Rom. (apa) Mit Einwanderungszahlen auf Rekordtief und einer Popularität auf Höhenflug feiert Italiens erste populistische Regierung ihre ersten 100 Tage im Amt. Die nach zähen Verhandlungen entstandene "Regierung des Wandels" aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung hat alle politischen Begriffe auf den Kopf gestellt. Seit der Vereidigung der Regierung Conte am 1. Juni ist Italiens Politik nicht mehr zu erkennen.
Die Regierung um den unbekannten Anwalt Giuseppe Conte setzt entschlossen ihr rechtes Programm um und gewinnt mit hartem Durchgreifen gegen die illegale Einwanderung an Zustimmung. Das ungleiche Duo aus den beiden Vizepremiers und Parteichefs Matteo Salvini und Luigi Di Maio diktiert die politische Agenda und stellt den unerfahrenen Premier in den Schatten. Mit seinem forschen Auftreten kommt vor allem der selbstsichere und polternde Innenminister Salvini gut an. In sämtlichen Umfragen hat die Regierung über 50 Prozent Zustimmung.
Getöse gegen Flüchtlinge
Durch Getöse gegen die Flüchtlinge und mit der Schließung der Häfen hat die Regierung Conte Brüssel gezwungen, sich mit dem Thema einer solidarischen Aufteilung der Migrationslast zu befassen. Dabei scheute Salvini nicht vor radikalen und fragwürdigen Methoden zurück: Fünf Tage lang mussten 140 Migranten an Bord eines Küstenwache-Schiffes in Catania ausharren, bevor sie an Land gehen konnten. Mit seinem harten Einwanderungskurs hat Salvini NGO-Schiffe aus dem Mittelmeer vertrieben, dafür die libysche Küstenwache aufgerüstet, die Migranten zwar rettet, sie aber zurück nach Tripolis führt.
Der radikale Anti-Migrationskurs zeigt Resultate. Die Zahl der Flüchtlinge, die von Libyen nach Italien gelangen, ist stark gesunken. 100.000 waren es in den ersten acht Monaten des letzten Jahres, noch 19.000 sind es im Vergleichszeitraum 2018. Der starke Migrationsrückgang wirkt sich positiv auf die Umfragewerte der Lega aus. Sollte es zu Neuwahlen kommen, würde die Salvini-Partei auf 30 Prozent der Stimmen kommen, das wäre fast doppelt so viel als bei den Parlamentswahlen im März.
In Sachen Wirtschaft hat die "Regierung des Wandels" bisher eine einzige Verfügung über die Bühne gebracht, das sogenannte "Dekret Würde". Dabei handelt es sich um ein Maßnahmenpaket, mit dem eine Arbeitsmarktreform der Vorgängerregierung Renzi zum Großteil rückgängig gemacht wird. Das Maßnahmenpaket ist ein Kernelement im Wirtschaftsprogramm der Fünf-Sterne-Bewegung, die unsicheren Arbeitsverhältnissen den Kampf angesagt hat. Für Unternehmen wird die Anstellung von Personal mit befristeten Arbeitsverträgen teurer.
Weitere Maßnahmen sollen in den nächsten Tagen verabschiedet werden. So soll noch diese Woche ein Anti-Korruptionspaket über die Bühne gehen, mit dem die Regierung für mehr Transparenz in den Beziehungen zwischen Unternehmen und öffentlicher Verwaltung sorgen will. Auch das System der öffentlichen Aufträge wird reformiert. Nach dem Brückeneinsturz in Genua mit 43 Todesopfern will die Regierung das System der privaten Autobahnlizenzen ändern.
Kostspielige Maßnahmen
Die großen Hürden stehen der Regierung Conte jedoch noch bevor. Bis Ende September muss das Kabinett seinen Budgetentwurf vorstellen. Die Fünf-Sterne-Bewegung will schon ab dem nächsten Jahr ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen, die Lega verspricht eine Senkung des Steuerdrucks und die Einführung einer "Flat Tax", mit der sie sich eine deutliche Ankurbelung des Wirtschaftswachstums erhofft. Um diese kostspieligen Maßnahmen zu finanzieren, will das Kabinett Conte den von der EU gewährten Spielraum beim Haushaltsdefizit 2019 fast gänzlich ausschöpfen. Der Fehlbetrag werde knapp unter der von der EU gesetzten Obergrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung liegen, sagte Salvini am Montag. Er wolle jedenfalls unter dem EU-Limit bleiben, versicherte der Lega-Chef.
Das minutiös ausgehandelte Koalitionsprogramm hat bisher die beiden ungleichen Partner Lega und Fünf-Sterne-Bewegung zusammengehalten. Doch ob die Allianz den Wogen des Herbstes mit all seinen Hürden bei der Budgetplanung standhalten wird, ist eine offene Frage. Die Fünf Sterne-Bewegung lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. "Die Regierung des Wandels ist ohne Opposition in Italien. Wir werden fünf Jahre lang regieren", versichert Di Maio.