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Noch Herr im Haus?

Von Gerhard Lechner

Politik

Es ist fraglich, ob Langzeitpräsident Alexander Lukaschenko noch alles unter Kontrolle hat.


Minsk/Moskau. Alexander Lukaschenko ist ein Mann, der sein Herz gerne auf der Zunge trägt. Der weißrussische Langzeit-Präsident, der sein Land seit seiner Wahl 1995 autoritär regiert, gilt als Instinktpolitiker, der stets so spricht, als würde er laut nachdenken. Politik hat der ehemalige Leiter einer Kolchose nicht auf Parteiversammlungen, die es in der Sowjetunion nicht gab, sondern in den Badehäusern seines Heimatdorfes gelernt. Seine Minister und sonstigen Untergebenen rüffelt er, ganz wie sein russischer Amtskollege Wladimir Putin, gerne öffentlich und im Beisein von Kameras, um seine Autorität zu demonstrieren.

Lukaschenkos Anhänger sehen in dem ehemaligen politischen Kommissar der Roten Armee einen ebenso strengen wie gerechten "Hosjain doma", einen Hausherrn, der im Staat für Ordnung sorgt. Und das bereits seit 1995, als er als krasser Außenseiter und vermeintlicher Korruptionsbekämpfer völlig überraschend die wohl einzig freien weißrussischen Präsidentenwahlen gewann - gegen den Kandidaten des damaligen kommunistischen Partei-Establishments, Wjatscheslaw Kebitsch. Man könnte meinen, einen Mann, der sich mit allen möglichen Tricks seit mehr als 22 Jahren an der Macht hält, kann so schnell nichts erschüttern.

"Irgendeinem Staat anschließen"

Doch in letzter Zeit wirkt Lukaschenko zunehmend nervös. In Schklow, einer Kleinstadt, die nur wenige Kilometer von seinem Heimatdorf Kopys entfernt liegt, klang er bei einem Besuch eines Agrarbetriebs kürzlich ein wenig wie ein Bußprediger. Der 64-Jährige warnte seine Landsleute davor, dass Weißrussland, wenn es seine wirtschaftliche Lage nicht bald verbessere, seine Unabhängigkeit einbüßen könnte. Wenn Belarus es nicht schaffe, im Wettbewerb zu bestehen, dann "müssen wir uns entweder irgendeinem Staat anschließen, oder man wird uns herumschikanieren. Schlimmstenfalls könnte - Gott bewahre - ein Krieg wie in der Ukraine gegen uns entfesselt werden", erklärte Lukaschenko.

Es ist nicht schwer, zu erraten, welchen Staat Lukaschenko diesbezüglich fürchtet: Russland. Das Klima zwischen Minsk und Moskau hat sich schon seit Jahren spürbar verschlechtert. Und das, obwohl Weißrussland Russlands engster Alliierter ist - und Lukaschenko alles andere als "russophob": Schließlich hatte der Minsker Langzeitherrscher noch in den 1990er Jahren mit dem damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin die Schaffung eines russisch-weißrussischen Unionsstaates vereinbart. Lukaschenko dürfte damals Hoffnungen gehegt haben, dem schwer kranken Jelzin im Kreml nachzufolgen.

Diese Hoffnungen sind mit Putins Amtsantritt zerstoben. Dennoch verfolgte Lukaschenko auch in den Folgejahren keine Politik der Abkehr von Russland. Kein Wunder: Kein Staat ist so eng mit Russland verbunden wie der kleine westliche Nachbar. Im Land wird in erster Linie russisch gesprochen. Das weißrussische Nationalgefühl wird zwar mit zunehmender Dauer der Unabhängigkeit stärker, ist aber deutlich schwächer ausgeprägt als etwa in der Ukraine. Und wirtschaftlich ist Minsk, das von billigen russischen Gaslieferungen abhängig ist, fest im russischen Orbit verankert.

Klima verdüstert sich

Dennoch ist keineswegs alles eitel Wonne zwischen den beiden Partnerstaaten. Das wurde letzte Woche auch bei einem Treffen zwischen Putin und Lukaschenko in Minsk deutlich. Weißrussische Medienkommentatoren orakeln, dass Putin sein Gegenüber unter Druck gesetzt haben muss und dass das der Grund für Lukaschenkos Gefühlsausbruch in Schklow war. Das Vieraugengespräch, heißt es, sei äußerst hart gewesen, von für Lukaschenko unerfüllbaren Forderungen ist die Rede. Welche das gewesen sein sollen, wurde nicht genannt.

Seit Putins Amtsantritt hat sich das Klima zwischen Minsk und Moskau vor allem in Handelsfragen schrittweise verdüstert. So warf der Kreml beispielsweise seinem weißrussischen Nachbarn das Unterlaufen der russischen Lebensmittel-Sanktionen gegen die EU vor. Man verhängte Einfuhrverbote gegen bestimmte Lebensmittel aus Belarus und führte zwischen den beiden Unionsstaaten wieder Grenzkontrollen ein. Lukaschenko warf darauf dem Kreml die Entfesselung eines Handelskrieges vor. Auch über die Höhe der Gaspreise gab es in den letzten 18 Jahren immer wieder gröberen Dissens.

Es sind jedoch nicht nur Handelsfragen, die einen Keil zwischen Russland und Belarus treiben. Vor allem seit 2014, seit der Revolution auf dem Maidan in der Ukraine, der Annexion der Krim und dem darauf folgenden Krieg im Donbass, hat sich Lukaschenkos Neigung zu Russland deutlich abgekühlt. Lukaschenko, der noch lange Staatschef bleiben will und der seinen Posten nach der Präsidentschaft am liebsten an seinen noch minderjährigen Sohn abtreten würde, sieht sich von Ost wie West bedroht: Er fürchtet die westliche Menschenrechtspolitik und den ihm drohenden "Regime Change" ebenso wie russische Ansprüche, die seine Macht in Belarus unterminieren könnten.

Wegen dieser Ansprüche sucht Lukaschenko ostentativ Kontakt zum Westen und bietet sich im Ukraine-Konflikt als Vermittler an. Den Besuch der Präsidenten Deutschlands, Österreichs, Polens und Israels, der aus gutem Grund stattfindet, wird er für sich zu nutzen wissen. Seine Menschenrechtspolitik hat er dabei auch nach dem Ende der EU-Sanktionen gegen Belarus nicht geändert: Bei Protestkundgebungen werden Oppositionelle regelmäßig festgenommen.