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Gefälschter Abgesang auf ein Land

Von Alexander Dworzak

Politik

Automatisierte Programme machen Stimmung für die rechtspopulistischen Schwedendemokraten.


Stockholm/Wien. Ein Fußballspiel gab den Vorgeschmack auf den Wahlkampf. Der direkt verwandelte Freistoß nach Jimmy Durmaz’ Foul im WM-Match ermöglichte Deutschland in letzter Minute das 2:1 über Schweden. Der Abpfiff war Ankick für Hetze in den sozialen Medien: Durmaz - er wurde in Schweden geboren, seine Eltern sind Assyrer, also Christen - wurde als "Selbstmordattentäter" verunglimpft, er erhielt Todesdrohungen.

"Zu schnell und zu organisiert" entlud sich der Hass, meint Per Ödling im Radiosender SR. Der Professor für Telekommunikation an der Universität Lund analysierte 39.000 Kommentare auf Instagram sowie weitere 1000, die unmittelbar nach dem Spiel veröffentlicht wurden, aber schnell wieder verschwanden. Ödling vermutet Bots dahinter, automatisierte Programme, die wiederkehrend Inhalte veröffentlichen.

40 Prozent mehr Bots

Vor der Parlamentswahl am Sonntag prasseln wieder Bot-Kommentare auf die Wähler ein. Zwischen zehn und 16 Prozent aller Twitter-Nachrichten zum Wahlkampf stammen nicht von regulären Nutzern. Zu diesem Schluss kommt Ralph Schroeder in einer Studie für das schwedische Forschungsinstitut für Verteidigung nach der Analyse von 600.000 Tweets. Im Juli und August sei die Zahl der Bots um 40 Prozent in die Höhe geschossen.

Welche Personen oder Organisationen die Attacken auf Durmaz initiierten, ist bisher unklar. Zu den Wahlkampfaktivitäten sagt der schwedische Geheimdienst Säpo: "Es ist ein Puzzle, festzustellen, wer hinter jeder einzelnen Aktivität steckt. Das Puzzle wird erst nach einiger Zeit, nach der Wahl, fertiggestellt sein."

Eindeutig ist das Ziel der Attacken: ein Bild zu zeichnen von einem Schweden kurz vor dem Bürgerkrieg, vor der Kapitulation in - tatsächlich existierenden - Problemvierteln, vor der Islamisierung der Gesellschaft. Mehrfach geriet Schweden international in die Schlagzeilen; etwa durch die Falschmeldung, aus Rücksicht auf Muslime solle Weihnachtsbeleuchtung verboten werden.

Diese Sicht auf das Land kommt den rechtspopulistischen Schwedendemokraten zugute. Sie stellten sich stets gegen die Entscheidung, Flüchtlinge und andere Asylwerber ins Land zu lassen. 2015 waren es rund 163.000 Personen, so viele wie in keinem anderen EU-Land, gemessen an der Einwohnerzahl. Die sozialdemokratisch geführte Regierung schlug bald einen restriktiven Kurs ein, im Folgejahr sank die Zahl der Asylwerber auf 29.000. Diese Linie wird bis heute verfolgt, und die Sozialleistungen für Personen mit befristeter Aufenthaltsbewilligung wurden gekürzt. Dennoch müssen die Sozialdemokraten am Sonntag mit herben Verlusten rechnen, während die Schwedendemokraten wohl zur zweitstärksten Partei aufsteigen.

In den sozialen Medien erhalten die Schwedendemokraten durch die Bots Rückenwind. Knapp 50 Prozent der von Ralph Schroeder untersuchten Bot-Meldungen auf Twitter erwähnen die Partei wohlwollend. Die noch weiter rechts stehende Alternative für Schweden verbucht ein weiteres Drittel auf sich.

