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"Es wird Feuer vom Himmel regnen"

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Am Freitag entscheiden die Iren über eine Aufhebung des fast totalen Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen.


Dublin. Im wilden Nordwesten Irlands, auf dem Weg von Sligo nach Bundoran, staunten Autofahrer auf der Nationalstraße N15 vergangene Woche nicht schlecht. An der Flanke des berühmten Tafelbergs Ben Bulben waren über Nacht zwei riesige weiße Lettern erschienen, die sich ausnahmen wie ein wunderlicher Fingerzeig von Gott.

"NO" war das Wort, das offenbar eine dringliche Botschaft darstellte. Was damit gemeint war, wusste natürlich jeder vor Ort. Die Iren sollten mit Nein stimmen an diesem Freitag, beim Referendum zur Aufhebung des irischen Abtreibungsverbots.

Wie sich rasch herausstellte, hatte freilich kein höheres Wesen die Hand im Spiel bei der Wahl-Empfehlung. Für die Botschaft am Ben Bulben hatte der Regionalverband Sligo der sogenannten "Pro-Life"-Aktivisten gesorgt, die darauf hoffen, dass ihre Landsleute mit "No" stimmen werden - gegen die geplante Reform.

Einer von denen, die das "N" und das "O" mitten in der Nacht an der Nordseite des Bergs befestigt hatten, war ein örtlicher Abtreibungsgegner namens Tommy Banks, der erklärte, das Zeichen sei "ein Ruf aus den Bergen" gewesen, "um Irlands Babys zu retten". Die Aktion habe man für notwendig erachtet, "weil uns niemand hören will".

Nicht einmal der örtliche Geistliche hielt das für eine gute Idee. Father Christy McHugh meinte: "Solche Faxen brauchen wir nicht, um unsere Sache zu vertreten." Schnell waren zu Beginn dieser Woche die beiden Lettern wieder verschwunden. Der Gemeinderat hatte sie eilends abtragen lassen. Mary Casserly, eine Gemeinderätin, stöhnte: "Die Leute werden froh sein, wenn dieses Referendum ausgestanden ist."

Casserlys Meinung dürften viele Iren teilen. 35 Jahre nach dem ursprünglichen Abtreibungsreferendum, das der Republik Irland eines der schärfsten Abtreibungsverbote der Welt bescherte, hat der aktuelle Revisionsversuch erneut die bittersten Gefühle, den tiefsten Groll und sozialen Zwist ausgelöst.

14 Jahre Gefängnis

Seinerzeit, im Jahr 1983, hatte die damals noch alles dominierende römisch-katholische Kirche erreicht, dass das gesetzliche Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen des Landes per Volksabstimmung in die irische Verfassung aufgenommen wurde. Der Verfassungszusatz 8, das "Eighth Amendment", bestimmt seither, dass das Leben eines Fötus dem der Frau, die ihn trägt, gleichgestellt ist. Nur bei ausdrücklicher Lebensgefahr für die Schwangere ist ein Schwangerschaftsabbruch erlaubt.

Ärzte und Patienten, die gegen "das Achte Amendment" verstoßen, finden sich mit einer Gefängnisstrafe von 14 Jahren bedroht. Weder bei existenzbedrohenden Missbildungen des Fötus noch bei "bloßen" Gesundheitsproblemen, schwerer Depression oder Suiziddrohungen der Schwangeren darf in Irland ein Abbruch durchgeführt werden. Mädchen und Frauen, die vergewaltigt worden sind, müssen aus solchen Gewaltakten hervorgehende Kinder austragen. Ihnen bleibt keine andere Wahl in der irischen Republik.

Tragische Todesfälle

Schreckliche Vorfälle, die in den letzten Jahren Schlagzeilen machten, haben die absolute Härte dieser Verfassungsklausel illustriert - und immer wieder Empörung hervorgerufen. Einer der krassesten Fälle war der einer bereits klinisch toten Frau, die künstlich am Leben gehalten werden musste, weil niemand Hand an ihren Fötus legen durfte, wiewohl der keinerlei Aussicht auf Überleben hatte - solange die Schwangere selbst noch am Leben war.

In einem anderen Fall wurde einer Inderin, selbst Ärztin, ein Abbruch verweigert, obwohl sie inständig darum bat - und sich offenkundig in einem kritischen Zustand befand, als sie ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Eine Krankenschwester erklärte Savita Halappanavar, dass ein Eingriff nicht möglich sei, "weil wir ein katholisches Land sind".

Halappanavar starb kurz darauf an der septischen Fehlgeburt. Ihr Name wurde zum Fanal für die wachsende Schar der Gegner des Verbots. Amnesty International sprach von "mittelalterlichen Zuständen". Die Vereinten Nationen haben Irlands Umgang mit Frauen "unmenschlich" und "grausam" genannt.

