Zum Hauptinhalt springen

Ein Fünkchen Protesthoffnung

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

In Budapest werden Zehntausende Demonstranten gegen Premier Viktor Orbán erwartet.


Budapest. Die Polizei hat bereits aufgerüstet. Etliche neue Beobachtungskameras wurden in der Nähe des Parlaments montiert. Die Budapester Sicherheitskräfte rechnen mit Zehntausenden Demonstranten am Samstag, die dem gerade mit überwältigender Mehrheit wiedergewählten Ministerpräsidenten Viktor Orbán ihren Zorn bekunden wollen. "Auf, die Freiheit ruft, Magyaren!", lautet das Motto der Organisatoren. Aus diesem Anlass will sogar die eben stillgelegte Zeitung "Magyar Nemzet" kurz auferstehen: Eine Sondernummer in der für ungarische Verhältnisse riesigen Auflage von 20.000 Exemplaren ist geplant, die gratis verteilt werden.

Bricht eine Protestwelle aus? Vorläufig sieht es so aus, als wollten die Wahlverlierer auf der Straße vor allem ihren Katzenjammer kurieren. Der Organisator, der Student Örs Lányi, hofft, dass die Kundgebung der "Funke" für weitere Aktionen sei.

Empörung über Liste von "Soros-Söldnern"

Befeuert wurde die Empörung kurz nach dem Urnengang durch die Veröffentlichung einer Liste von "Soros-Söldnern" in der regierungsnahen Wochenzeitung "Figyelő". Der Milliardär und Philanthrop unterstützt zivilgesellschaftliche Vereine und Aktivitäten und ist Orbáns Feindbild Nummer eins. Der Premier unterstellt Soros - ohne Beweise vorzulegen -, dieser wolle Millionen Flüchtlinge nach Europa bringen. Die schwarze Liste war aber so schlampig zusammengestellt, dass sie sogar Tote enthielt, die zudem bis zu ihrem Lebensende Fidesz-Anhänger waren.

Auffällig ist dabei der Fall Attila Chikán: Er war Orbáns Wirtschaftsminister in dessen erster Amtszeit von 1998 bis 2002 und wurde von diesem noch 2007 ausdrücklich gelobt: "Ohne Chikán wäre Fidesz nicht entstanden." 2012 pries ihn Orbán als "wertvollen Kritiker, auf dessen Worte wir immer achten". Nun findet sich Chikán ebenfalls auf der "Söldner"-Liste, da er im Leitungsrat der von Soros finanzierten Universität CEU sitzt.

Neben Professoren der CEU - darunter auch dem österreichischen Politologen Anton Pelinka - werden Leiter verschiedener Zivil- und Menschenrechtsorganisationen, wie Transparency International, das Helsinki Komitee, die Gesellschaft für Freiheitsrechte (TASZ) und Amnesty International als "Söldner" gelistet.

Der Kasus "Figyelő" dürfte weitere Wellen schlagen, denn das Sagen haben dort die Historikerin und Orbán-Propagandistin Mária Schmidt und deren Sohn Péter Ungár, Abgeordneter der grün-konservativen Oppositionspartei LMP. Die Mutter verweigerte jeden Kommentar zur "Söldner"-Liste, der Sohn fand sie "nicht gut". Ungár will die Zeitung "Magyar Nemzet" kaufen, die ihr jetziger Eigentümer, Lajos Simicska, diese Woche stillgelegt hat. Simicska, Ex-Orbán-Vertrauter und seit 2015 dessen politischer Feind, hat seine Ambitionen auf dem Medienmarkt ad acta gelegt. Unterdessen hat ein weiteres Medienorgan dichtgemacht: "Budapest Beacon", das auch auf Englisch verfügbare Online-Portal mit vielen kritischen Artikeln über die Regierung, wird eingestellt. Begründung: Ungarns Medienlandschaft werde zu einseitig, die Zeitung hatte ihre Berichterstattung vor allem auf Quellen aus der ungarischen Presse gestützt.

Bei der Demonstration am Samstag werden auch Forderungen nach Neuauszählung der Stimmzettel erwartet, nachdem in Ungarn Streit über einen möglichen Wahlbetrug ausgebrochen ist. Den Verdacht haben die Oppositionsparteien MSZP (Sozialisten) und DK (Demokratische Koalition) geäußert, nachdem Wahlhelfer und Lokalpolitiker etliche Unstimmigkeiten bei der Auszählung gemeldet hatten.

Opposition unfähig, Wahlbeobachter zu stellen

Etliche Oppositionsmedien - darunter die Plattform "Átlátszó" - haben den Vorwurf aber in weiten Teilen widerlegt. Die Wahlhelferin und Aktivistin gegen Rechtsextreme, Eszter Edler-Garai, ist empört über die Wahlbetrugsdiskussion: "Das ist doch nur ein Thema zur Ablenkung", sagte sie der "Wiener Zeitung". "Die Opposition soll sich lieber Asche aufs Haupt schütten, weil sie nicht einmal fähig war, für alle Wahlbüros Delegierte zu entsenden. Und solche Leute wollen regieren?", ereiferte sich Garai-Edler, die in einem Budapester Bezirk am vergangenen Sonntag im Auftrag der Sozialisten die Stimmen mit ausgezählt hatte. In 1100 von insgesamt 11.000 Wahlbüros hatte die Opposition keine Vertreter.

"Aber das ist nicht neu, seit 1990 gibt es dieses Phänomen", sagt Zoltán Toth, der von 1995 bis 1997 Vorsitzender der Wahlkommission war. Für verdächtig hält er hingegen, dass das Online-Portal des zentralen Wahlbüros am Wahlabend mehrmals zusammenbrach. Toth, ein Sympathisant der oppositionellen DK, prüft jetzt zusammen mit 30 Freiwilligen 2200 Auszählprotokolle auf Ungereimtheiten - eine Stichprobe von zehn Prozent aller Protokolle.