Zum Hauptinhalt springen

Der Online-Berlusconi

Von Anja Stegmaier

Politik

Was verbirgt sich hinter der direkten Demokratie der Fünf Sterne via Internetplattform?


Rom/Wien. Nachdem sich die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega in der vergangenen Woche auf ein Regierungsprogramm geeinigt haben, legen die Parteien am Wochenende den fertigen Koalitionsvertrag ihren Mitgliedern zur Abstimmung vor.

Eigentlich eine begrüßenswerte Sache. Insbesondere die Fünf Sterne mit ihrem Chef Luigi Di Maio haben seit Beginn ihrer Gründung von Star-Komiker Beppe Grillo und dem mittlerweile verstorbenen Internetunternehmer Gianroberto Casaleggio 2005 stark auf die Partizipation ihrer Mitglieder gesetzt. Und das vornehmlich digital.

Das klingt nach moderner Demokratie, doch das Internet als Werkzeug der direkten Teilnahme stellt sich auch als hilfreiches Instrument für Populisten dar. Enthusiasten und Neugierige feiern das Projekt, das - ermuntert durch den seinerzeit führenden Experten für Web-Marketing Casaleggio - Grillo mit dem Start seines Blogs initiierte. So konnte der heute 69-Jährige seine politischen Ideen nicht nur auf den Theaterbühnen verbreiten. Grillo, der eigentlich Computer hasste - am Ende einige seiner Shows zerstörte er immer wieder einen -, kürten internationale Medien kurz darauf zu einem der einflussreichsten und bekanntesten Web-Prominenten.

Das Beratungsunternehmen Casaleggio Associati, das heute Sohn und Fünf-Sterne-Aktivist Davide führt, managte Grillos Blog und war seiner Zeit voraus. Casaleggio senior verstand das Potenzial des Internets für die Politik. Er initiierte eine Art politisches Facebook, ein soziales Netzwerk "Freunde Beppe Grillos", in dem sich lokale Gruppen austauschten und Meet-ups organisiert wurden. 2013 zählte das Netzwerk bereits tausende Mitglieder.

Ehrlichkeit und Transparenz, diese Werte hielt Grillo allzeit hoch. Wir gegen die politische Elite, die aus korrupten und vorbestraften Politikern besteht. Deswegen auch das große V in "MoVimento". Der "Vaffanculo-Day" (V-Day), Verpiss-dich-Tag, brachte 2007 zehntausende Unterschriften ein, um ein Gesetz durchzubringen, das es unter anderem untersagt, dass Kriminelle politische Ämter ausüben können.

Ein Franchise-Unternehmen

Dabei ähnelt die selbst ernannte Bewegung, die Silvio Berlusconi als Feindbild erkoren hat, seiner Forza Italia mehr, als ihr lieb sein mag. Denn auch hier ist die Verquickung zwischen Partei und Unternehmen offensichtlich. Berlusconis Firma Fininvest unterstützte finanziell, personell und logistisch die Partei, bei den Fünf Sternen zieht Casaleggio Associati die Fäden, das aber an Größe und Einfluss Fininvest nicht das Wasser reichen kann. Berlusconi trat 1994 ebenso wie die Fünf-Sterne-Aktivisten als selbsterklärter Anti-Politiker an. Und beide Parteien haben das italienische Parteiensystem nachhaltig verändert.

Die Partei, die keine sein will, gleicht zudem eher einem Franchise-Unternehmen als einer Grassroot-Bewegung. Brand-Management, Marketing-Strategie, Finanzen und Personaltraining werden zentral kontrolliert, während die lokalen Gruppen dafür zuständig sind, das Produkt zu vertreiben und es regionalen Besonderheiten anzupassen. Lokale Aktivisten sind zwar frei in ihren Entscheidungen, manchen sogar zu frei - einige kritisierten vor den Parlamentswahlen 2013, dass sie zu wenig Unterstützung erhielten. Sobald ein Aktivist der Peripherie allerdings zu große mediale Aufmerksamkeit erhielt - und darin womöglich auch noch Kritik äußerte -, wurde dieser via Blogpost ohne Widerspruch ausgeschlossen.

Marketing-Experten am Werk

Seinerzeit standen Grillo und Casaleggio unhinterfragt an der Spitze, sie kontrollierten die Organisation. Heute bestimmt neben Di Maio Casaleggio junior den Weg für die Partei und das Treiben auf der Partizipations-Webseite (Launch April 2016), die sich angelehnt an ihre Prinzipien der direkten Demokratie Rousseau nennt - und über die die interne Willensbildung stattfinden soll.

Aktuell sind etwa 140.000 Mitglieder eingeschrieben, die über vorgelegte Nominierungen und Themen abstimmen und mit ihren Repräsentanten bis auf EU-Ebene direkt interagieren können. Die groß bejubelte Teilnahmemöglichkeit hielt sich aber in Grenzen. Zum einen, weil vielen Mitgliedern wohl das technische Know-how fehlte. Zum anderen wurden Gesetzesvorschläge, insbesondere von der Opposition, im seltensten Fall zur Diskussion freigeschalten.

Trotzdem glauben viele den Populisten, die verlautbaren, genau sie sind es, die dem Volk auf diese Art die Macht zurückgeben. Dabei inszeniert sich die Bewegung als jenseits von Ideologie und versucht, bei linken wie rechten Wählern zu punkten. Themen wie Umweltschutz und Anti-Globalisierung lockte zunächst Linke an, die sich bereitwillig engagierten. Sie wurden von der Bottom-up-Organisation angezogen. Die EU-Kritik, die Ablehnung der Staatsbürgerschaft für Immigrantenkinder und der EU-Erweiterung (laut Grillo vor allem Rumäniens, wegen der vielen Roma in Italien) sprach eine rechte Klientel an, der der Bühnenmann den charismatischen, autoritären Anführer gab.

Die daraus resultierende "Schwarmintelligenz", bei der jede Meinung zählt, egal ob wissenschaftlich fundiert oder wild spekuliert, ruft viele Kritiker aufs Tapet. Zum einen reichten bereits einige Dutzend Online-Stimmen aus, um Politiker in ranghohe Ämter zu katapultieren, und zum anderen führte etwa die 2015 geführte Anti-Impfkampagne der Fünf Sterne dazu, dass Meinungen unhinterfragt übernommen wurden und sich immer weniger Italiener gegen Masern impfen ließen.

Die direkte politische Teilnahme kann eben auch bewusst instrumentalisiert werden, um radikale und antidemokratische Ansichten durchzusetzen. Online wie analog gilt: Die Mehrheitsentscheidung darf nicht mit der demokratischen Entscheidung verwechselt werden.