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"Es gibt eine vorbildliche Regelung"

Von Werner Reisinger

Politik

Der ehemalige Spitzendiplomat Petritsch kritisiert die geplanten österreichischen Pässe für Südtiroler.


Wien. "Ich bin Südtiroler mit italienischem Pass, und ich bin darauf stolz." Der prominente Extrembergsteiger Reinhold Messner sagte schon im Jänner deutlich, was er vom Vorhaben der österreichischen Regierung, den Südtirolern österreichische Pässe anzubieten, hält. "Wir haben von der Autonomie der italienischen Regierung profitiert", sagte Messner, es sei nicht fair, "uns jetzt an die Seite der neuen Nationalisten der antieuropäischen Rechten zu stellen".

Presseberichte, wonach ÖVP und FPÖ – der Vorstoß ging von den Freiheitlichen aus – schon im September einen Gesetzesentwurf präsentieren wollten, sorgen in Italien für heftigen Protest. Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal dementierte den Termin September umgehend. In Wien ist man bemüht, das Thema zu vertagen. Frühestens 2019 oder 2020 wären Doppelpässe für Südtiroler möglich. Und man sei in permanentem Austausch mit Rom und Bozen, betonte FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl. Bis auf den offen sezessionistischen "Südtiroler Heimatbund", in dem ehemalige Südtirol-Aktivisten, auch Anhänger des terroristischen "Befreiungsausschuss Südtirol" organisiert sind, hält sich in Südtirol die Begeisterung über den Pass-Segen aus Österreich in engen Grenzen.

Landeshauptmann Arno Kompatscher, Parteifreund von Kanzler Sebastian Kurz, positioniert sich zurückhaltend. Zuletzt aber signalisierte die extrem rechte Lega Nord, Partei des italienischen Innenministers Matteo Salvini, Gesprächsbereitschaft. Die "Wiener Zeitung" hat mit dem Spitzendiplomaten und ehemaligen Leiter der ständigen Vertretung Österreichs bei der OECD, Wolfgang Petritsch, über das Vorhaben der Regierung gesprochen.

Wiener Zeitung: Herr Petritsch, wie bewerten Sie das Pass-Vorhaben der Regierung?

Wolfgang Petritsch: Gewisse Kreise mit nationalistischer Mentalität haben es offensichtlich noch immer nicht überwunden, dass es eine vorbildliche Regelung mit und für Südtirol gibt. Der Erfolg des Südtirol Paketes hängt auch damit zusammen, dass durch die europäische Integration Grenzen weniger relevant geworden sind. Die Südtiroler in Italien sind ein Beispiel, wie die EU den Menschen das Leben leichter macht. Der "Doppelpass" kommt aus einem Eck, aus dem man ihn auch erwarten hätte können. Der Vorschlag hat aber nichts mit einer Erleichterung für die Südtiroler Bürger zu tun, sondern rein nur mit einer nationalistischen Provokation ewig Gestriger dies- und jenseits des Brenners.

Viele Südtiroler haben aber einen engen emotionalen Bezug zu Tirol und Österreich. Genau um diese symbolische Anerkennung geht es auch der ÖVP-FPÖ-Regierung, sagt sie.
Das ist alles kurzsichtig, undurchdacht und ein aufgelegtes Eigentor. Stellen Sie sich vor, die österreichischen Minderheiten, die nach 1918 in Österreich waren, würden Doppelstaatsbürger ihrer jeweiligen Nachbarländer werden wollen. Ganz zu schweigen von den seit Generationen in Österreich lebenden Türken. Da hat die Regierung sofort Nein gesagt. Was ist das für eine Politik? Wer kann uns da noch vertrauen in Europa?

Österreich hat aber auch eine per Abkommen verankerte Schutzfunktion für Südtirol. Wären da Zweitpässe nicht legitim?
Für mich ist die Reaktion des Südtiroler Landeshauptmanns, der noch dazu der Partei des Bundeskanzlers nahesteht, sehr bezeichnend. Man hat durch diesen Vorstoß die Südtiroler in eine unangenehme Situation gebracht.
Es gibt auch keinen Bedarf in Südtirol. Welchen praktischen Wert soll so eine Doppelstaatsbürgerschaft für die Menschen haben? Wer kann sich dafür bewerben? Altösterreicher waren ja nicht nur die deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler, sondern auch Slowenen in Triest und im ehemaligen k&k Küstenland bis hinunter nach Montenegro. Was passiert, wenn sich dort jemand als ‚Österreicher’ bekennt? Ich meine, dass das Gesetz letztlich nicht zur Umsetzung kommen wird. Man will die Menschen für dumm verkaufen – eine leider bewährte Taktik der Populisten überall.

