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Grenzkorrektur mit Konfliktpotenzial

Von Martyna Czarnowska

Politik

Überlegungen zu einem möglichen Gebietsaustausch zwischen Serbien und dem Kosovo sorgen für Unruhe in der Region.


Wien/Brüssel. Neue Grenzziehungen auf dem Balkan - es ist ein Szenario, das viele Jahre lang nur Unbehagen und Befürchtungen ausgelöst hat. Denn als Jugoslawien zerfiel und neue Staaten sich voneinander abgrenzten, ging das mit Kriegen und Konflikten einher. Doch nun steht die Idee eines Gebietsaustausches erneut im Raum, und das soll ausgerechnet eines der größten Spannungsfelder in Südosteuropa entschärfen: das fragile Verhältnis zwischen Serbien und dem Kosovo, dessen Unabhängigkeit Belgrad nicht anerkennt.

Der Norden des kleinen Landes ist mehrheitlich von Serben bewohnt, während es in Südserbien ein paar Gemeinden mit albanischer Bevölkerung gibt. Ein Gebietstausch wäre dort möglich, eine "Grenzkorrektur", wie es andere nennen. Der serbische Außenminister Ivica Dacic, der früher auch schon den Posten des Premiers innehatte, fordert seit Jahren territoriale Änderungen. Vor kurzem haben Staatspräsident Aleksandar Vucic und sein kosovarischer Amtskollege Hashim Thaci eine solche Vereinbarung nicht ausgeschlossen.

Wie diese genau aussehen könnte, ist freilich noch völlig offen. Doch schon die Möglichkeit davon löst in der Region Unruhe aus. Die EU, der die Länder Südosteuropas beitreten möchten, kann davon nicht unberührt bleiben. Das führte denn auch zu Debatten beim Treffen der EU-Außenminister in Wien, zu dem am Freitag Vertreter der Westbalkan-Staaten ebenfalls geladen waren.

Warnungen aus Berlin

Auf den Inhalt wollte EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini nach der Sitzung jedoch nicht eingehen. Es sei eine Diskussion hinter verschlossenen Türen gewesen, und das sei zu respektieren. Der Dialog zwischen Belgrad und Pristina, der seit Jahren unter EU-Vermittlung geführt wird, werde jedenfalls von allen Seiten unterstützt. An seinem Ende soll ein rechtlich bindendes Abkommen zwischen den Nachbarn stehen. Und die EU werde sich keiner Vereinbarung versperren, die mit internationalem und EU-Recht im Einklang stehe, sagte Mogherini. Eine mögliche neue Grenzziehung schloss sie damit nicht aus.

Ebenso wenig tat dies EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn, der lediglich vom "übergeordneten Interesse" sprach, Stabilität in der Region zu fördern. Strikte Ablehnung signalisierte auch die österreichische Außenministerin Karin Kneissl nicht, obwohl sie gleichzeitig "große Skepsis" gegenüber Grenzänderungen äußerte.

Deutliche Warnungen kommen hingegen aus Berlin. Deutschland lehnt, ähnlich wie Großbritannien und Luxemburg, territoriale Änderungen klar ab. Diese wären "nicht zielführend" und könnten "zu viele alte Wunden wieder aufreißen", erklärte Außenminister Heiko Maas.

Betreffen könnte das die gesamte Region, meinen etliche Experten. Vor allem in Bosnien-Herzegowina, das ein zerbrechliches Staatengebilde mit zersplitterter Administration darstellt, könnten bereits vorhandene sezessionistische Tendenzen im Landesteil Republika Srpska befeuert werden. Darauf weist etwa Florian Bieber hin, der das Zentrum für Südosteuropastudien an der Karl-Franzens-Universität Graz leitet. Die Idee, dass mit neuen Grenzziehungen "das Problem wie mit einem Zauberstab gelöst wird, ist naiv", betont er gegenüber der "Wiener Zeitung". Stattdessen könnte ein Gebietstausch destabilisierende Wirkung haben sowie einen Präzedenzfall schaffen. "Und es würde bedeuten, dass Grenzen entlang ethnischer Linien wieder denkbar sind."

Daher sollten andere Optionen gefunden werden, die zu einem Abkommen zwischen Serbien und dem Kosovo führen, meint Bieber. Er findet es "beunruhigend, wie wenig Energie die EU in alternative Überlegungen und den Erweiterungsprozess überhaupt steckt".

Desinteresse in Washington

Allerdings ist die Union selbst bei diesem Thema gespalten - Frankreich etwa pocht darauf, dass Vertiefung Vorrang vor Erweiterung haben müsse. Hinzu kommt die Haltung der USA. Hatte Washington früher dem Kosovo in seiner jetzigen Gestalt Rückendeckung gegeben, herrscht nun Desinteresse vor. Die zwei Länder sollen sich das untereinander ausmachen, scheint mittlerweile die Devise zu sein.

Dass dies jedoch alles andere als einfach wäre, zeichnet sich bereits ab. Schon haben sich führende Politiker des Kosovo dagegen gewandt, dass Grenzkorrekturen ein Thema im Dialog mit Belgrad werden könnten. Wie mühsam solche Gespräche werden könnten, zeigen auch die Verhandlungen um ein Grenzabkommen mit Montenegro, zu dem der Kosovo ein weit unproblematischeres Verhältnis hat als zu Serbien. Doch selbst diese Debatten haben sich über Monate hingezogen und zu Tumulten im Parlament in Pristina geführt.

Eine Gelegenheit, sich über all das gemeinsam Gedanken zu machen, werden Vucic und Thaci schon in einer Woche haben. Am kommenden Freitag treffen die Präsidenten einander erneut in Brüssel. Zwei Tage später will Serbiens Staatschef Vucic eine Rede halten, die er als eine der wichtigsten in seinem Leben ankündigte. Schauplatz soll Mitrovica sein - im Norden des Kosovo.