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Vage EU-Versprechen

Von Martyna Czarnowska

Politik

Die Unterstützung für die EU-Erweiterung ist vor allem in Westeuropa gering.


Brüssel/Wien. Die Euphorie ist längst verflogen. Vor fünfzehn Jahren noch war sie vielerorts zu spüren, die Begeisterung für die Erweiterung der Europäischen Union. Kurz vor der Aufnahme zehn ost- und südeuropäischer Länder in die Gemeinschaft schien das Projekt einen Meilenstein bei der Überwindung alter Ost-West-Konflikte zu markieren. Ein früher zerrissenes Europa sollte wieder zusammenwachsen. Und die Aufbruchstimmung breitete sich weiter aus, auf eine andere Region, die ebenfalls näher an die EU gerückt werden sollte und die selbst die Annäherung suchte.

Dieser Wunsch führte 2003 knapp zwei Dutzend Staats- und Regierungschefs aus der EU und südosteuropäischen Ländern in der Nähe der griechischen Stadt Thessaloniki zusammen. Das Ergebnis war ein Versprechen, festgeschrieben in dem Schlussdokument der Gipfelsitzung. Zu lesen war darin von der "ungeteilten Unterstützung" der EU für die "europäische Perspektive" der Länder des westlichen Balkan. Die Vertreter der fünf Staaten - Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mazedonien und Serbien-Montenegro - vernahmen dies zwar gern. Doch eine klarere Aussicht auf einen EU-Beitritt wäre ihnen lieber gewesen.

Die Perspektive blieb auch fünfzehn Jahre später vage, als das nächste höchstrangige Treffen in Sofia ausgerichtet wurde. Im Mai kamen in der bulgarischen Hauptstadt mittlerweile 28 EU-Staats- und Regierungschefs mit ihren Amtskollegen aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Montenegro, Serbien und dem Kosovo zusammen. Einige Wochen später folgte eine Westbalkan-Konferenz in London. Die Erklärung von Thessaloniki wurde zwar bekräftigt. Doch geht das Gipfeldokument von Sofia nicht viel weiter darüber hinaus: Es findet sich weder ein Bekenntnis zur EU-Erweiterung noch ein Termin für mögliche Beitritte darin.

Ein Datum löst Unbehagen aus

Dabei hatte die EU-Kommission vor einem halben Jahr schon ein eventuelles Datum in den Raum gestellt: 2025. Fix war das allerdings von Anfang an nicht. Die Länder befinden sich auch alle auf unterschiedlichen Etappen auf ihrem Weg in die EU. Beitrittsverhandlungen führt Brüssel erst mit Podgorica und Belgrad; Gespräche mit Albanien und Mazedonien könnten im kommenden Jahr starten. Bosnien-Herzegowina und der Kosovo gelten gerade einmal als potenzielle Kandidaten. In sieben Jahren Teil der EU zu sein, ist so nur für Montenegro und Serbien denkbar.

Doch in so manchem Mitgliedstaat löst das Datum 2025 Unbehagen aus. Zu früh wäre das, ist dort die Befürchtung. Und vor allem: In etlichen westeuropäischen Ländern hält sich die Begeisterung über eine mögliche Ausweitung der EU in Teilen der Bevölkerung in engen Grenzen.

Südosteuropa-Experte Reljic: "EU verdient mit Westbalkan."
© SWP

Das ist auch in Österreich der Fall, obwohl die Politiker immer wieder ihre Unterstützung für die EU-Annäherung der Westbalkan-Länder deklarieren. So ergab eine im Juni veröffentlichte Telefon-Umfrage des Marktforschungsinstituts Akonsult im Auftrag der Regionalmedien Austria, dass lediglich zwei von zehn Befragten eine Aufnahme neuer Staaten in die Union befürworten. Fast ein Zehntel der Österreicher ist unentschlossen.

Die Skepsis in der Wählerschaft ist den Regierenden bewusst. Der französische Präsident Emmanuel Macron betont daher immer wieder, dass eine Vertiefung der EU vor deren Erweiterung Vorrang habe. Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat deutlich gemacht, dass sich die Gemeinschaft wohl nicht 2025 vergrößern werde.

