Zum Hauptinhalt springen

Der kleinste gemeinsame Nenner

Von Anja Stegmaier

Politik

Kann die türkische Opposition Präsident Erdogan bei den Wahlen im Juni die Stirn bieten?


Ankara. Am meisten eint ein gemeinsamer Feind. Auf diese Formel lässt sich wohl die Strategie der türkischen Opposition herunterbrechen angesichts der vorgezogenen Parlamentswahlen, die Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan kürzlich für den 24. Juni ausgerufen hatte. Eigentlich hätte es erst Ende 2019 Wahlen geben sollen - doch Erdogan steht unter Druck: Kann er die Wahl für sich entscheiden, baut er gemäß Verfassungsreferendum seine Macht aus und kann als Präsident des Landes quasi durchregieren. Doch das Land ist gespalten. Bereits beim Verfassungsreferendum konnte trotz Ausnahmezustand und geschwächter Presse Erdogan nur knapp das Ja der Bevölkerung einholen. Der 64-Jährige will keine Zeit verlieren, in der sich die anderen Parteien formieren könnten oder die vom Staat vermeldeten guten Wirtschaftsdaten zu bröckeln beginnen.

Die Opposition muss nun rasch entscheiden, welchen Weg sie geht. Besonders hervorgetan hat sich hier der Kopf der größten Oppositionsfraktion Kemal Kilicdaroglu. Der Chef der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP rief die Opposition zur Einheit auf. Er betonte, seine Partei sei zu "Opfern" bereit. Zu Beginn der Woche ließ er bereits 15 seiner Abgeordneten zur neugegründeten IYI-Partei ziehen, damit diese antreten konnte.

Alle Augenauf Abdullah Gül

Nachdem Erdogan Kilicdaroglu leicht provozierte, indem der Präsident den 69-Jährigen aufforderte, persönlich gegen ihn anzutreten, autorisierte der Parteirat der CHP Kilicdaroglu am Dienstag, mit anderen Parteien Wahlbündnisse einzugehen. "Herr Kemal, verliere nicht mehr Zeit, gib endlich deine Kandidatur bekannt", sagte Erdogan laut der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu vor seiner Fraktion in Ankara. "Warum suchst du links und rechts? Komm, sei Kandidat!"

Erdogan dürfte wohl angesichts der intensiven Gespräche über mögliche Wahlbündnisse im Gegenlager etwas nervös sein. Die dortigen Politiker haben zwar sehr unterschiedliche Ziele, könnten sich aber leicht auf einen gemeinsamen Nenner einigen: Erdogan vom Thron stürzen.

Die Oppositionsparteien arbeiten an der Aufstellung eines gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten. Um die bereits zwei Jahrzehnte anhaltende Mehrheit der Regierungspartei AKP brechen zu können, braucht es aber einen Kandidaten oder eine Kandidatin, die oder der konservativ ausgerichtet ist.

Viele politische Beobachter des Landes glauben, dass Abdullah Gül der Mann ist, der das schaffen könnte. Er war von 2007 bis 2014 bereits Präsident der Türkei und Mitbegründer der AKP. Der 67-Jährige zog sich nach der Direktwahl Erdogans zum Präsidenten im August 2014 aber aus der Politik zurück - er gilt als Kritiker der immer autoritärer werdenden Herrschaft seines ehemaligen Mitstreiters. Seit Monaten wird in Ankara gemunkelt, Gül könne sich für die ultrareligiöse und kleine Saadet-Partei (SP) als Gegenkandidat aufstellen lassen.

Er ist nach wie vor populär im Land, auf Ausgleich bedacht und könnte so Stimmen aus allen Wählerlagern bekommen. Selbst der Sprecher der prokurdischen Minderheitenpartei HDP, Ziya Pir, kündigte die Unterstützung für Gül in einer zweiten Runde der Präsidentenwahlen an.

Gül selbst hat sich hierzu noch nicht öffentlich geäußert - am Mittwoch traf der Hoffnungsträger jedoch mit dem Saadet-Vorsitzenden Temel Karamollaoglu zusammen. Zuvor hatte Karamollaoglu bereits Kilicdaroglu und Meral Aksener von der IYI-Partei getroffen.

Meral Aksener istebenfalls populär

Auch Kilicdaroglu und Aksener fanden sich noch am selben Tag zusammen, um über das Vorgehen bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zu beraten. Nach der gemeinsamen Pressekonferenz blieb es aber noch unklar, ob sie einen gemeinsamen Kandidaten ins Rennen schicken wollen. Dass die beiden Parteien eine mögliche Kandidatur Güls unterstützen würden, scheint unwahrscheinlich.

Aksener betonte nach dem Treffen mit Kilicdaroglu, dass sie an ihrer eigenen Kandidatur festhalte. Die 61-Jährige könnte Erdogan ebenfalls gefährlich werden. Die frühere kurzzeitige Innenministerin würde laut Umfragen in den vergangenen Wochen 40 bis 48 Prozent im Falle einer Stichwahl vereinen können. Aksener gilt als strenggläubig, steht aber für die Trennung von Religion und Staat, sie ist nationalistisch, setzt sich aber für eine pro-westliche Türkei ein - und spricht demnach viele unterschiedliche Wähler an. Der CHP-Fraktionsvize Özgür Özel schrieb auf Twitter, die CHP habe eine Kandidatur Güls niemals erwogen. "Genug. Wir haben die Nase voll von all diesen Spekulationen", schrieb er.

Die islamisch-konservative AKP Erdogans setzt jedenfalls auf Altbewährtes. Sie hat für die Wahlen bereits ein Bündnis mit der ultranationalistischen MHP gebildet. Erdogan rechnet damit, so bereits in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl die absolute Mehrheit zu erhalten.