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"Das Leben für Korrupte riskanter machen"

Von Laura Fischer und Andreas Pigl

Politik
Blanka Zöldi ist Journalistin und Mitbegründerin von "direkt36", einem ungarischen Online-Portal.
© direkt36

Investigativ-Journalistin Blanka Zöldi über unabhängige Medien in Viktor Orbáns Ungarn.


"Wiener Zeitung": "Journalisten in Ungarn werden nicht ermordet, aber die Presse wird auf andere Art unterdrückt", sagte ein ungarischer Journalist. Wie wird Ihre Arbeit behindert?Blanka Zöldi: Ein großes Problem ist der Zugang zu öffentlicher Information. In einem idealen Staat ist es ein Klick auf einer Website, aber in Ungarn bekomme ich meistens nicht einmal eine Antwort. Seit einer Gesetzesnovelle können die Behörden Geld von uns verlangen, wenn der Aufwand für die Bearbeitung einer Anfrage "unverhältnismäßig" hoch ist. Wir können natürlich nicht eine Million Forint, rund 3100 Euro, für Informationen bezahlen, deshalb gehen wir oft vor Gericht. Denn eine Behörde mit 700 Mitarbeitern kann schwer behaupten, der Aufwand für sie ist unverhältnismäßig hoch. Meistens entscheidet das Gericht zu unserem Vorteil. Aber leider dauert so ein Verfahren sehr lange, mein kürzester Prozess dauerte sechs Monate.

Werden Sie auch aufgrund Ihrer Arbeit bedroht?

Niemand schickt uns Todesdrohungen oder droht damit, uns zu verprügeln. Aber viele der Leute, über die wir schreiben, drohen uns mit Klagen. Vor der Veröffentlichung der Artikel kontaktieren wir sie immer, damit sie eine Chance haben, darauf zu reagieren. Und das ist meist die komplizierteste Phase des ganzen Prozesses. Auch Selbstzensur ist ein großes Problem. Viele Kollegen bei anderen Medien trauen sich nicht an bestimmte Themen heran, aus Angst, geklagt zu werden.

Welche Wirkungen erzielen Sie mit Ihren Artikeln?

Oft gibt es keine Konsequenzen. Während etwa in anderen Ländern Menschen auch wegen kleinerer Korruptionsfälle zurücktreten, passiert in Ungarn so etwas nicht. Ich denke aber, dass unsere Artikel schon den Effekt haben, dass sie das Leben für Korrupte riskanter machen. Sie wissen, dass sie beobachtet werden und dass es, früher oder später, jemanden geben wird, der es ans Licht bringt. Zumindest glaube ich gerne, dass unsere Arbeit auf diese Art etwas bewegt.

Wie finanziert sich "direkt36"?

Hauptsächlich über unsere Leser, durch Crowdfunding. Zum Teil bekommen wir Zuschüsse von Institutionen, aber wir nehmen nur Geld an von Organisationen, die nicht versuchen, Einfluss auf unsere Geschichten zu nehmen. Wir haben keinen Geschäftsmann hinter uns und auch die Regierung kann uns nicht von einem Tag auf den anderen ausschalten, da wir auf mehreren Beinen stehen. Wir sind auch nicht von Werbung abhängig. Denn wir sehen, dass mittlerweile nicht nur öffentliche Gelder in eine Richtung fließen, auch Private überlegen es sich genau, welche Zeitungen sie unterstützen.

Kurz nach der Parlamentswahl im April wurde eine Liste mit 200 Namen von Journalisten veröffentlicht, die angeblich von George Soros gesteuert werden. Ihr Name stand auch auf der Liste.

Die Zeitung "Figyelö" hat die Websites aller Organisationen gesichtet, die von der Open Society Foundation Unterstützung erhalten und dann alle Namen veröffentlicht, die sie finden konnten. Dabei haben sie auch Namen von Verstorbenen veröffentlicht.

Warum ist Soros bei der Regierung so verhasst?

Ich glaube nicht, dass irgendjemand diese Frage beantworten kann. Aber wir haben beobachtet, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt alle politische Kommunikation sich auf ihn konzentriert hat, ungefähr zur Zeit der großen Flüchtlingsbewegung. Meine Großmutter zum Beispiel ist 91 Jahre alt und lebt in Nordungarn. Sie hat noch nie einen Flüchtling gesehen. Als sie vor der Parlamentswahl im April sagte sie zu mir: "Blanka, ich kann diesen Soros wirklich nicht leiden." Als ich nach dem Warum fragte, sagte sie: "Weil er so hässlich auf den Plakaten ist." Wir hatten eine lange Diskussion darüber, was diese Plakate der Regierung bedeuten, und wie die Kommunikation von Fidesz funktioniert. Ich konnte es zwar meiner Großmutter erklären. Die meisten Leute sehen aber nur die Plakate und die Flugblätter der Regierung.

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