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Ein fliegender Wechsel

Von Konstanze Walther

Politik

Der Sozialist Pedro Sánchez ist neuer Regierungschef.


Madrid. Sieben Jahre stand Mariano Rajoy der spanischen Regierung vor. Das Ende kam binnen acht Tagen. Sogar 24 Stunden vor dem Misstrauensvotum war sich Rajoy noch sicher: Er wird auch diesen Kampf gewinnen.

Rajoys Parteifreundin, die konservative Parlamentspräsidentin Ana Pastor, hatte schließlich die Wahl des Misstrauensvotums just in der kürzestmöglichen Frist angesetzt, damit die Mehrheitsfindung möglichst schwierig wird. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Rajoy wurde am Freitag von der Mehrheit des Parlaments des Amtes enthoben.

Zur Erinnerung: Erst Freitag vor einer Woche hatte Pedro Sánchez, Generalsekretär der sozialistischen Partei PSOE, erklärt, die Minderheitsregierung von Rajoys konservativer PP sei nach der Verurteilung der Partei im Korruptionsprozess einen Tag zuvor nicht mehr tragfähig. Er, Sánchez, werde einen Misstrauensantrag gegen Rajoy einbringen. Und wie es Artikel 113 der spanischen Verfassung vorschreibt, muss Sánchez im Misstrauensantrag dann auch gleich einen neuen Ministerpräsidenten namhaft machen. Sánchez nominierte sich selbst.

Parlamentspräsidentin Ana Pastor setzte das Votum gleich eine Woche später an. Schon am darauffolgenden Freitag solle das Parlament entscheiden. Die Aussichten von Sánchez, der den erst vierten Misstrauensantrag der spanischen Republik eingebracht hat, waren mehr als gering. Viele Parteien schreckten davor zurück, Sánchez gleich zum Premier zu machen. Neben der PSOE unterstützten nur die linkspopulistischen Podemos von Anfang an den Misstrauensantrag.

Die liberalen Ciudadanos, die die Minderheitsregierung des PP in den vergangenen zwei Jahren gestützt hatten, plädierten dagegen auf Neuwahlen. Die Ciudadanos stimmten auch gegen den Misstrauensantrag.

Regionalparteien machten Sánchez zum Regierungschef

Die Wackelkandidaten waren von Anfang an die nationalistischen Parteien. Denn die witterten Morgenluft, für ihr Ja zum Misstrauensantrag Zugeständnisse verhandeln zu können. Die katalanischen Parteien signalisierten schon bald, sich für die Absetzung von Rajoy erwärmen zu können. Und zwar sowohl der separatistische konservative PDeCAT sowie die separatistische linke ERC. Und das, obwohl es ihnen nicht leicht fallen dürfte, Sánchez zum Premier zu küren. Schließlich hatte Sánchez Rajoy noch unterstützt, als Rajoy die katalanische Regionalregierung Ende Oktober 2017 abgesetzt hatte und die Autonomie der Region einkassiert hatte. Dass sich Sánchez gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens ausgesprochen hatte, ist eine Position, die man in Barcelona nicht vergessen kann. Am Mittwoch erklärte die ERC dennoch, sie werde Sánchez unterstützen. Donnerstag Nachmittag gab auch der PDeCAT bekannt, man werde "trotz der Diskrepanzen" mit Sánchez stimmen. Doch schließlich war der Hass auf Rajoy, der es ja auf den offenen Kampf mit den separatistischen Parteien in Katalonien ankommen hat lassen, offenbar groß genug. Die Tatsache, dass noch immer katalanische Politiker in spanischer U-Haft sitzen, und dass der abgesetzte katalanische Regierungschef Carles Puigdemont nun demnächst wirklich an Spanien ausgeliefert werden soll, hat sicher vielen Separatisten zu denken gegeben. Schließlich hat die spanische Regierung ja grundsätzlich die Möglichkeit, Amnestien zu erlassen.

Sargnagel für Rajoys Regierung war schließlich die konservative nationalistische Baskenpartei PNV, die vor kurzem noch für Rajoys Budgetentwurf gestimmt hatte und sich eigentlich bei dem Votum enthalten wollte. Stattdessen habe man Rajoy angefleht, doch zurückzutreten, damit jemand anderer aus dem PP nachrücken kann. Aber Rajoy ließ nicht mit sich reden. Und damit war für den PNV klar: Rajoy werde eher früher oder später Geschichte sein, und man werde diese instabile Regierung nicht länger unterstützen.

