Brüssel/Tirana. (red) Steht entlang der sogenannten Balkanroute ein neuerlicher Ansturm von Flüchtlingen bevor? Auf diese Frage gibt es unterschiedliche Antworten. Die österreichische Bundesregierung sieht die Gefahr sehr klar. Für den ehemaligen Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa, Ex-Vizekanzler Erhard Busek, ist das alles nur politisch inszeniert. Dem widerspricht allerdings Albaniens Vize-Innenministerin Romina Kuko, die von einem messbaren Anstieg der Flüchtlingszahlen auf einer neuen Balkanroute spricht.
Busek sieht jedenfalls in Warnungen vor dem Entstehen einer neuen Fluchtroute in erster Linie eine politische Vermarktungssache: "Wie kann ich den Eindruck erwecken, dass ich eine allfällige Belastung durch Flüchtlinge reduziere oder verändere. Diese Dinge muss man meistens sehr simpel machen. Daher war da relativ einfach: Balkanroute", so der Ex-Vizekanzler. Bundeskanzler Sebastian Kurz sei es gelungen, die Komplexität der Materie zu umgehen und die sogenannte Balkanroute zu einem Standard zu machen, meinte der 78-Jährige.
"Jeder denkt an sich"
Dies habe den positiven Effekt gehabt, dass es zu einem besseren Informationsaustausch und zu mehr Kooperation von Staaten und Behörden geführt hat. Was allerdings jetzt, mit Albanien im Fokus der Flüchtlingsthematik, eine Rolle spiele, sei die Fragestellung: "Wie kann ich wieder eine Angst erzeugen, wo ich signalisieren kann: Ich bin der, der das im Griff behält", analysiert Busek. "Die Wanderungsbewegungen, die da verkauft wurden, die gibt es nicht. Es ist keine einzige Zahl genannt worden bisher. Das Einzige, was der Innenminister (Herbert Kickl, FPÖ) irgendwo sagt, ist: Da und da sind die Meldungen gestiegen, aber die sind alle nicht so tragisch hoch."
Kritisch sieht Busek auch die innereuropäischen Grenzschutzmaßnahmen, insbesondere die Errichtung von Zäunen: "Dem allgemeinen europäischen Verständnis schadet es." Man versucht immer, die Belastung in einer Frage jemand anderem zuzuschieben. Das ist dieser Satz, den ich so liebe und der in Wien zuhause ist und der lautet: Ein jeder denkt an sich, nur ich denk an mich. Das ist so die Grundhaltung, die hier existiert, in der Politik allgemein." Österreich sei hier nicht allein: "Das fängt mit America First an und geht dann durch alle Regierungen durch."
"Es gibt mehr Migranten"
Die in Österreich oft zu schwarzen Schafen gemachten Staaten Ungarn und Polen nimmt Busek teilweise in Schutz: "In einem Punkt hat Orbán recht gehabt. Das, was die EU nicht gemacht hat, und das gilt für alle EU-Regierungen unter Einschluss der österreichischen: Wir haben die Leute, die gekommen sind, nicht aufgeschrieben, sondern gesagt: Gehts weiter! (. . .) Nach den rechtlichen Regelungen der EU hätten die registriert werden müssen."
Albaniens Vize-Innenministerin Romina Kuko bestätigte allerdings die Angaben der österreichischen Bundesregierung über eine neue Balkanroute über Albanien. "Natürlich gibt es einen Anstieg von Migranten auf dieser neuen Route", so die Vize-Ministerin. Von 1. Jänner bis 28. Mai habe es einen "deutlichen Anstieg" von 1049 Migranten aus Griechenland gegeben, dies sei mehr als die Hälfte mehr als im Vergleich zu den Zahlen von 2017.
Grund für den Anstieg sei die Schließung der nördlichen Route über Mazedonien und Serbien. Es gebe eine neue Welle von Migranten, die sich von Griechenland auf den Weg machten. Ein weiterer Grund für den Anstieg sei das milde Frühjahrsklima, sagte Kuko. Der Hälfte der Ankommenden seien Syrer, der Rest umfasse Afghanen, Pakistani, Iraker und Migranten aus Libyen.
Albanien will jetzt eine Initiative Österreichs und Dänemarks unterstützen, wonach abgewiesene Asylwerber in einem Asylzentrum außerhalb der EU untergebracht werden können. Albanien sei bereit, eine solche Initiative zu unterstützen, so die stellvertretende albanische Innenministerin Romina Kuko. Die Politikerin wollte aber nicht sagen, ob Albanien als Standort für ein solches Zentrum in Frage käme. Man müsse dies zuerst mit den Nachbarstaaten diskutieren, etwa mit Mazedonien.
Europol-Treffen in Wien
Die Vize-Innenministerin erklärte weiters, dass am 18. und 19. Juni in Wien ein Treffen im Rahmen einer Europol-Taskforce mit den Westbalkan-Staaten stattfinden werde. "Nachher wird das Bild klarer sein." Das österreichische Büro bei Europol habe eine Einladung verschickt. Kuko kündigte außerdem ein Treffen von EU-Staaten im Oktober in Tirana an, um diese Asyl- und Migrationsfragen zu diskutieren.
Mit Österreich gebe es bereits eine exzellente Zusammenarbeit, mit dabei sollen auch Griechenland, Deutschland und Dänemark sein, sagte die Vize-Ministerin. Die Einladung werde aber nicht auf wenige Staaten beschränkt sein, sondern auf alle EU-Staaten ausgedehnt werden.