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Der Mord, den keiner beging

Von Gerhard Lechner

Politik

Die Ukraine hat viel Vertrauen verspielt.


Das hat die Welt noch nicht gesehen: Ein Mord, der am Ende keiner war. Ein scheinbar geglücktes Attentat, das sich nach einem Tag in Luft auflöste. Der Tod des russischen Journalisten Arkadi Babtschenko in Kiew, die von der ukrainischen Polizei bestätigte Ermordung des Kreml-Kritikers und Kriegsreporters durch Schüsse in den Rücken – alles nicht wahr: Einen Tag nach seiner angeblichen Ermordung erschien Babtschenko lebendig und unverletzt bei einer Pressekonferenz des ukrainischen Geheimdiensts SBU in Kiew.

Die internationale Aufregung, die das vermeintliche Attentat ausgelöst hatte, der Streit zwischen Kiew und Moskau um die Schuld an dem Mord – alles hinfällig. Ein monatelang vorbereiteter Spezialeinsatz des SBU habe einen russischen Anschlag verhindert, erklärte SBU-Chef Wassyl Hryzak.

Doch – stimmt das auch? Bis jetzt wurde ukrainischen Angaben im Westen meist Glauben geschenkt. Nun aber sprechen auch wohlmeinende westliche Beobachter von Taschenspielertricks und einer schlechten Gaunerkomödie. Denn wenn, wie offiziell angegeben, die Enttarnungsaktion des vermeintlichen russischen Auftragskillers tatsächlich bereits seit Monaten lief – warum dann die makabre Pointe am Schluss unter Mitwirkung der internationalen Politik?

Selbst wenn der ukrainische Geheimdienst die Fakten korrekt wiedergibt: Für die Ukraine selbst ist gröberer Schaden entstanden. Das Land, das von seinen westlichen Partnern ohnedies wegen der immer noch grassierenden Korruption kritisch beäugt wird, steht einmal mehr als chaotisch und unberechenbar da. Die Lust des Westens, mit Kiew stärker zusammenzuarbeiten, könnte sich abschwächen, wenn das Vertrauen fehlt. Das wäre aber für eine Ukraine, die aus naheliegenden Gründen die Brücken nach Russland abgebrochen hat, fatal.

Für Journalisten kann die Lehre aus dem Fall Babtschenko nur lauten: Traue keinem. Wenn selbst Nachrichten über den Tod eines Menschen unter "Fake News" fallen, wenn es nicht mehr möglich ist, offiziellen Angaben zu unbestrittenen Fakten wie einer Erschießung zu trauen, ist für politisch Interessierte der Boden unter den Füßen weggebrochen. Babtschenko, der wagemutige Reporter des Tschetschenien-Kriegs, hätte gut in die lange Reihe ermordeter Kreml-Kritiker gepasst. Doch manchmal trügt der Schein - besonders in Osteuropa.