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"Fünf Sterne ist rechts, Mitte und links"

Von Thomas Seifert

Politik
Marco Morosini beim Interview im Palmenhaus in Wien.
© Luca Faccio

Grillo-Weggefährte Marco Morosini über die Fünf-Sterne-Bewegung und die Koalition mit der Lega.


"Wiener Zeitung": Sie sind langjähriger Weggefährte des Komikers und späteren Politikers und Gründers der Fünf-Sterne-Bewegung, Beppe Grillo. Wie würden Sie die Cinque-Stelle-Bewegung charakterisieren?

Marco Morosini: Ich möchte drei Punkte hervorheben. Erstens, Cinque Stelle ist etwas, das ich als Privat-Partei bezeichnen würde. Diese Partei wurde vom mittlerweile verstorbenen Internet-Unternehmer Gianroberto Casaleggio gemeinsam mit dem Komiker Beppe Grillo gegründet. Cinque Stelle wurde dann zum Kerngeschäft von Casaleggio. Silvio Berlusconi, dessen Kerngeschäft Fernsehen ist, hat die Politik als Vehikel verwendet, um seine Unternehmen abzusichern und gute Wachstumsbedingungen für seine Firmen zu schaffen. Gianroberto Casaleggio war aus meiner Sicht ein Idealist, er dachte wirklich, dass er mit der Fünf-Sterne-Bewegung etwas Gutes für Italien macht. Aber häufig werden Visionäre zu Autokraten und in dieser Form hat er die Partei bis zu seinem letzten Lebtag am 12. April 2016 geführt.

Zweitens?

Die Fünf-Sterne-Bewegung ist eine digitale Partei. Das hat mit dem Business von Gianroberto Casaleggio zu tun, der ja Internet-Unternehmer war. Den Aspekt der Digital-Partei sollte man nicht unterschätzen: Wie kann man eine Partei mit vielleicht drei, vier Mitarbeitern gründen, ohne dass man viel Geld in die Hand nimmt und es in ein paar Jahren bis in die Regierung schaffen? Daran sieht man die Macht des Internets in der Politik. Die ganze Struktur der Partei ist Internet-basiert.

Aber setzen heute nicht alle Parteien auf das Internet?

Ach, das ist für die meisten doch nur ein Propagandatool oder dient zur internen Kommunikation und Koordination. Bei den Cinque Stelle geht das tiefer. Wenn man früher einen Putsch machte, dann übernahm man die Geheimpolizei und Kasernen und ließ die Sender stürmen. Heute muss man die Server in die Finger kriegen. Denn wer die Server hat, hat die Macht in der Hand. Nicht zuletzt, weil die Familie Casaleggio die Herrschaft über alle Daten der Fünf-Sterne-Bewegung hat, kann Davide Casaleggio - der Sohn von Gianroberto, der nach seinem Tod die Partei übernommen hat - die Fünf Sterne dominieren. Er weiß alles über alle Parteimitglieder, über alle Abgeordneten, über ihr Abstimmungsverhalten, über ihre Mitwirkung in Parteiangelegenheiten. Das ist die totale Beherrschung.

Und drittens?

Die Polyvalenz, wenn es um politische Haltungen und Positionierungen geht. Das ist nicht nur Ambivalenz, sondern Polyvalenz. Fünf Sterne ist rechts, in der Mitte und links zugleich. Die sind liberal und etatistisch, und das radikal. Fünf Sterne sind alles und das Gegenteil vom allem, je nachdem, wann und wo sie in welchem Kontext auftreten. Heute sind sie schwarz, morgen weiß. Wenn sie mit Industriellen diskutieren, sind sie neoliberal. Wenn sie im benachteiligten Süden Italiens sprechen, geben sie sich sozial. Diese Polyvalenz ist zentral für den Erfolg der Partei. Wenn etwas ironisch gemeint ist, ist es gleichzeitig auch ernst gemeint. Die Fünf-Sterne-Bewegung kann man mit einem Auto mit einem ökosozialen Motor und einer rechtspopulistischen Karosserie und Lenkung vergleichen.

Wo steht die Partei dann Ihrer Meinung nach?

© Luca Faccio

Die beiden Gründer - Grillo und Casaleggio - sind typische Vertreter der petite bourgeoisie. Sie sind Kleinbürger. Der Vater von Grillo war Kleinunternehmer, Casaleggio Unternehmer. Die Mandatsträger sind eher links, wobei diese Schicht in den vergangenen Jahren ein wenig nach rechts gedriftet ist. Aber ich würde sagen, dass immer noch mehr als 50 Prozent der Cinque-Stelle-Mandatarinnen und -Mandatare eher links stehen. Bei der Wählerschaft sieht es anders aus, Experten meinen, 55 bis 60 Prozent der Wählerschaft der Fünf-Sterne-Bewegung stehen eher rechts. Seit die Cinque Stelle freilich in der Regierung beteiligt sind, werden die rechten Anliegen wichtiger.

