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Die katalanische Gretchenfrage

Von Konstanze Walther

Politik

Spaniens neuer Premier Pedro Sánchez muss nicht nur Mehrheiten im Parlament zum Überleben in Madrid finden. | Er benötigt auch eine Antwort auf die Katalonien-Krise, die über ein "Bereitsein zum Dialog" hinausgeht.


Madrid. Händeschütteln mit dem Staatsbesucher. Der Neo-Hausherr gibt sich betont strahlend. Fast unsicher erscheint der Gast.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko war am Montag zu Besuch in Madrid. Und dieser hatte sich wohl ursprünglich auf ein anderes Gegenüber eingestellt. Doch Spaniens Regierungschef sieht am Montag ganz anders aus, als es noch Freitag Vormittag der Fall war. Denn nach sieben Jahren als Premierminister war dem Konservativen Mariano Rajoy Freitagvormittag das Misstrauen im Parlament ausgesprochen worden. Und damit wurde jene Person, die erfolgreich den Misstrauensantrag durchgebracht hat, automatisch zum nächsten Premier. Das war in dem Fall der Generalsekretär der spanischen Sozialisten PSOE, Pedro Sánchez.

Schon Tags darauf, am Samstag, war Sánchez offiziell als neuer spanischer Premier eingeschworen worden. Er verzichtete dabei übrigens als erster spanischer Regierungschef überhaupt auf Kruzifix und Bibel als Schwurrequisiten. Anwesend waren aber natürlich bei der Zeremonie am Samstag Spaniens König Felipe VI. sowie der gestürzte Premier Mariano Rajoy.

Am dritten Tage, dem Sonntag, war in der spanischen Politiker-Riege erst einmal Ausruhen auf dem Programm. Schließlich waren die Ereignisse in den Tagen davor dicht gedrängt gewesen, niemand konnte viel Schlaf abbekommen haben.

Das Tête-à-tête mit dem ukrainischen Staatschef Poroschenko, das Repräsentieren nach außen gehört derzeit sicher zu den angenehmsten Aufgaben des spanischen Staatschefs. Denn im Inneren brodelt es nach dem Regierungswechsel weiter.

Da sind zum einen die Mehrheitsverhältnisse. Noch hat Sánchez sein Kabinett nicht vorgestellt. Aber er will an dem Vorhaben festhalten, mit einer rein aus Sozialisten bestehenden Minderheitsregierung bis zum Ende der Legislaturperiode 2020 zu regieren. Sánchez sieht es als ein Schaulaufen an, um dem Volk zu zeigen, wie eine sozialistische Regierung in Spanien gestalten würde. Damit die Sozialisten bei der nächsten Wahl vielleicht wieder stärkste Kraft werden. Und jedenfalls damit man die Wähler von der Strahlkraft der Altpartei überzeugen kann. Schließlich müssen die Sozialisten nicht nur gegen die Konservativen antreten, sondern auch gegen die beiden verhältnismäßig jungen Kräften von den linken Podemos und den bürgerlichen Ciudadanos, die seit 2015 empfindlich am Wählerstock der Großparteien nagen.

Doch ob dieses Schaulaufen der Sozialisten von Erfolg gekrönt ist, darf angesichts der Mehrheitsverteilung im Abgeordnetenhaus und Senat bezweifelt werden. Schließlich haben die Sozialisten im Abgeordnetenhaus nur 84 von 350 Sitzen. Und im Senat besitzen sie sogar nur 62 der 266 Sitze. Dort hat die konservative Volkspartei PP mit 149 Sitzen sogar die absolute Mehrheit. Und der PP hat eine "harte Oppositionsarbeit" angekündigt. Ebenso die Ciudadanos, die stets für Neuwahlen plädierten und kein Interesse daran haben, die Regierung Sánchez zu dulden.

Schließlich wurde auch der Wunsch von Podemos, in die Regierung eingebunden zu werden, am Wochenende eindeutig abgeschmettert: Es werde nur sozialistische Minister geben.

Separatisten erbrachteneine Vorleistung

Die Schwierigkeit der Mehrheitsverhältnisse speist nahtlos einen weiteren innenpolitischen Problemkreislauf. Gemeint ist natürlich die Krise um Katalonien.

Sánchez hat Rajoy nur mit Hilfe der separatistischen Parteien aus Katalonien (und dem Baskenland) stürzen können. Laut den Sozialisten habe es keine Abmachungen für Gegengeschäfte gegeben. Aber natürlich ist klar, dass mit dem Wegfall von Rajoy wieder Spielraum in die verhärteten Fronten gekommen ist. Ebenso ist klar, dass sich die Separatisten ein gewisses Entgegenkommen erwarten. Doch die Mehrheit der Spanier würde gerne darauf verzichten, dass man mit einer Regierung in Barcelona paktiert, die ganz klar gesagt hat, das Ziel sei eine unabhängige Republik.

Am Montag sendeten die Sozialisten dann auch zweideutige Signale Richtung Barcelona. In Bezug auf die noch immer in U-Haft sitzenden katalanischen Politiker könne man als Legislative nicht Einfluss nehmen - weder auf den Ort der U-Haft (nämlich vor den Toren Madrids), noch den juristischen Prozess. Aber, so hieß es doch auch deutlich, man denke schon über eine Begnadigung der Politiker nach Prozessende nach, etwa aus menschenrechtlichen Gründen.

Seit Samstag hat Katalonien wieder eine eigene Regierung. Möglich gemacht wurde das, weil die aktuelle katalanische Kabinettsliste die Zustimmung von Madrid (noch unter Rajoy) erlangt hat - am Freitag wurde die Liste im spanischen Amtsblatt veröffentlicht. Einen Tag später war die katalanische Regierung damit in Amt und Würden. So sollte es zumindest sein - die Zwangsverwaltung durch Artikel 155 der spanischen Verfassung sollte automatisch enden. Eigentlich.

Katalanisches Budget bleibt in der Hoheit von Madrid

Der katalanische Präsident Quim Torra hat auch sogleich am Sonntag die Gretchenfrage gestellt, wie es die Sozialisten denn nun mit der Unabhängigkeit Kataloniens halten. PSOE-Sekretär José Luis Ábalos wurde losgeschickt, um hier "Klarheit" zu schaffen. Man werde den "Dialog" mit Katalonien ermöglichen. Allerdings würden die Sozialisten auch nicht von ihrer ursprünglichen Position abrücken, dass die Einheit des spanischen Gebietes gewahrt bleiben müsse. Und um diese Position zu unterstreichen, haben die Sozialisten entschieden, dass Katalonien - noch? - nicht seine Budgethoheit zurückbekommt. Obwohl die Autonomie wiederhergestellt und der katalanische Minister für Finanzen ebenfalls vereidigt wurde. Die Budgethoheit werde schon mit der Zeit wieder kommen, hieß es aus Madrid.