Zum Hauptinhalt springen

Wirtschaftsboom trotz Demokratieabbau

Von Johannes Mayerhofer

Politik

Polens Ökonomie wächst beständig. Erfolgreichen unternehmerfreundlichen Maßnahmen stehen umstrittene demokratiepolitische Reformen der nationalkonservativen Regierung gegenüber.


Wien/Warschau. "Ich bin kein Freund des Sozialismus. Nur keine Missverständnisse", stellt Hadley Dean klar. "Aber ein gewisses Maß an Gleichheit hat dieses System in Polen schon geschaffen. Das war gemeinsam mit der Demokratisierung wichtig für die gute wirtschaftliche Entwicklung nach dem Kommunismus", erklärt der Vorstandsvorsitzende von EPP gegenüber der "Wiener Zeitung". Das niederländische Unternehmen hat rund zwei Milliarden Dollar (1,74 Milliarden Euro) in Polen investiert, betreibt dort 20 große Einkaufszentren und sechs Bürogebäude. Dass der attraktivste Investmentsektor nach Hadley Deans Ansicht der Einzelhandel sei, überrascht daher wenig. Doch auch gesamtwirtschaftlich betrachtet sieht er Polen schon seit langem auf einem Erfolgskurs.

Ungebremstes Wachstum

Polen erlebt seit 1991 eine ungebremst positive Wirtschaftsentwicklung. Selbst am Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2009, als die Weltwirtschaft um 0,6 Prozent schrumpfte, erlebte das Land eine Steigerung von 2,5 Prozent. Ein Bericht der Wirtschaftskammer Österreichs (WKÖ), der sich mit Polen beschäftigt, weist darauf hin, dass die 4,6 Prozent Wachstum des vergangenen Jahres vor allem auf den florierenden Inlandskonsum und Exporte zurückzuführen sind. Auch der Trend der ansteigenden Investitionen (2017: plus 5,4 Prozent) werde sich dieses und kommendes Jahr fortsetzen. Auch die sozialen Indikatoren zeigen in eine positive Richtung: War 2013 nach Eurostat jeder zehnte Pole ohne Beschäftigung, hat sich die Zahl der Arbeitslosen 2017 mehr als halbiert. Das Pro-Kopf-Einkommen stieg laut Weltbank von 1991 bis 2017 von umgerechnet 5600 auf 28.200 Dollar. EPP-Chef Hadley Dean bezeichnet das Land angesichts dieser Zahlen als "junges Deutschland". "Polen wird gewiss nicht zum neuen Wirtschaftsschwergewicht in der EU werden. Doch in zehn Jahren wird es mit Frankreich und Deutschland am selben Tisch sitzen", gibt er sich zuversichtlich.

Ein ganzes Land als Sonderzone

Einen Anteil am wirtschaftlichen Höhenflug des Landes dürften die rund 14 Sonderwirtschaftszonen haben, die es in Polen gibt. 1994 gegründet, erstrecken sie sich mittlerweile über eine Fläche von mehr als 25.000 Hektar, was etwa der Hälfte der polnischen Hauptstadt Warschau entspricht. Sie ziehen vor allem große Industrieunternehmen aus dem Ausland an - Autohersteller wie Toyota, oder Zahnpastahersteller wie Colgate. Rund 350.000 Menschen arbeiten laut eines Berichts des Deutschlandradios dort.

Immer wieder stehen die Sonderwirtschaftszonen auch im Kreuzfeuer der Kritik. So bieten sie nicht nur die Möglichkeit, Tariflöhne und Arbeiterrechte zu umgehen. Investoren können dort auch Steuererleichterungen und Zuschüsse pro Arbeitsplatz nutzen. Bis zu einem Drittel ihrer Investitionssumme können Unternehmen dadurch wieder zurückholen. Im Juli trat ein Gesetz in Kraft, das ganz Polen zu einer Sonderwirtschaftszone macht. Seitdem dürfen Gemeinden im ganzen Land derartige Vergünstigungen anbieten.

"Polen hat die EU-Förderungen genutzt und sehr klug investiert", erklärt Karl Schmidt einen weiteren Grund für Polens Dauerhöhenflug. Er arbeitet seit 2014 für die Wirtschaftskammer Österreich in Warschau und sagt: "In den vergangenen 25 Jahren kamen durchschnittlich zwei Prozent des Wachstums durch ausländische Investitionen und ein Prozent durch EU-Förderungen."

Sorge wegen Reformen

Einige Wolken ortet Schmidt dennoch am Himmel: "Etliche Unternehmen sehen mit Sorge auf die politischen Vorgänge in Polen." Besonders skeptisch beurteilt er die vom polnischen Ministerpräsidenten, Mateusz Morawiecki, angestrebte "Re-Polonisierung", etwa bei wichtigen Energie- und Medienunternehmen. "Gerade die Polen sollten aus dem Kommunismus gelernt haben, dass Verstaatlichung kein Mittel der Zukunft ist", kritisiert Schmidt. Aktuelle Pläne sehen etwa vor, den Anteil ausländischer Eigentümer im Medienmarkt auf 15 Prozent zu reduzieren. Das beträfe unter anderem regionale Medien, die zum Großteil in deutscher Hand sind. Regierungskritische Journalisten sagen, dass die herrschende nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) damit missliebige Berichterstattung vor den Kommunalwahlen im Herbst ausschalten will.

Misstrauisch verfolgt Karl Schmidt auch die Justizreformen der letzten zweieinhalb Jahre. So wurden etwa das Oberste Gericht und der Landesjustizrat, der über die Ernennung von Richtern entscheidet, unter politische Kontrolle gestellt, das Verfassungsgericht wurde entmachtet. Im vergangenen Juli sollten schließlich noch 27 von 72 Höchstrichtern zwangspensioniert werden. Die EU-Kommission hat deshalb bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet. "Unternehmen setzen auf unabhängige Justiz und Rechtssicherheit", betont Schmidt. Was Investoren zusätzlich Kopfzerbrechen bereite, sei das Verteilen sozialstaatlicher Wohltaten durch die PiS-Regierung. "Zurzeit kann sich Polen das gut leisten. Aber einige Großinvestoren sitzen schon am Zaun und sehen sich das kritisch an", erklärt der WKÖ-Mann.

Die Aussicht auf einen harten Brexit - also einen EU-Austritt der Briten ohne Abkommen - besorgt Karl Schmidt. "Viele der hunderttausenden Polen, die im Vereinigten Königreich arbeiten, würden ihre Aufenthaltsgenehmigung verlieren", befürchtet der Wirtschaftsdelegierte. Allein im ersten Quartal 2018 haben polnische Migranten in Großbritannien rund 800 Millionen Zloty (184 Millionen Euro) in ihr Heimatland überwiesen. Doch die Heimkehr der Auslandspolen von der Insel könnte auch eine positive Seite haben, meint Schmidt: "Hier werden Arbeitskräfte ohnehin dringend gebraucht."