In Slowenien leben aber auch Italienischstämmige, und die haben einen italienischen Pass.
Verantwortlich für das Wohl der Bürger in gemischtsprachigen Regionen Europas war der massive Ausbau der Minderheitenrechte. In Europa. Das war übrigens auch die Grundlage für die erfolgreiche Lösung der Südtirolfrage. Andererseits: Um dieser Debatte über Doppelstaatsbürgerschaften einen Sinn zu geben, könnte man endlich über eine europäische Staatsbürgerschaft nachdenken. Das würde ich für ein wichtiges, vorwärtsgerichtetes Signal halten und es würde der österreichischen EU-Präsidentschaft gut anstehen.

Wieso denken Sie, dass so ein Schritt riskant wäre?
Rund um den Friedensbildungsprozess in Bosnien haben wir ebenfalls auf Doppelstaatsbürgerschaften zurückgegriffen. Wir als internationale Verhandler wollten damit eine Brücke schaffen von der viel umfassenderen jugoslawischen Staatsbürgerschaft – denken Sie an die zahlreichen multiethnischen Familien – hin zu den von Nationalisten angestrebten monoethnischen Kleinstaaten. Unsere Absicht war, die Möglichkeit zu einer längerfristigen europäischen Staatsbürgerschaft gerade in diesem Teil Europas zu schaffen. Das war damals die optimistische Vision.
Jetzt aber, da sich der europäische Integrationsprozess so verlangsamt hat, sieht man die problematischen Auswirkungen unserer damaligen Vision. Von den drei Volksgruppen sind die bosnischen Kroaten seit dem EU-Beitritt Kroatiens dank ihrer Doppelstaatsbürgerschaft bereits in der EU. Was soll sie da Bosnien, dieser schwache, zerstrittene Staat, noch interessieren? Die Serben der Republika Srbska haben mit dem EU-Beitrittshorizont für Serbien bald eine ähnliche Option.

Übrig bleibt dann genau jene Volksgruppe, von der man verhindern wollte, dass sie als muslimische Enklave in Europa übrig bleibt. Die bosniakischen Muslime haben keine Option, über den Nachbarstaat in den Genuss eines EU-Passes zu kommen. Da sieht im Übrigen die neo-osmanische Türkei ihre Chance. Das sind keine guten Aussichten für Europa.

Der gesamte Friedensprozess war darauf ausgerichtet, die bloß ethnische Definition von Staat und Nation zu überwinden – zum Vorteil des Einzelnen. Jetzt sehen die Bürger aber, dass die ethnische Zugehörigkeit Vorteile bringt. Daher wäre es unklug und gefährlich, in Südtirol eine ähnliche Dynamik auszulösen. Es ist ein schlechtes, anachronistisches Signal. National-populistische Bewegungen werden so aktiviert. Der Ethnonationalismus hat Jugoslawien zerstört, und wir sind drauf und dran, dass sich diese Tendenz auch innerhalb der EU breit macht. Das ist doch alles ein blueprint for desaster.

Wie wird sich der Umsetzungsprozess entwickeln?

Das ist ein außenpolitisches Kuddelmuddel. Erst jetzt, wo die diplomatische Verstimmung bereits da ist – wir sollen und müssen ja mit Italien eng auch beim Flucht- und Migrationsthema zusammenarbeiten – zu sagen, wir stimmen uns eng mit Bozen und Rom ab, halte ich für spät. Es zeigt aber auch, dass die Außenministerin die Problematik erkennt und irgendwie aus dem Eck, in das sie die FPÖ gestellt hat, herauszukommen versucht. Es ist zu hoffen, dass der österreichische Regierungschef rasch erkennt, dass diese Politik zu einem völlig unnötigen Konflikt mit Italien führt. Mit Nationalisten ist kein Staat, vor allem kein Europa, zu machen.

Wolfgang Petritsch: Geboren 1947 in Klagenfurt, war EU-Sonderbeauftragten für den Kosovo und von 1999 bis 2002 EU-Chefverhandler bei den Friedensverhandlungen von Rambouillet und
Paris (Bosnien-Konflikt) und einer der Architekten des Friedenvertrags von Dayton. Petritsch war Sekretär von Bundeskanzler Bruno Kreisky und kandidierte 2002 für die SPÖ bei der Nationalratswahl.