Einige Wirtschaftsexperten geben ebenfalls zu bedenken, dass das Zieldatum "höchst ambitioniert" ist. So formulieren es die Wissenschafter vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). Zwar seien aus ökonomischer Sicht Serbien und Montenegro die Spitzenkandidaten für einen EU-Beitritt. "Doch die politischen Hindernisse innerhalb und außerhalb des Westbalkans dürfen nicht unterschätzt werden", schreiben die Experten. Es geht dabei sowohl um innenpolitische und zwischenstaatliche Zwistigkeiten - etwa zwischen Serbien und dem Kosovo - als auch um den mangelnden Enthusiasmus in der EU.

Wirtschaftswachstum nötig

Selbst bei der Erfüllung der wirtschaftlichen EU-Beitrittskriterien gibt es für die südosteuropäischen Länder noch etliche Schwierigkeiten auszuräumen. Dazu gehören laut WIIW Infrastrukturdefizite, schwache Wettbewerbsfähigkeit, hohe Arbeitslosigkeit und schwache Staatsführung. Die Arbeitslosenraten vor allem unter Jugendlichen sind in der Region hoch.

Der Südosteuropa-Experte und Leiter des Brüsseler Büros der Stiftung Wissenschaft und Politik, Dusan Reljic, weist darauf hin, dass die Staaten der Region nicht allein in der Lage sind, ihre Wirtschaft ausreichend anzukurbeln. Um in 30 Jahren bis zum EU-Durchschnitt aufzuholen, bräuchten sie jährliche Wachstumsraten von sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Derzeit sind es an die drei Prozent. Wenn aber die Wirtschaft stärker wachsen und in die Infrastruktur mehr investiert würde, würde das auch größere Perspektiven für die Bevölkerung bedeuten. Das "führt dazu, dass weniger Menschen emigrieren, und ermöglicht auch das Entstehen einer Mittelschicht, die derzeit nicht vorhanden ist. Die wiederum kann mehr politische Rechte fordern und dazu beitragen, die Korruption von unten zu bekämpfen", betont Reljic.

Solch eine Entwicklung läge ebenfalls sehr im - politischen wie ökonomischen - Interesse der EU, und daher wären europäische Finanzhilfen alles andere als verschwendetes Geld. Zum einen kommt politische Stabilität und eine Stärkung der Demokratie in der Region der EU zugute. Zum anderen "verdient die EU im Handel mit den Westbalkan-Staaten - und sie wird noch mehr verdienen, wenn diese Länder wirtschaftlich stärker werden", sagt der Experte.

Den ökonomischen Aspekt streicht ebenfalls der für die Erweiterungsverhandlungen zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn hervor. In der zu Jahresanfang vorgelegten Strategie der Brüsseler Behörde nimmt Wirtschaftswachstum allerdings nicht so viel Platz ein. Und selbst die Gespräche bei den seit einigen Jahren veranstalteten Westbalkan-Konferenzen, die um die Zusammenarbeit beim Aufbau von länderübergreifender Infrastruktur kreisen, gestalten sich teilweise mühsam.

Immer wieder zeigen sich Animositäten zwischen den Nachbarn und sogar innerhalb der Staaten. Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an. Bosnien-Herzegowina muss sich mit separatistischen Tendenzen in der Republika Srpska, einer Teilrepublik des zersplitterten Staates, herumschlagen.

Positives aus Skopje

Positive Nachrichten kamen in den vergangenen Monaten immerhin aus Mazedonien. Im Namensstreit mit Athen, das die Annäherung des Nachbarn an Nato und EU wegen einer gleichnamigen griechischen Provinz jahrelang blockiert hatte, kam es zu einer Einigung. Die Einladung zur Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der transatlantischen Militärallianz ist bereits erfolgt, und EU-Verhandlungen empfiehlt die EU-Kommission ebenfalls. Den neuen Namen des Landes, Nordmazedonien, muss die Bevölkerung allerdings noch in einem Referendum bestätigen. Dieses wurde für Ende September angesetzt.