Enorme soziale Folgen hat das "Achte Amendment" jedenfalls gezeitigt. Etwa 170.000 Mädchen und Frauen sollen über die Jahre zu einem Schwangerschaftsabbruch nach Großbritannien oder in andere europäische Länder mit liberaleren Gesetzen gereist sein.

Der endlose Zug der Hilfesuchenden ins Ausland - es sollen noch tausende Irinnen jährlich sein - wird seit der Aufnahme neuer Zusätze von der Verfassung ausdrücklich gebilligt. Nur im eigenen Land dürfen die Betreffenden keinen Abbruch vornehmen. Auch Abtreibungspillen, per Post aus dem Ausland bezogen und zunehmend benutzt von irischen Frauen, sind strikt illegal.

All dies Elend, all die schaurigen Vorfälle der Vergangenheit haben nach und nach zu neuen Reformbestrebungen geführt. Mit dem geschwundenen Einfluss der Kirche, vor allem nach der Enthüllung vieler verschwiegener Fälle von Kindesmissbrauch durch Priester, haben die Befürworter einer Liberalisierung Aufwind verspürt.

Politiker beziehen Stellung

Eine von der letzten Regierung einberufene "Bürgerversammlung", die Änderungsvorschläge ausarbeiten sollte, erwies sich als unerwartet reformfreudig. Und der jetzige Taoiseach (Regierungschef) Irlands, Leo Varadkar, seines Zeichens Mediziner und vormals Gesundheitsminister, wagte dieses Jahr den entscheidenden Schritt.

Varadkar rief, zusammen mit seinem Fine-Gael-Kabinett, das neue Referendum aus, das das "Achte Amendment" aus der Verfassung löschen und die künftige Regelung des Schwangerschaftsabbruchs ans Parlament übertragen soll. Gedacht ist an eine Zwölf-Wochen-Frist und danach an abgestufte, medizinisch gerechtfertigte Möglichkeiten von Eingriffen - für Irland eine Revolution. Zur allgemeinen Überraschung stimmte sogar der Vorsitzende der konservativen Fianna Fail, Micheál Martin, dem Plan zu. Obwohl sich die Hälfte seiner Fraktion zornig gegen ihn stemmte, erklärte Martin, er sei aus persönlichen Gründen "zu neuen Schlüssen gekommen".

Ähnlich hatte es Varadkar gesagt. So klar haben irische Politiker in dieser empfindlichen Frage in der Tat noch nie Stellung bezogen. Varadkar sprach von "einer Entscheidung, wie es sie nicht wieder geben wird für unsere Generation".

Diese Woche werde darüber befunden, "wie wir Frauen in Not in Zukunft behandeln wollen", sagte der Taoiseach. Jeder in Irland wisse, dass Abtreibung "auch in Irland eine Realität" sei. Man müsse das "jetzt akzeptieren und es vernünftig regulieren".

Auf der Gegenseite, bei den Nein-Sagern, hat der Multiparteien-Vorstoß Entrüstung provoziert - und das Gefühl, "zum letzten Gefecht" um eine höhere moralische Ordnung anzutreten. Abtreibung sei "eine kriminelle Praxis, die den Gesetzen der Moral widerspricht", verkündete Bischof John Kirby, Oberhirte der Diözese von Clonfert.

Sein Amtskollege Phonsie Cullinan, der Bischof von Waterford, erklärte, die Abstimmung am Freitag werde "darüber befinden, ob viele irische Babys leben dürfen oder sterben müssen". Es gehe hier um eine Entscheidung "über Leben und Tod".

Konservative machen mobil

Tausende junge Aktivisten, oft mit religiösem Hintergrund und häufig mit finanziellen Ressourcen aus auswärtigen Quellen, haben sich seither "in die Schlacht" geworfen, um einen Erfolg der Ja-Seite zu verhindern.

Es sind Leute wie der 20-jährige Student Gavin Boyne, der in den letzten Wochen von Kundgebung zu Kundgebung zog. Boyne lag daran, seiner Zuhörerschaft zu erklären, dass es ihn nie gegeben hätte, wäre das "Achte Amendment" nicht gewesen: "Respekt füreinander beginnt im Mutterschoß." Seinen letzten großen Auftritt, bei dem er enormen Applaus erhielt, hatte Boyne bei einer Großkundgebung an Marrion Square in Dublin, zu der Zehntausende aufmarschierten. Die Bewegung zum Erhalt des "Achten" trat am oberen Parkende unter dem Banner "Love Both", Liebe Beide (also den Fötus und die Schwangere), an.

