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Dragneas letzter Gegner

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Rumäniens Premier stellen sich nur noch Demonstranten in den Weg. Schock nach Polizeigewalt.


Bukarest/Budapest. Ihr Dienstwagen blockierte am Montagmorgen die Einfahrt für die Rettungswagen am Bukarester Notfallkrankenhaus, während die Innenministerin Carmen Dan sich am Krankenbett einer Polizistin filmen ließ, die drei Tage zuvor bei den Straßenkrawallen verletzt worden war. So berichtete es der rumänische Nachrichtensender "Realitatea TV". Auch diese Art der Willkür und Arroganz der Politelite in Bukarest um den mächtigen, vorbestraften Chef der Sozialdemokraten (PSD), Liviu Dragnea, treibt die Rumänen seit mehr als einem Jahr immer wieder zu Protesten auf die Straße.

Die Demonstrationen gegen den Abbau der Freiheit der Justiz und gegen die als durch und durch korrupt empfundenen Regierenden waren bislang friedlich geblieben - bis zum vergangenen Freitag. Plötzlich brannten in der Hauptstadt Müllhaufen und die Bereitschaftspolizei schlug - bisher unüblich - friedliche Demonstranten zusammen, setzte Gummigeschosse und Tränengas ein.

Mehr als 400 Menschen wurden verletzt, darunter 35 Polizisten. Die von der Innenministerin medienwirksam im Spital besuchte Polizistin kam mit ein paar blauen Flecken davon. Die Gesundheitsministerin Sorina Pintea musste die Information korrigieren, wonach die Beamtin einen Wirbelsäulenbruch erlitten habe, der eine lebenslange Lähmung nach sich ziehen würde. Es wird vermutet, die Führung der Gendarmerie (Bereitschaftspolizei) habe diese Schauergeschichte in die Welt gesetzt, um im Nachhinein ihr brutales Vorgehen zu rechtfertigen.

Vieles deutet darauf hin, dass die Gewalt unter den Demonstranten ein Werk von Provokateuren im Dienst der Regierung war. Das soll nun Rumäniens Militärstaatsanwaltschaft klären. Zwei Männer, die Gendarmen angegriffen haben sollen, wurden bereits als Fußball-Rowdies identifiziert. Mehr als 30 verprügelte Demonstranten haben bis Montag beim Militärstaatsanwalt Strafanzeige gegen die Gendarmerie erstattet.

Dragnea steht dasWasser bis zum Hals

Eine Diskreditierung der Proteste käme Dragnea wohl zupass. Dem PDS-Chef steht justizmäßig das Wasser bis zum Hals. Er ist bereits wegen Wahlmanipulationen vorbestraft und darf deswegen nicht selbst Regierungschef werden. Im Juni wurde er zudem in erster Instanz zu dreieinhalb Jahren Haft wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch verurteilt. Dragnea kämpft darum, das Strafrecht zu lockern, noch bevor dieses Verfahren in die zweite Instanz geht. Das Parlament hat die entsprechenden Gesetzesparagrafen bereits geändert, doch die Novelle ist noch nicht in Kraft, weil Staatspräsident Klaus Johannis dagegen vor dem Verfassungsgericht Einspruch erhoben hat. Vor September ist aber kein Urteil zu erwarten. Schon im Vorfeld der Demo, zu der die im Ausland lebenden Rumänen aufriefen, hatte Dragnea angedeutet, dass es Verletzte geben würde.

Niemand hatte mit zehntausenden Demonstranten gerechnet. Die Protestbewegung wirkte erlahmt und resigniert, zumal sie kaum noch mit politischen Verbündeten rechnete: Die Mitte-rechts-Parteien sind führungsschwach, zersplittert und teilweise ebenfalls an einer Lockerung der Antikorruptionsgesetze interessiert. Staatschef Johannis, der im Februar 2017 noch persönlich gegen die Regierung mitdemonstriert hatte, wirkte zuletzt hilflos. Auf Druck eines Urteils des regierungstreuen Verfassungsgerichts hatte er Laura Kövesi entlassen, die Chefin der Antikorruptionseinheit der Staatsanwaltschaft DNA. Auch wohlwollende Kritiker warfen Johannis vor, sich nicht entschlossen genug gegen die Anti-Rechtsstaat-Offensive der PSD gestemmt zu haben. Er hätte, so hieß es in Medienkommentaren, darauf verweisen können, dass es etliche andere, Jahre alte Verfassungsgerichtsurteile gibt, die in Rumänien nicht umgesetzt wurden - und somit den Personalwechsel bei DNA zumindest hinauszögern können. Vorgehalten wird Johannis auch, dass er Viorica Dancila (PSD) als Dragneas Marionette für die Position der Ministerpräsidentin akzeptiert hat.

Als einziger sichtbarer Feind blieb für Dragnea nur noch die Macht der Straße übrig. Dem entsprechend war die Polizei am Freitag wie entfesselt: Sie prügelte Frauen, Kinder, Rollstuhlfahrer und Journalisten, darunter einen ORF-Kameramann, was zuletzt auch Kritik von Bundeskanzler Sebastian Kurz nach sich zog.

Jetzt könnte Dragnea wegen seiner gewalttätigen Polizisten auch Probleme mit einem seiner jüngsten Verbündeten bekommen. Liebedienerisch hat er Israel kürzlich die Verlegung der Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem versprochen. In der Krawallnacht wurde aber auch eine völlig unbeteiligte Gruppe israelischer Touristen von den Gendarmen geschlagen. "Wir halten diesen Vorfall für inakzeptabel und extrem ernst", erklärte Israels Botschaft am Montag in Bukarest.