigdemont nur wegen Veruntreuung an Spanien ausgeliefert wird, dann kann dieses ihn auch nur wegen Veruntreuung anklagen. Laut der Tageszeitung "El País" versuchen sich die spanischen Juristen damit zu trösten, dass man Puigdemont zumindest jetzt "besonders schwere" Veruntreuung vorwerfen werde. 1,6 Millionen Euro sollen die verbotenen Vorhaben den Staat gekostet haben. Da könnten Puigdemont schon immerhin bis zu 15 Jahre Gefängnis blühen. Doch was, so fragt man sich im Obersten Gerichtshof, macht man jetzt mit den restlichen Katalanen, die in spanischer U-Haft sitzen, und die unter anderem wegen Rebellion angeklagt werden sollen? Denen würde dann eine härtere Strafe drohen als Puigdemont, dem Rädelsführer, der die Flucht aus Spanien angetreten hatte. Soll man denn vielleicht den inhaftierten Katalanen doch geringere Delikte anlasten - etwa doch nur die Sezession statt der Rebellion?

In Spanien machen unterdessen sogar konservative Medien die Regierungspartei PP für die Blamage in Deutschland verantwortlich. Hätte man eben gleich nicht mit solchen überzogenen Geschützen wie dem Vorwurf der Rebellion anfangen sollen.

Der Oberste Richter Pablo Llarena untersucht trotzdem auch die Möglichkeit, die Entscheidung Schleswig-Holsteins vor den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zu bringen. Denn laut Llarena habe sich das Bundesland mit der inhaltlichen Prüfung der Vorwürfe außerhalb des zulässigen Rahmens des Europäischen Haftbefehls bewegt.

Puigdemont rief bei seiner Entlassung die spanische Regierung zum erneuten Dialog in der Katalonien-Frage auf. Er forderte auch die Freilassung jener Katalanen, die noch immer in spanischer U-Haft sitzen.