London/Brüssel. (czar/reu) Es ist ein ungeliebtes Szenario. Ein Brexit-Abkommen wäre beiden Seiten denn auch lieber als ein ungeregelter Austritt aus der EU, wird sowohl in London als auch in Brüssel immer wieder betont. Doch die Wahrscheinlichkeit eines "No deal" wächst mit jeder Verhandlungswoche, die keinen Durchbruch in den Gesprächen bringt. Denn die Zeit ist schon knapp: Bis Oktober oder November müsste eine Vereinbarung fixiert werden, damit sie noch vor dem EU-Austritt im März des kommenden Jahres ratifiziert werden kann.

Daher häufen sich mittlerweile die Warnungen vor einem harten Brexit ohne Abkommen. Sie kommen aus der Wirtschaft, aber auch beispielsweise aus dem Gesundheitswesen. So mahnten britische Krankenhäuser, dass Medikamente knapp werden könnten. Die Regierung reagierte mit der Aufforderung an Pharmafirmen, die Bestände aufzustocken.

Und sie legte nun eigene Pläne für eine ungeordnete Trennung vom Kontinent vor. In mehreren Dokumenten, die Brexit-Minister Dominic Raab am Donnerstag präsentierte, skizziert sie die Folgen eines Austritts ohne Vereinbarung. Dieser hätte nämlich Auswirkungen auf fast alle Lebensbereiche, und das möchte das Kabinett in London so weit es geht abfedern.

Hürden für Dienstleister

Zwar sollen EU-Standards für Lebensmittel, Medikamente und Arbeitnehmerrechte vorübergehend weiterhin gelten. Doch werden Unternehmen darauf hingewiesen, dass der zollfreie Warenverkehr zwischen Großbritannien und der EU im Fall eines harten Brexit endet. Für britische Firmen würde das mehr Bürokratie bedeuten. Außerdem wäre die Umsatzsteuer unter Umständen im Voraus zu zahlen.

Umgekehrt würde das Königreich neue Importzölle und -bestimmungen einführen, um mit Mitgliedsländern der Welthandelsorganisation (WTO) Handel zu treiben. Dies würde im "No deal"-Szenario auch für EU-Staaten gelten. Die Zölle könnten sich zudem von jenen unterscheiden, welche die EU für Waren von außerhalb der Union erhebe.

Britische Finanzdienstleister hätten ebenfalls mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen. Sie hätten nicht mehr automatisch das Recht, ihre Produkte in der EU anzubieten. Bargeldloses Zahlen in Euro würde wohl auch teurer werden. Und in der EU lebende Briten könnten ihren Zugang zu ihren Konten in Großbritannien verlieren. Davon könnten der Regierung zufolge mehr als eine Million Menschen betroffen sein. Diese würden dann keine Pensionen, Löhne und Versicherungsleistungen erhalten, die auf diese Konten eingehen.

Offenes Grenzproblem

Eines der schwierigsten Themen wird in den neuen Dokumenten allerdings weiterhin ausgespart. So bleibt offen, wie künftig Kontrollen an der Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland vermieden werden können. In den Texten betont die Regierung lediglich erneut, dass die "einzigartigen Umstände" auf der irischen Insel in Betracht gezogen werden müssen.

Ob das Kabinett in London in weiteren Papieren darauf eingehen wird, ist noch unklar. Es will jedenfalls in den kommenden Wochen mehrere Dutzend neue Dokumente vorlegen.