Wie haben Sie Beppe Grillo - einen der Gründer der Cinque Stelle - eigentlich kennengelernt?

Das war am 4. Oktober 1992, als ich nach der Show im Teatro Smeraldo in Mailand Backstage zu Grillo gegangen bin. Ich habe damals ökologische Seminare gehalten und wollte ihm einen meiner Gags mit auf den Weg geben. Ich habe neben vielen Fans lange gewartet, und gerade, als ich wieder gehen wollte, tritt Beppe Grillo mit einem Säckchen Bonbons vor die Türe und fragt: "Will jemand von Euch ein Bonbon?" Also habe ich mir eines geholt und ihm meinen Gag erzählt, von dem ich fand, dass er gut in seine Show passen würde. So hat eine jahrelange Zusammenarbeit begonnen, ich habe viele Jahre lang Gags für ihn geschrieben. Ich war also nicht bloß Grillos Weggefährte, sondern Pionier. Was die Gags betrifft, bin nicht ich ihm nachgelaufen, sondern er ist mir gefolgt. In unseren Gesprächen ging es viel um Politik, einige meiner Buchempfehlungen haben Grillo sehr beeinflusst: Besonders das Buch des österreichisch-ungarischen linken Ökonomen Karl Polyani "Die große Transformation" hat ihn begeistert.

Sie hatten also Anteil an der Transformation des Komikers Beppe Grillo zum politischen Aktivisten?

Durchaus. Das war aber eine Politisierung im Sinne von Gesellschaftspolitik, nicht Parteipolitik. 2004 trat dann Casaleggio auf den Plan, der Grillo eine Internet-Strategie vorschlug. Casaleggio übernahm die Veröffentlichung des Blogs von Beppe Grillo, wo auch ich viele Artikel geschrieben habe, aber er hatte bald seine eigene politische Agenda. Grillo hat sich regelrecht intellektuell in Casaleggio verliebt und entwickelte ein blindes Vertrauen zu ihm.

Wie hat sich der Ton von Grillo dadurch verändert?

In der Zeit, als ich eng mit Beppe Grillo zusammengearbeitet habe, lautete die Antwort auf die Frage: "Wer ist der Feind?" - "Na, das sind wir selbst." Wir machen die Welt kaputt, wir behandeln unsere Mitmenschen und unsere Umwelt wirklich mies. Casaleggio hatte eine andere Antwort parat. Wenn die Frage lautet "Wer ist der Feind?", war seine Antwort: "Die anderen!" Besonders die Politiker waren das Feindbild, die ökonomischen Mächte als Drahtzieher unserer Gesellschaft spielten kaum eine Rolle.

Dann hat Grillo sich entschlossen, selbst in die Politik zu gehen.

Ja. Grillo war der Frontman, aber Casaleggio war immer Drahtzieher in der Partei.

Dass Cinque Stelle nun mit der rechtsradikalen Lega in einer Regierung ist, stört Sie das?

Die Erklärung der Fünf-Sterne-Leute ist, dass sie in ihren Positionen das Schlimmste verhindern und etwas für Italien vorwärtsbringen können. Gut, die Fünf Sterne stellen den Premierminister, aber die Regierung wird von den Rechtsextremen um Matteo Salvini dominiert.

Eine Koalition mit der sozialdemokratischen Partito Democratico hätte viel mehr Sinn gehabt. Die Fünf-Sterne-Leute sagen dann, dass eben jeder der beiden Koalitionspartner seine eigene Politik macht. Aber mit Verlaub: Wenn Matteo Salvini von der Lega etwas sagt, dann spricht er doch nicht nur für die halbe Regierung! Also muss nun die Fünf-Sterne-Bewegung die die Migrationspolitik der Lega mittragen. Schrecklich. Das ist eine echte Katastrophe. Dazu kommt: Die Lega hat 20 Jahre mit Berlusconi koaliert und trägt die Mitschuld an der Misere in Italien. Gerade dank der Cinque Stelle ist der Traum des US-Rechtsextremisten Steve Bannon (Ex-Chefstratege von Donald Trump, Anm.) in Erfüllung gegangen, in Europa rechtsextreme Kräfte an die Macht zu bringen. Nach Bannons Worten ist die Lega-Chinque-Stelle-Regierung der erste Schritt dieser Strategie. Das ist ein trauriges Ende einer als ökosoziale Bewegung entstandenen Partei.

Marco Morosini (geb. 1952 in Mailand) ist Umweltchemiker und Nachhaltigkeits-Wissenschafter an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich und doziert dort Umweltpolitik. Er hat an einer Reihe von Expeditionen in die Antarktis teilgenommen. Seit 1992 ist er Inspirator und Ghostwriter des Komikers Beppe Grillo.

Morosini ist immer wieder als Autor für Print- und Online-Medien sowie für TV und Radio tätig.