Damit hatte Sánchez 180 Stimmen, sogar vier mehr, als die absolute Mehrheit ausgemacht hätte. Freitagfrüh war klar: Rajoys Stunden sind gezählt. Es war eine Premiere: Noch nie in der Geschichte von Spanien hat es einen erfolgreichen Misstrauensantrag gegen einen amtierenden Premier gegeben. Diese Art des Impeachments ohne den daraus resultierenden Neuwahlen ist eher aus jenen Demokratien bekannt, die auf einem Präsidialsystem beruhen, so wie etwa die USA oder Brasilien.

Und da dieser Impeachment-Artikel der erst seit 40 Jahren bestehenden spanischen Verfassung noch nie erfolgreich angewendet worden ist, trieb Spanien am Freitag vor allem die Frage um: Wie geht es weiter?

Sánchez will sozialistische Minderheitsregierung

Die Hoffnung vieler Parteien auf Neuwahlen dürfte jedenfalls enttäuscht werden. Sánchez verspricht "Stabilität", was gleichbedeutend mit dem Durchregieren der nächsten eineinhalb Jahre bis 2020 ist. Nicht einmal Rajoys jüngstes Budget will er antasten. Und er hat ehrgeizige Pläne: Sánchez will eine rein sozialistische Minderheitsregierung bilden. Wie lange diese sich halten könnte, ist mehr als fraglich. "Ich hoffe, er wird nicht versuchen, mit nur 84 Abgeordneten zu regieren", erklärte etwa Podemos-Chef Pablo Iglesias, der oftmals an diesem Freitag betonte, er und seine Bewegung stünden für eine Teilnahme an einer Koalitionsregierung bereit. Spanien brauche Stabilität, was eben nur mit einer Mehrheit durch die Abgeordneten der Bewegung Podemos möglich sei.

Iglesias wollte schon nach den Wahlen 2015 mit Sánchez koalieren, der aber damals die Populisten scheute wie der Teufel das Weihwasser. Sánchez hatte mit den liberalen Ciudadanos koalieren wollen, doch diese Regierungsbildung war im Parlament gescheitert, weshalb es nach einem Patt 2016 zu Neuwahlen kam. Rajoys PP wurde dann schließlich doch mit der neuerlichen Regierungsbildung beauftragt. Parallel dazu wurde Sánchez parteiintern als Generalsekretär gestürzt. Er legte damals auch sein Parlamentsmandat nieder, um sich zurückzuziehen.

Doch ein halbes Jahr später stieg er wieder in die Politik ein, und wurde 2017 erneut zum Generalsekretär des PSOE gewählt. Pikanterweise verfügte der nunmehrige Premier Spaniens bis zuletzt nicht einmal über einen Sitz im Abgeordnetenhaus.

Die Atmosphäre zwischen Iglesias und Sánchez ist inzwischen deutlich besser. Sánchez habe sich bei ihm entschuldigt, dass er damals den Ciudadanos vertraut hatte, so Iglesias. Nach der Wahl von Sánchez umarmten sich Iglesias und Sánchez sogar, ein Bild, das früher undenkbar gewesen wäre.

Überhaupt kam es zu vielen Umarmungen an jenem Freitag im spanischen Parlament. Umarmungen des Erfolges, Umarmungen des Abschieds. Auch Tränen waren an der Tagesordnung.

Rajoy hielt vor dem Votum seine Abschiedsrede

Der Erste, der Sánchez zur Gratulation die Hand schüttelte, war allerdings Mariano Rajoy selbst. Der abgesetzte Premier erschien kurz vor dem Misstrauensvotum im Parlament und hielt eine Abschiedsrede, im Bewusstsein, dass es zu Ende geht. Er sei stolz, Spanien in einem besseren Zustand hinterlassen zu haben, als er das Land vorgefunden habe. Und auch wenn er nicht mit dem Argument einverstanden sei, auf dem dieses Misstrauensvotum beruht (dass der PP durch die Urteile im Korruptionsprozess nicht mehr regierungsfähig sei, Anm.), so respektiere er, Rajoy, den demokratischen Prozess. Er wolle auch der Erste sein, der nach dem Votum Sánchez gratuliere, erklärte Rajoy in seiner Abschiedsrede, bevor er das Rednerpult verließ, seinen Sitz in der ersten Reihe einnahm und die halbstündige Abstimmung abwartete.

Dann zählte die Parlamentspräsidentin Pastor offiziell die Stimmen aus, das Ergebnis war damit klar. "Gracias, Señor Presidente" - "Danke, Herr Präsident", sagte Pastor, und meinte Rajoy. "Danke, Herr Präsident", wiederholte sie anschließend denselben Satz, und meinte diesmal Sánchez, der nun zum siebenten Premier Spaniens gekürt wurde. Der plötzliche Machtwechsel kam einer Operation ohne Anästhetikum gleich, so spanische Journalisten.