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"Reaktion lautet: Verlasst die Eurozone"

Von Michael Schmölzer und Anja Stegmaier

Politik

Für Raiffeisen-Chefökonom Brezinschek ist das Programm der möglichen Regierung Italiens ein "Luftschloss".


Rom/Wien. Die graue Eminenz der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), Beppe Grillo, ist Starkomiker - doch den Freunden eines stabilen Europa ist eher zum Weinen zumute. Im Verein mit der rechtspopulistischen Lega könnte die als Spaßfraktion gegründete Bewegung so ziemlich alles über Bord werfen, was den Bestand der Gemeinschaft sichern soll. Die Populisten wollen in dem mit 132 Prozent des Brutoinlandproduktes rekordverdächtig verschuldeten Land alle Defizitlatten reißen, Steuern wie auch das Pensionsalter senken und ein eine Art Mindestsicherung, genannt "Bürgereinkommen", einführen.

Die Steuerausfälle werden auf 50 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt, das Bürgereinkommen würde 17 Milliarden kosten und die Pensionsreform ungefähr 26 Milliarden. Dem steht der europäische Stabilitätspakt im Weg, der die Neuverschuldung begrenzt und damit die Existenz des Euro sichern soll. Doch ist den beiden Anti-Systemparteien nichts heilig, eine Aufweichung des Paktes ist Bestandteil des Regierungsprogramms. Die Rede ist von einer "Generalrevision der europäischen ökonomischen Governance". Das soll gemeinsam mit anderen europäischen Partnern geschehen. Wie genau man das machen will, darüber steht im Koalitionsvertrag nichts. Unklar ist auch, was geschieht, wenn sich die EU-Kommission und Deutschland querlegen.

"Too big to fail?"

Ursprünglich wollte die Fünf-Sterne-Bewegung dem Euro den Rücken kehren, davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Ein Referendum über den Verbleib in der Eurozone soll es nicht geben und von der Forderung, die Europäische Zentralbank (EZB) solle einfach auf die Rückzahlung von 250 Milliarden Euro verzichten, wurde auch Abstand genommen.

Die Frage lautet trotzdem, wie lange Italien unter diesen Voraussetzungen seine Schuldenlast tragen kann. Immerhin handelt es sich hier nicht um Griechenland, sondern um ein Schwergewicht, die drittgrößte Volkswirtschaft innerhalb der EU.

Das macht Angst: Ökonomen wie Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) vertritt die Ansicht, dass Italien "too big to fail" ist. Die Eurozone, so Heinemann, sei erpressbar, weil sie einen finanziellen Kollaps von Italiens Staat und Banken um jeden Preis verhindern müsse. Das würde heißen, dass Italien, anders als Griechenland, bei einer Kraftprobe siegen würde und sich nicht den Forderungen der Geldgeber beugen müsste.

Bei dem sich abzeichnenden Poker zwischen der neuen Regierung in Rom und der Eurogruppe sei zumindest völlig unklar, wer gewinne, so der Wirtschaftsprofessor.

Peter Brenzinschek, Raiffeisen-Chefökonom, sieht das anders. Für ihn hätte die sich abzeichnende neue Regierung in Rom keine Chance, mit ihren Vorstellungen durchzukommen. "Verlasst die Eurozone" sei die einzige Ansage, die unter den gegebenen Bedingungen vorstellbar sei, so der Ökonom gegenüber der "Wiener Zeitung". Das Euro-Projekt habe eine "Solidargemeinschaft" zur Grundlage, derartig "egozentrisches Verhalten" könne nicht geduldet werden. Es könne nicht sein, dass die EZB gezwungen werde, einen maroden Staatshaushalt zu finanzieren. Es sei "die freie Entscheidung Italiens" zu gehen, man werde sicher nicht vor dem populistischen Duo "auf die Knie fallen".

Bei der Erstellung der wirtschaftspolitischen Forderungen der möglichen künftigen Koalition sei mit Sicherheit kein Ökonom eingebunden worden, so Brezinschek, es sei das Werk "von Kabarettisten" und "gegen jede ökonomische Vernunft". Das Programm sei ein "Luftschloss". Brezinschek sagt, er vertraue darauf, dass sich die ökonomische Vernunft durchsetzen werde. Immerhin profitiere Italien von seiner Mitgliedschaft in der Eurozone, so der Ökonom unter Verweis auf das von der EZB geschaffene Niedrigzins-Umfeld.

Premier offen

Italienische Ökonomen sehen pessimistisch in die Zukunft. So auch Emanuele Felice von der Universität Chieti-Pescara. "Ich glaube, dass die neue Regierung versuchen wird, Italien aus dem Euro zu führen", sagt der Ökonom gegenüber der "Wiener Zeitung". Denn die aktuelle Formulierung diesbezüglich im Programm sei nicht eindeutig. So heiße es etwa, dass man zur Situation vor Maastricht zurückkehren wolle. Darüber hinaus erwartet er eine Schwächung der Demokratie, ähnlich wie in Ungarn. "Obwohl die Fünf Sterne mit ihrem Wahlergebnis der stärkere Vertragspartner sind, hat die Lega sich in den Verhandlungen durchgesetzt", und diese treibe den Austritt maßgeblich voran, so Felice. Die Wahlversprechen der Lega und der Fünf Sterne seien zudem schlicht "unmöglich" umzusetzen. Der Ökonom rechnet mit baldigen Spannungen zwischen den Koalitionspartnern, aber auch zwischen der Regierung mit dem Staatsoberhaupt und der EU, "in ein bis zwei Jahren rechne ich mit neuen Wahlen", so Felice.

Noch ist die Koalition nicht perfekt, noch könnte die Populisten-Regierung scheitern. Die vergangenen zehn Wochen waren durch ein permanentes Hin- und Her gekennzeichnet, am Donnerstag meinte der Parteichef der Fünf Sterne, Luigi Di Maio, dass das Regierungsprogramm immer noch nicht komplett unter Dach und Fach sei.

Und noch immer ist nicht klar, wer die neue Regierung als Premierminister anführen soll. Bis dahin gilt der Vertrag als nicht geschlossen. Nach letztem Stand soll nicht ein Experte, sondern doch ein Berufspolitiker den Posten besetzen. Bis spätestens Montag sollen Staatspräsident Sergio Mattarella die Namen des Premiers und der Minister vorgelegt werden.