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Eingeschworen

Von WZ Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik

Die italienische Regierung steht. Die Vorstellungen des Wirtschafts- und Finanzministers Giovanni Tria haben es in sich.


Rom. Die seit drei Monaten andauernde Chaosphase der italienischen Politik ist zu Ende, vorerst zumindest.

Am Freitag vereidigte Staatspräsident Sergio Mattarella die Regierung der beiden populistischen und europakritischen Parteien Fünf-Sterne-Bewegung und Lega. Als Ministerpräsident amtiert der 53-jährige, parteilose Juraprofessor Giuseppe Conte, der es kommende Woche bereits mit den einflussreichsten Politikern des Westens beim G7-Gipfel in Kanada aufnehmen soll. Dort wird der der Fünf-Sterne-Bewegung nahestehende Premier unter anderem mit US-Präsident Donald Trump oder Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammentreffen.

Am Dienstag soll sich die Regierung im Parlament der Vertrauensfrage stellen. Luigi Di Maio, Chef der Fünf Sterne und Minister für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung, schrieb am Freitag in einer ersten Reaktion auf Facebook: "Es ist Zeit, dass das Land wieder in Schwung kommt." Di Maio versprach die Rentenreform rückgängig zu machen, ein Grundgehalt für Arbeitslose sowie den Mindestlohn einzuführen. Erst am Donnerstag hatten sich Fünf Sterne, Lega und Staatspräsident Mattarella überraschend doch noch auf ein Kabinett geeinigt.

Schlüsselposition Wirtschaft

Der Schlüssel dabei war die Besetzung des Wirtschafts- und Finanzministeriums, das angesichts der eurokritischen Tendenzen der Parteien sowie der extrem hohen Staatsverschuldung Italiens von besonderer Bedeutung ist. Amtsinhaber ist seit seiner Vereidigung am Freitag der römische Wirtschaftsprofessor Giovanni Tria, der bislang Dekan der angesehenen Wirtschaftsfakultät der römischen Universität Tor Vergata war. Der 69-Jährige gilt als Kritiker des Euro und der wirtschaftlichen Rolle Deutschlands in Europa, vertrat bislang aber keine allzu extremen Positionen.

In einem Artikel im Wirtschaftsblatt "Il Sole 24 Ore" vom März 2017 bestritt Tria die in Italien immer häufiger zu hörende These, die Gemeinschaftswährung sei der Auslöser vieler wirtschaftlicher Übel im Land. Es müssten "einvernehmliche Lösungen" gefunden werden, da ein einseitiger Euro-Austritt Italiens "nur Kosten und keine Gewinne" bringe, schrieb er. Der Ökonom kritisierte die deutsche Wirtschaftspolitik, insbesondere den Handelsüberschuss. Dieser verursache "mehr Schaden als ein Übermaß an Defizit", wie es Italien habe.

In einer anderen Publikation äußerte sich Tria vor seiner Nominierung positiv über die Pläne der Lega zur Einführung einer "Flat Tax", also niedriger, einheitlicher Steuersätze. Diese sollten mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer finanziert werden, so der Ökonom. Die Finanzierung der Wahlversprechen könnte zur Belastungsprobe für die neue Regierung werden. Dem von der Fünf-Sterne-Bewegung geforderten Grundgehalt steht Tria offenbar eher kritisch gegenüber.

Wichtige Personalrochaden

Die Nominierung Trias ist im Zusammenhang mit anderen Personalentscheidungen zu sehen. So rückte der umstrittene Ökonom Paolo Savona, den vor allem die nationalistische Lega als Chef des Wirtschafts- und Finanzministeriums vorgesehen hatten, auf den Posten des Europaministers.

Der 81-jährige hatte den Euro in seinen Memoiren als "deutschen Käfig" bezeichnet und den Austritt aus der Gemeinschaftswährung erwogen. Staatspräsident Sergio Mattarella sperrte sich deshalb gegen ihn als Haushaltschef des überschuldeten Landes.

Teil der Personalrochaden, die im letzten Moment die Regierungsbildung möglich machten, ist auch der parteilose Enzo Moavero Milanesi als Außenminister. Der 63-jährige gehörte bereits den gemäßigten, europafreundlichen Regierungen von Mario Monti und Enrico Letta an und steht den Christdemokraten nahe. Die drei wichtigsten Ämter im Kabinett werden damit von parteilosen Politikern besetzt.

Ebenfalls tonangebend im Kabinett dürften die beiden Architekten der Koalition werden. Der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, wurde Minister für Arbeit und ökonomische Entwicklung. In dieser Funktion hofft der 31-Jährige, das zentrale Wahlkampfversprechen seiner Partei wahr zu machen: die Einführung einer Mindestsicherung von 780 Euro für Arbeitslose.

