Wien/Berlin/Brüssel. "Unser Ziel muss sein, die illegale Migration so weit wie möglich zu stoppen." Dieses Zitat stammt nicht von Horst Seehofer oder einem anderen CSU-Politiker, der mit Angela Merkel ob ihrer Flüchtlingspolitik im Clinch liegt. Sondern von der deutschen Kanzlerin selbst, die ihrem Satz die Forderung nach einem stärkeren EU-Außengrenzschutz folgen ließ. Getätigt hat Merkel diese Äußerungen nicht dieser Tage. Sondern 2016.

In jenem Jahr erreichte die Zahl der Erstanträge auf Asyl ihren Höchststand. 1,2 Millionen waren es in der gesamten EU. Davon entfielen mehr als 720.000 Personen auf Deutschland, in Österreich waren es knapp 40.000. Von diesen Zahlen ist Europa aktuell meilenweit entfernt, 2017 wurden in der EU um 46 Prozent weniger Asyl-Erstanträge als im Jahr zuvor gezählt. Maßgeblichen Anteil daran hatten der Flüchtlingsdeal mit der Türkei sowie die Schließung der sogenannten Balkanroute. Und auch die bisher für 2018 vorhandenen Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Von Jänner bis März waren es nochmals 29 Prozent weniger Anträge als in den ersten drei Monaten des Vorjahres.

"Null Beweise"

Italien etwa, dessen neue Regierung öffentlichkeitswirksam dem Rettungsschiff "Aquarius" verbot, einen italienischen Hafen anzulaufen, verzeichnete von Jänner bis April rund 9400 Bootsflüchtlinge - um 27.000 Personen weniger als im Vorjahreszeitraum.

Auch die Furcht vor einer neuen Balkanroute über Albanien und Bosnien-Herzegowina in das EU-Land Kroatien deckt sich bisher nicht mit den Statistiken, auch wenn mehr Personen als im Vorjahr gezählt wurden. Bis Ende Mai wurden in Bosnien 5116 illegal eingereiste Menschen registriert. In Albanien sind es je nach Quelle 2000 bis 2400 Personen. Für eine "Flüchtlingswelle" sieht daher Erion Veliaj, Bürgermeister der Hauptstadt Tirana, "null Beweise". Eine Wiederholung von 2015 und 2016 ist derzeit also nicht in Sicht, eben weil quer durch Europa der Kurwechsel stattgefunden hat. Die CSU suggeriert nun jedoch, es gebe ein "Weiter so".

Die drängende Frage lautet aber, wie mit bereits angekommenen Asylwerbern verfahren werden soll. Nationale und europäische Perspektive gehen dabei auseinander. Innenminister Seehofer trifft aus nationaler Sicht einen Nerv mit seiner Forderung, Personen, die bereits in einem anderen EU-Land registriert worden sind, müssten an der Grenze zurückgewiesen werden. Schließlich fielen darunter fast 42.000 der 198.000 Asyl-Erstantragsteller im Jahr 2017. Abgeschoben wurden aber nur 7000. Die Gründe reichen von Untertauchen über Verzögerungen durch Klagen bis dahin, dass erstregistrierende Staaten die Rücknahme verweigern.