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"Manche haben fantastische Illusionen"

Von Martyna Czarnowska

Politik

Spitzendiplomat Schusterschitz über Probleme im Umgang mit den Briten bei den Brexit-Gesprächen.


"Wiener Zeitung":Sie sind Mitglied der Arbeitsgruppe der 27 EU-Staaten, die sich auf die Trennung von Großbritannien vorbereiten. Worüber lässt sich da reden, wenn sich die Briten selbst nicht klar äußern?

Gregor Schusterschitz: Einerseits beraten wir über unsere eigene Position - und zwar hinsichtlich verschiedener Optionen. Je nachdem, wie sich die britischen Standpunkte verändern, können auch wir andere einnehmen. Aber es steht und fällt mit den britischen roten Linien. Und das ist dann das Zweite, das wir machen: Wenn die britischen Vorschläge kommen, diskutieren wir sie intern und überlegen, wie realistisch sie sind.

Da liegen ja die Schwierigkeiten: Die britischen Vorstellungen zur Handelspolitik beispielsweise passen nicht zu den EU-Vorgaben.

Die roten Linien in London sind klar. Die Briten wollen eigene Handelsverträge schließen. Sie lehnen die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ab und möchten eigene Gesetze beschließen. Danach müssen wir unsere Verhandlungen ausrichten. Wenn die Briten etwa die Kompetenz des EuGH in einigen Bereichen akzeptieren würden, wäre die Zusammenarbeit auf diesen Gebieten einfacher.

Und wo befinden sich hier die roten Linien der EU?

Wir haben klare Grundsätze in Bezug auf Drittstaaten. Dazu gehört, dass die vier Grundfreiheiten - wie Personen- und Warenfreizügigkeit - gelten und dass der Binnenmarkt unteilbar ist. Das ist nicht debattierbar. Wir alle haben Souveränität abgegeben, und jeder muss die Urteile des EuGH akzeptieren. Das tun eben alle, und es kann sich nicht ein Land nur Teile herausnehmen, die ihm gefallen. Dann würde nämlich auch das gesamte Abkommen der anderen untereinander auseinanderbrechen. Wenn die Briten also Zugang zum Binnenmarkt haben wollen, müssen sie die vier Grundfreiheiten akzeptieren. Bei Handelsverträgen ist es ähnlich. Es geht um Zollvereinbarungen oder gewisse Produktstandards - das möchte Großbritannien autonom festlegen. Wenn es aber Teil des europäischen Binnenmarkts oder der Zollunion bleiben möchte, kann es keine eigenen Zolltarife mit Kanada vereinbaren.

Es kann auch Grenzkontrollen nicht vermeiden, selbst wenn es Mitglied einer Zollunion ist.

Wer keine Kontrollen haben will, muss gleichzeitig Teil des Binnenmarkts sein. In diesem Punkt sind die Briten eben wenig realistisch. Und das frustriert EU-Chefverhandler Michel Barnier und uns schon langsam. Wir haben nur noch wenige Wochen Zeit, und die Briten müssen sich spürbar bewegen. Sie kennen die Probleme und wissen ganz genau, was die EU nicht machen kann.

Ohne eine Vereinbarung ist also eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland unumgänglich?

Da können wir nichts machen. Wenn es keinen Deal gibt, dann haben wir keinen Deal. Wir müssen am 30. März 2019, wenn der Brexit vollzogen ist, eine rechtlich verbindliche Vertragslösung haben. Andernfalls gibt es eine harte Grenze auf der Insel Irland.

Ist das den Briten klar?

Das weiß ich nicht. Teilweise ja, und teilweise glauben sie, pokern zu können. Manche wiederum machen sich fantastische Illusionen. Es gibt unterschiedliche Gruppen in Großbritannien. Premierministerin Theresa May erkennt wohl, dass ein Abkommen nötig ist, aber es gibt auch andere Akteure.

Je später die Briten ihre Position abstecken, umso weniger Zeit bleibt dann auch den Europäern dafür. Gefährdet das die Einheit der EU, die bisher geschlossen aufgetreten ist?

Die Einheit der 27 verbleibenden Mitgliedstaaten hat bisher gut funktioniert. Aber wenn es um das künftige Verhältnis zu Großbritannien geht, gibt es einige Bereiche, wo Interessensunterschiede unter den Ländern auftreten - etwa bei Dienstleistungen oder Personenfreizügigkeit, aber auch in der Außen- oder Innenpolitik. Das zu diskutieren, wird ebenfalls noch Zeit und Energie kosten. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass sich die Scharfmacher gegenüber den Briten-freundlichen Ländern durchsetzen. Großbritannien sollte daher nicht auf die letzte Minute hoffen.

All das müsste bis Oktober in einem Austrittsvertrag geklärt werden, damit der bis zum Brexit im März 2019 ratifiziert werden kann. Wird das Weißbuch, das Premier May kommende Woche präsentieren will, mehr Klarheit schaffen?

Wir hoffen jedenfalls auf eine neue Dynamik und erwarten, dass das Weißbuch ebenso die bisherigen Gesprächsrunden zum künftigen Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU reflektiert. Wenn nicht, ist es das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben ist.

Was wird der Brexit für die Entwicklung der EU bedeuten?

Er wird erhebliche Auswirkungen im Bereich der Außenpolitik haben. Das Gewicht Großbritanniens in der Welt wird deutlich zurückgehen, aber auch jenes der EU wird sinken, weil ein politisch und militärisch potenter Partner wegfällt. Die Wirtschaftskraft der EU wird ebenfalls schwächer werden. Es werden beide Seiten geschwächt aus dieser Trennung gehen. Es wird ebenso die internen Beziehungen innerhalb der 27 verändern. Denn für viele Staatengruppen waren die Briten in manchen Bereichen ein wichtiger Verbündeter. Umgekehrt könnte es in anderen Bereichen einfacher werden, wo es Widerspruch aus Großbritannien gegeben hatte.

Zerbrechen wird die EU also nicht am Brexit?

Ich verstehe das Konzept des Zerbrechens nicht. Wie sollte das geschehen? Indem wir 27 uns darauf einigen, die EU aufzulösen? Indem fünf Staaten gleichzeitig austreten? Wer soll das sein? Selbst jene, die auf die EU schimpfen, wissen, was auf dem Spiel steht. Ein kleines Beispiel: In der nationalen Verwaltung gibt es viel Expertise nicht mehr, weil diese von EU-Organen übernommen wird. Ob Eisenbahn- oder Flugverkehrsvorschriften für die Sicherheit, Lebensmittelverfahren oder Arzneimittelzulassung: Das alles wird gemeinschaftlich geregelt. Es wieder zu nationalisieren, wäre mit enormen Kosten und Aufwand verbunden.

Das Schimpfen auf Brüssel finden Sie nicht so schlimm?

Das ist o.k. Münchner schimpfen auf Berlin, Tiroler auf Wien, Osttiroler auf Innsbruck, Bozener auf Rom. Es ist Teil des politischen Diskurses. Jede Regelungsebene macht Fehler, aber um dies abzuklären, gibt es einen politischen Prozess. Ich sehe nicht, dass das Schimpfen dazu führt, wegzuwollen.