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Doppeltes Spiel

Von Werner Reisinger

Politik

EU-Innenminister-Treffen mit Absichtserklärungen. Italien, Deutschland und Österreich aber bilden "Kooperation der Tätigen".


Innsbruck. Es ist nicht zu übersehen: FPÖ-Innenminister Kickl und auch der deutsche CSU-Innenminister Horst Seehofer sind stolz darauf, dass sie sich mit ihrer Linie in der Asylpolitik offenbar auf EU-Ebene durchgesetzt haben. Mit Genugtuung habe man gesehen, dass die Forderung nach Ausschiffungsplattformen und einem effektiven Außengrenzschutz nun auch offizielle Linie des EU-Rates sei, der dies in seiner Resolution Ende Juni auch beschlossen habe, sagten sowohl Kickl als auch Seehofer am Mittwochabend.

Den erreichten "Paradigmenwechsel" unterstrich Kickl auch am Donnerstag, nach einer ersten Runde der 28 EU-Innenminister, vor den Journalisten. Kickl wie auch Seehofer und der EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos – der britische Sicherheitskommissar Julian King war entgegen dem Plan nicht am Podium – betonten wortreich den gemeinsamen europäischen Geist, mit dem man nun endlich an europäischen Lösungen arbeite. Ein Abkommen, das die Ankündigungen in konkrete Umsetzungen gieße, das stellte Avramopoulos klar, werde es aber so schnell noch nicht geben. Erst am 20. September, wenn die EU-Innenminister in Salzburg erneut zu einem informellen Rat zusammentreffen werden, soll es ein gemeinsames Statement geben.

Nun gehe es um die Umsetzung des Ratsbeschlusses, der unter anderem besagte Ausschiffungsplattformen in Drittstaaten vorsieht. Was genau in diesen Plattformen geschehen soll, darüber scheiden sich offensichtlich die Geister.

Feine Widersprüche

Noch Donnerstagmorgen versprachen Kickl, Seehofer und auch der italienische Innenminister Matteo Salvini von der extrem rechten Lega Nord, ab sofort nicht mehr nur von einer "Kooperation der Willigen" zu sprechen, sondern eine "Kooperation der Tätigen" zu bilden. Das Ziel: Flüchtlinge "ohne Asylanspruch" sollen erst gar nicht in die EU einreisen dürfen. Während Kickl am Mittwochabend seine "Vision" bekräftigte, dass es bald nicht mehr möglich sein soll, auf europäischem Boden um Asyl anzusuchen und bestätigte, dass es ihm um "reine Abschiebeplattformen" geht, war davon am Donnerstag nach der Runde der Innenminister nur mehr nuanciert die Rede.

Auch im Papier zum inoffiziellen Treffen fehlte Kickls "Vision". Man habe "die Formen der Ausschiffungsplattformen diskutiert", man solle aber "sicherstellen, dass dort keine Pull-Faktoren entstehen", sagte Kickl. Ganz anders Avramopoulos. In den Ausschiffungszentren sollen die Menschen "rasch registriert" und versorgt werden. Danach sei zu entscheiden, wer ein Recht auf Asyl hat, und wer nicht – oder ob gar ein EU-Staat "freiwillig" Geflüchtete aufnehmen wolle.

Einigkeit bei Frontex

Kickl sprach von einem "Pilotprojekt in einem afrikanischen Staat", das es in Bälde geben solle. Wo genau, und ob und wie diesbezüglich bereits Gespräche geführt werden, ließ er offen. Ins Spiel brachte er abermals den "Wiener Prozess", der auf eine "Sicherheits-Union" abziele. Auch "Rückführungszentren" in europäischen Drittstaaten stellt sich Kickl vor, diese soll es dem Vernehmen nach in Westbalkan-Staaten wie Mazedonien geben.

Avramopoulos wiederum sprach lediglich davon, "die Rückführungen derer, die nicht bleiben können, stark zu erhöhen". Breite Einigkeit besteht hingegen bei der Etablierung einer europäischen Küstenwache und der Stärkung der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Man sei übereingekommen, Frontex künftig sowohl personell als auch finanziell aufzustocken, sagten Kickl und Avramopoulos – letzterer sprach von 10.000 europäischen Grenzpolizisten bis 2030. Bis dahin soll auch die europäische Grenzschutztruppe stehen.

Mit dem jahrelangen und erfolglosen Versuch, einen europäischen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge zu entwickeln, habe man sich aber "in eine Sackgasse manövriert", so Kickl. Von den insgesamt bisher sieben Dossiers, die auf EU-Ebene bisher diskutiert wurden, sind fünf bereits vom Tisch. Übrig ist nur die Reform des Dublin-Systems und der Versuch, die Asylverfahren europaweit zu vereinheitlichen. Beides aber wurde am Donnerstag von den EU-Innenministern auf die lange Bank geschoben, wie hinter vorgehaltener Hand zu erfahren war.

"Flüchtlingskrise hinter uns"

Wichtig sei freilich beides, und seitens der Kommission wolle man die Mitgliedsstaaten auch weiter zu einer raschen Einigung in beiden Fragen drängen, so Avramopoulos. Gerade weil man aber "in einer Sackgasse" stecke, sei es unumgänglich, dass der Außengrenzschutz erste Priorität genieße, erklärte Kickl. Wenn das Ziel erreicht sei, dass weniger Geflüchtete nach Europa kommen, stünden die Chancen, sich auf eine Dublin-Reform und ein einheitliches EU-Asylverfahren zu einigen, deutlich besser, so offenbar die Hoffnung von Kickl.

Die Antwort des EU-Innenkommissars lässt tief blicken: "Lassen Sie mich eines klarstellen: Wir haben die Flüchtlingskrise hinter uns." Er hoffe weiterhin, dass Österreich "Lösungen bei Dublin" vorantreibe, sagte Avramopoulos deutlich in Richtung des österreichischen Innenministers: "Weisheit und Solidarität werden sich durchsetzen".

Auf die nationalen Maßnahmen an den Grenzen von Deutschland und Österreich, die "Kooperation der Tätigen" wie auch der Wunsch Italiens nach einer Reform der gemeinsamen Militärmissionen im Mittelmeer ging der EU-Innenkommissar nicht ein. Man werde sich weiterhin an internationales und EU-Recht halten und die Genfer Konvention "voll respektieren".