Die Vorsitzende der Bewegung, Cora Sherlock, bezeichnete den Referendumsantrag als "eins der tödlichsten Abtreibungsgesetze, die es je gegeben hat". Menschliches Leben müsse "von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod geschützt bleiben - und zwar ausnahmslos".

Rhona Mahony, der Direktorin der auf der anderen Parkseite gelegenen Nationalen Mutterschaftsklinik Dublins, mussten die Ohren klingeln. Leute wie Mahony, dröhnte Sherlock in die erregte Runde, zeigten keinerlei Gefühl für die bedrohte Kreatur. Die Versammelten johlten zustimmend. Trikoloren und Banner mit der Aufschrift "No Licence to Kill", keine Lizenz zum Töten, wurden geschwenkt.

Mahony selbst, die zu einer Leitfigur des Reform-Lagers geworden ist, zuckte drüben in ihrer Klinik mit den Schultern: "So geht es einem eben in Irland, wenn man sich aus der Deckung wagt." Die Emotionen seien begreiflich. Leid tue es ihr natürlich, dass es "so viel persönliche Attacken" gegeben habe in der Kampagne. Und dass noch immer "Plakate wie die von 1983" an den Laternenpfählen hingen - direkt auf der Straße vor dem Spital.

In der Tat waren die überall ausgehängten Poster nicht zimperlich in ihrer Botschaft. "In England wird jedes fünfte Baby abgetrieben - bringt so etwas bloß nicht nach Irland!", suchte eines davon alte nationale Ressentiments zu wecken. "Ich bin neun Wochen alt und kann schon gähnen und kicken", ließ ein anderes einen groß abgebildeten Fötus erklären: "Don’t repeal me", schaff mich nicht ab.

Auf der anderen Seite verlangten Plakate progressiver Parteien "Mitgefühl" und "Fürsorge" für Frauen. "Mein Körper geht die Polizei absolut nichts an!", war die Botschaft einer Feministinnen-Organisation.

Ausgang noch ungewiss

Aufseiten der Ja-Sager proklamierte am selben Tag, an dem Sherlock ihre große Anti-Abtreibungskundgebung mobilisierte, eine Vertretung von 1060 Ärzten die Notwendigkeit radikalen Wandels. Für "unsichere Abtreibungen" und für "Angst bei Frauen und Ärzten" sein kein Platz mehr in Irland, sagten sie.

Ein paar unerwartete Rückschläge mussten die "Pro-Lifer" mit ihrer Love-Both-Kampagne hinnehmen - und es war nicht nur die Kritik von Father Christy McHugh an ihrem "NO"-Gag am Ben Bulben. Erst eröffnete ihnen der Verband katholischer Priester, es sein unakzeptabel, dass einzelne Pfarrgemeinden es Aktivisten erlaubten, ihre "Botschaft" von der Kanzler herunter zu verbreiten, wie zu früherer Zeit.

Dann verbot Google auf seiner Plattform Referendumsanzeigen, die von ausländischen Interessensgruppen bezahlt waren. Facebook verbannte wenig später gleich alle Werbung, die mit dem Referendum zu tun hatte: Ein harter Schlag für die Nein-Seite, die sich von Anfang an auf die Wirkung ihrer Web-Präsenz verließ.

Dennoch ist es allen Gegnern des "Achten Amendment" bewusst, dass sie dieses Referendum noch verlieren können. Letzte Umfragen sagen ihnen keinen sehr großen Vorsprung voraus. Und die Zahl derer, die angeben, sich nicht entscheiden zu können, oder die ihren Entscheid lieber für sich behalten möchten, liegt noch zwischen 15 und 20 Prozent.

Taoiseach Varadkar gestand diese Woche, er fürchte Schlimmes für Irlands Frauen, wenn das Referendum verloren gehe. "Wenn das Referendum nicht durchkommt", meinte er, "kann es keinen Wandel geben in diesem Bereich."

In seiner Post der letzten Wochen hat der Regierungschef Briefe gefunden, die ihm und der "Pro-Choice"-Gemeinde, den Reform-Befürwortern, den Rücken stärken. Aber auch Briefe, die ihm sagen, dass "Feuer vom Himmel regnen" und "ein Drittel der Menschheit auslöschen" werde, falls die Welt "die Sünde der Abtreibung" nicht für immer stoppt.

Klinikdirektorin Mahony wiederum fände es "furchtbar", wenn die Reform jetzt nicht käme. "Dann müssten Frauen weiter sterben, bevor ihnen ärztliche Fürsorge zuteilwerden kann. Dann gäbe es weiter Backstreet-Abortion, illegale Abtreibung. Vergewaltige Frauen würden wir weiter zwingen, ihre Schwangerschaften auszutragen. Und wir würde Frauen weiter massenhaft ins Ausland treiben." Für sie, sagt Rhona Mahony, wäre das "katastrophal".