Unsicherheit schaffen

Bots sollen also bestimmte Themen sichtbar machen - Dinge, die die vermeintlichen "MainstreamMedien" aus politischer Korrektheit nicht anfassen. "Dadurch wird Unsicherheit geschaffen, worüber sich der Diskurs in der realen Welt tatsächlich dreht", sagt Schroeder zu SR. Dabei geht es um mehr als das Säen von Misstrauen in die Parteien, das demokratisch-pluralistische System ist letztlich das Angriffsziel.

Wer die Grundfrage nach der Beeinflussung von Wahlen aufwirft, landet schnell in Moskau. Der von der russischen Regierung finanzierte TV-Sender RT produzierte das 50-Minuten-Stück "Toleranz testen: Schweden sagen ,Genug‘ zu Migranten, No-Go-Zonen, Scharia und Massenvergewaltigungen". Der Film gipfelt in der Behauptung von Bloggern, dass Aktivistinnen minderjährige Flüchtlinge vergewaltigen würden. RT habe einen "klaren Propagandaauftrag", sagt Gerhard Mangott zu "orf.at". "Es ist eine Strategie der Unterwanderung und der Aushöhlung. RT sieht sich an, wo die Bruchlinien in einer Gesellschaft verlaufen, und hakt genau in diese Konflikte ein, um dadurch die Stimmung in der Bevölkerung anzuheizen und für innere Unruhe zu sorgen", meint der Politologe an der Universität Innsbruck. In Österreich kam RT zuletzt ins Gerede, als der Sender Exklusivbilder der Hochzeit von Außenministerin Karin Kneissl brachte. Die Verbeugung vor Wladimir Putin ging so um die Welt.

Die Schwedendemokraten kommen Russland zupass, befürworten sie doch den Austritt aus der EU - wie auch die Linkspartei. Die Anti-EU-Haltung ist eine Klammer jener Parteien in der Union, die offen oder verdeckt mit dem Kreml kooperieren.

Sicherheitspolitisch war die Krim-Annexion durch Russland 2014 ein Weckruf für Schweden. "Wir haben Berichte über ausländische Unterwasseraktivitäten in schwedischen Gewässern und wir sehen einen signifikanten Anstieg militärischer Aktivitäten in der Ostsee", sagte Premier Stefan Löfven Anfang 2017 bei der Präsentation der neuen nationalen Sicherheitsstrategie. Seit dem Höchststand 1963, als Schweden 3,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgab, fiel der Wert kontinuierlich; 2017 war es nur ein Prozent. Allerdings wurde die 2010 abgeschaffte Wehrpflicht im Sommer vergangenen Jahres wiedereingeführt. Auf der Ostseeinsel Gotland, auf einer Linie zwischen Stockholm und der russischen Exklave Kaliningrad, sind wieder Militärs stationiert. Und immer wieder kommen Debatten auf, ob Schweden der Nato beitreten soll.

Enger Partner der Balten

Das Land ist auch ein enger politischer und wirtschaftlicher Partner der baltischen Staaten. Diese bilden mit ihren langen Grenzen zu Russland und Belarus sowie den russischen Minderheiten in Estland, Lettland und Litauen die Achillesferse der Nato. Während die Geografie der Ostsee, besonders die Meerengen an den Zufahrten, den Westen begünstigt, erschweren die politischen Verhältnisse die Nato-Planungen. "Wenn man das Baltikum aus der Luft verteidigen will, braucht man den schwedischen und den finnischen Luftraum", sagt Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik zur Nachrichtenagentur Reuters.

Ihres Erachtens sei es nicht Ziel Russlands, das Baltikum einzunehmen. Das würde die eigenen Wirtschaftsinteressen gefährden, zuallererst die Gaspipeline Nord Stream 2 durch die Ostsee. Vielmehr sollen Nato und EU provoziert und als uneins bloßgestellt werden.

Eines der Bedrohungszenarien ist ein von Moskau angezettelter Aufstand russischer Minderheiten im Baltikum. Falschmeldungen und Bots spielen auch dabei eine große Rolle.

Russland hilft mit einem Film des Kreml-Propagandasenders nach.