Matteo Salvini, Parteisekretär der rechtsnationalen Lega, ist Innenminister. Salvini kündigte an, die finanzielle Unterstützung von Immigranten zu kürzen. Im Wahlkampf versprach die Lega Massenausweisungen und die Einführung eines Gesetzes für Selbstverteidigung. Die Lega, die bei den Wahlen am 4. März rund 17 Prozent der Stimmen erhielt, übernahm insgesamt sechs Ministerien, darunter die Ressorts für Inneres, Landwirtschaft und Bildung. Die Fünf Sterne, die rund 32 Prozent der Stimmen bekam, führt neun Ministerien, darunter die Ressorts für Verteidigung, Justiz und Umwelt.

Finanzmärkte beruhigen sich

Die internationalen Finanzmärkte, die auf die Regierungskrise in der vergangenen Woche drastisch reagiert hatten, beruhigten sich am Freitag. Die Mailänder Börse legte vorübergehend um 2,5 Prozent zu. Der sogenannte Spread, der die Kosten der italienischen Staatsverschuldung bemisst, ging zurück. Der Zinsaufschlag auf italienische Anleihen fiel am Freitag auf 214 Punkte zurück. Vor drei Tagen lag er noch bei mehr als 340 Punkten.

Beobachter führen das auf die vorübergehende Stabilisierung der politischen Lage in Rom zurück. Staatspräsident Mattarella hatte zu Beginn der Woche die Bildung einer neutralen Regierung unter Führung des Ökonomen Carlo Cottarelli ins Auge gefasst. Die Aussicht auf Neuwahlen im Sommer sowie die nervösen Reaktionen der Märkte auf dieses Szenario führten dazu, dass sich die Wahlsieger von Fünf-Sterne-Bewegung und Lega mit dem Staatspräsidenten doch noch auf eine Regierung einigten.

Internationale Reaktionen

Nur wenige Minuten nach der Vereidigung gratulierte der russische Staatschef Wladimir Putin dem neuen Premier. Er hoffe, dass die neue Regierung in Rom "zur "Entwicklung einer konstruktiven russisch-italienischen Zusammenarbeit beitragen" werde, schrieb Putin laut dem Kreml. Die Lega pflegt enge Kontakte zu Russland. Ihr Vorsitzender, der neue Innenminister Salvini, hat auch die von Russland annektierte Krim besucht.

EU-Ratspräsident Donald Tusk hat dem neuen Ministerpräsidenten Conte im Namen aller EU-Staaten gratuliert. "Ihre Wahl kommt zu einem entscheidenden Zeitpunkt für Italien und die gesamte Europäische Union", schrieb Tusk in einem Brief. Gleichzeitig appellierte er, zur Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen brauche es mehr denn je Geschlossenheit und Solidarität. "Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere Gemeinschaft nur dann aufblühen wird, wenn sie auf respektvollem Dialog und loyaler Zusammenarbeit beruht, die ich selbst bestmöglich sicherstellen werde."

Zitate

"Mit der Bildung der Regierung ist ein schwieriger Weg zu Ende."Sergio Mattarella,
Italiens Staatspräsident

"Wir werden entschlossen
handeln, um die Lebensqualität aller Italiener zu verbessern."

Giuseppe Conte nach einem Treffen mit Mattarella - vor seiner Vereidigung als Premierminister

"Die Italiener müssen sich um
die armen Regionen Italiens
kümmern, das bedeutet mehr
Arbeit, weniger Korruption, Ernsthaftigkeit. Italien muss
aufhören, dieses Spiel zu spielen, dass die EU an allem schuld ist."

Jean-Claude Juncker, EU-Kommissionspräsident

"Ich verlange vom Präsidenten der Europäischen Kommission, dass er die ihm zugeschriebenen Äußerungen sofort dementiert, denn wenn sie wahr sind -
sind sie inakzeptabel."

EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani

"Einsatz, Kohärenz, Gehör,
Arbeit, Geduld, gesunder
Menschenverstand, Kopf und Herz für das Wohl der Italiener."

Lega-Chef Matteo Salvini
auf Facebook

"Wir haben eine Regierung des Wechsels gebildet, die fünf Jahre lang im Amt bleiben soll."

Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio

"Danke an das Regierungsteam. Und an meine Frau. Italien zu
dienen war eine Ehre. Wir
übergeben das Land heute in
besserem Zustand als vor fünf Jahren."

Paolo Gentiloni, nunmehriger Ex-Premierminister

"Ich erwarte mir, dass sich diese Regierung auch den Schutz der Minderheiten zum Ziel setzt."Arno Kompatscher,

Landeshauptmann von Südtirol

"Bestimmte Ideen wird die Lega in der neuen Regierung schwer durchsetzen können."

Giorgia Meloni,
Parteichefin der "Brüder Italiens"

"Wir werden offen auf diese neue Regierung zugehen."

Steffen Seibert, Sprecher der deutschen Bundesregierung

"Das neue Kabinett ist ein
rechtes Populistenkabinett mit
einem gefährlichen Programm
für Italien."

Maurizio Martina, Interimschef der Partei der italienischen Sozialdemokraten (PD)