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Eine Bewegung von links

Von Johannes Mayerhofer

Politik

Sahra Wagenknechts Sammelbewegung "Aufstehen" geht an den Start.


Berlin/Wien. Bewegungen abseits der etablierten Parteien zu gründen ist schon lange zu einer Art politischem Volkssport geworden. Prominente Beispiele wären etwa die "Indignados" (Die Empörten) in Spanien oder die "Republique en Marche" (Die Republik in Bewegung) von Emmanuel Macron in Frankreich. Nun ist es auch im politisch linken Spektrum Deutschlands so weit: Die über viele Monate lancierte Sammlungsbewegung namens "Aufstehen" hat am Samstag ihre offizielle Website online gestellt. Ab 4. September soll die Bewegung dann auch ihre aktive Arbeit analog aufnehmen.

Hauptinitiatoren von "Aufstehen" sind Sahra Wagenknecht, die Fraktionsvorsitzende der Partei "Die Linke" im Bundestag, sowie ihr Ehemann und Ex-Linke-Chef Oskar Lafontaine. Sie wollen mit der Bewegung neue politische Mehrheiten links der Mitte ermöglichen und dabei neben Anhängern ihrer eigenen Partei auch Mitglieder von SPD und Grünen sowie Parteilose ansprechen. Dabei will "Aufstehen" volksnah und inklusiv wirken. Auf der Website findet man daher auch keine Politiker, sondern ausschließlich "normale" Bürger, die mit ihren Alltagssorgen zu Wort kommen.

Schon 36.000 Unterstützer

Die lange Vorbereitungszeit von "Aufstehen" dürfte sich jedenfalls ausgezahlt haben. So sollen sich in den ersten 48 Stunden nach dem Freischalten der Website laut Lafontaine bereits mehr als 36.000 Menschen als Unterstützer eingetragen haben. Zum Vergleich: Die rechte Partei AfD (Alternative für Deutschland) besteht seit 2013 und bejubelte Ende Mai 30.200 Mitglieder. Auch wenn digitale Unterstützer nicht mit Parteimitgliedern gleichzusetzen sind, zeigt sich damit dennoch, dass Wagenknechts Initiative einen gewissen Resonanzraum getroffen hat.

Auch andere bekannte Gesichter wie die Grüne Antje Vollmer oder der linke SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow stehen an der Spitze der Sammlungsbewegung. Gemeinsam mit der Linken-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen wenden sie sich in einem Gastkommentar im "Spiegel" in klassisch linker Rhetorik gegen den "obszönen Reichtum Weniger" und die "Perspektivlosigkeit Milliarden Anderer", gegen "US-Stellvertreterkriege" und "Ausplünderungspolitik der reichen Industrienationen". Außerdem beschwören sie einen "Ausbruch aus dem Elfenbeinturm", in welchem sich die Mitte-links-Parteien nach Ansicht der Autoren verlaufen hätten. Acht Millionen verlorene SPD- , Grüne- und Linke-Wähler seit 1998 seien ein Zeichen, dass der parteipolitisch gespaltene Kampf gegeneinander kein Konzept der Zukunft sei.

Während Sympathisanten aus Linkspartei, SPD und Grünen "Aufstehen" daher als wichtiges Projekt zur Bündelung linker Kräfte in der deutschen Republik sehen, befürchten zahlreiche Kritiker über Parteigrenzen hinweg genau das Gegenteil. Die Sammlungsbewegung bewirke eine weitere Spaltung des linken Lagers und sei ohnehin in erster Linie ein Versuch der Selbstprofilierung Wagenknechts.

Dabei gibt es tatsächlich realpolitische Indikatoren, die für "Aufstehen" sprechen. Die politische Kooperation zwischen SPD, Grünen und Linke scheiterte in den vergangenen Jahren immer wieder auf vielfacher Ebene. So kamen gemeinsame Kernthemen, wie etwa der Mindestlohn oder eine höhere Besteuerung von Millionenvermögen trotz linker Mehrheit im Bundestag nur sehr schleppend oder gar nicht zustande. Während die SPD in der Regel "linke Maximalforderungen" als Grund dafür nannte, beschwerte sich Die Linke über die "Koalitionsdisziplin" der SPD dem Regierungspartner CDU/CSU gegenüber. Für diese würden die Sozialdemokraten sogar ihre wichtigsten Kernanliegen aufgeben.

So erstaunt es nicht, dass das politische Großprojekt einer rot-rot-grünen Bundesregierung trotz rechnerischer Mehrheit nie auch nur in die Nähe seiner realen Umsetzung gelangte. Eine besondere Rolle spielte dabei die strikt pazifistische Linie der Linkspartei in der Verteidigungspolitik. So stimmte Die Linke im Bundestag gegen sämtliche Auslandseinsätze der Bundeswehr, während die Grünen und die SPD diese als Zeichen "besonderer Verantwortung Deutschlands in der Welt" ansahen.

Verlorene Kernwähler

Mitverantwortlich für die Gründung von "Aufstehen" dürften aber nicht zuletzt der Aufstieg der AfD und der Verlust von linken Kernwählerschichten bei der Bundestagswahl 2017 gewesen sein. So hat Die Linke insgesamt zwar rund 500.000 Stimmen dazugewonnen. Doch diese kamen vor allem aus dem städtisch-studentischen Milieu. Unter den eigentlichen "Adressaten" linker Politik, nämlich Arbeitslosen und Arbeitern in Ostdeutschland, verlor die Partei ebenso eine halbe Millionen Stimmen - die meisten an die AfD. Ein Umstand, den Wagenknecht stets kritisch beäugt hat.

Um diese Schichten wieder besser erreichen zu können, braucht es nach Wagenknechts Ansicht vor allem einen anderen Weg in der Flüchtlingspolitik. Von den Dogmen der Willkommenspolitik und offenen Grenzen hält die Politikerin bekanntlich wenig und erntete für diese Haltung bei einer Rede am Leipziger Linken-Parteitag im Juni nicht nur Buh-Rufe von der Basis. Auch das Verhältnis von Wagenknecht zu den beiden linken Parteivorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping hat sich dadurch noch einmal deutlich verschlechtert. Mit "Aufstehen" hätte sie allerdings einen neuen Trumpf in der Hand. Denn wenn Wagenknecht über ihre neue Bewegung nachweisen kann, dass auch die linke Wählerklientel die von ihr forcierten Themen unterstützt, dürfte die Parteiführung es schwer haben, hier Widerstand zu leisten.