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Berliner Koalitionsgrauen

Von Alexander Dworzak

Politik

Die Versetzung von Geheimdienstchef Maaßen sorgt für Empörung in der SPD, Rufe nach dem Regierungsaustritt werden laut.


Berlin/Wien. Kevin Kühnert ist wieder da. Jener Mann, der im vergangenen Winter zum Wortführer gegen die SPD-Regierungsbeteiligung im Bund wurde. Der 29-Jährige ist formell der sprichwörtliche siebte Zwerg von links in der SPD. Neben dem Jusos-Vorsitz betätigt er sich kommunalpolitisch im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Aber Kühnert gibt den Kritikern der sogenannten GroKo in Berlin eine Stimme, so auch diesmal.

Grund ist nun die Weglobung des umstrittenen Präsidenten des Verfassungsschutzes (BfV), Hans-Georg Maaßen, auf den Posten eines Staatssekretärs im Innenministerium. Das handelten die Koalitionspartner CDU, CSU und SPD am Dienstag aus, und zwar die Parteivorsitzenden Angela Merkel, Horst Seehofer und Andrea Nahles. Maaßen befeuerte die Diskussion um Ausschreitungen in Chemnitz nach dem mutmaßlichen Mord an einem Deutschen durch Asylwerber. Er streute via "Bild"-Zeitung Gerüchte über Falschinformationen, die er nicht belegen konnte.

Verständnis "bei unter null"

Ein Behördenleiter, dem Teile der Regierung nicht vertrauen, wird weiter für die Sicherheit des Landes zuständig sein. Dass die SPD-Spitze diesem Kuhhandel um Maaßen zugestimmt hat, empört Kühnert. Sein Verständnis sei "bei unter null", schrieb er auf Twitter. "Ich finde es rational nicht mehr erklärbar. Wahnsinn." Mit dem Jusos-Chef mucken auch weitere Vertreter des linken Flügels auf. "Mein Geduldsfaden für die Koalition ist extrem dünn geworden", sagte der stellvertretende Parteivorsitzende Ralf Stegner.

Die Fraktionsführung bemüht sich, die Schuld weg von Parteichefin Nahles auf die konservative Union zu lenken. Immerhin sei verhindert worden, dass Maaßen als Staatssekretär für Sicherheit mit den Bereichen Bundespolizei, Cyber- und öffentliche Sicherheit auch die Aufsicht über das BfV innehat. "Seehofer organisiert sein Ressort in eigener Verantwortung. Wenn er glaubt, dass Maaßen hilfreich ist, hat er das zu verantworten", twitterte der SPD- Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider mit Verweis auf den Innenminister und CSU-Chef.

Das alles ficht Kühnert nicht an. Der Preis sei zu hoch für den Fortbestand der Koalition, wetterte er in der ARD. Das kommt vor allem an die Parteibasis gut an. Die Parlamentarier im Bundestag bemühten hingegen schon vor Monaten mehrheitlich die "staatspolitische Verantwortung", welche die SPD in der Koalition notgedrungen tragen müsse. Für die GroKo-Gegner lag diese darin, im Bundestag Kanzlerin Merkel entgegenzutreten und nicht wieder die beiden Volksparteien in einer Koalition aneinanderzuketten. Am Montag tagt der Parteivorstand, Nahles hat sich inzwischen per Brief an die SPD-Mitglieder gewandt und für die Regierungsbeteiligung geworben.

Immer wieder Migration

Ein halbes Jahr nach dem Start von Schwarz-Rot und zwei Monate nach dem Streit zwischen CDU und CSU wird wieder das Ende der Regierung herbeigeredet. Wie im Juli ist die Migrationspolitik Kern des Konfliktes.

Maaßens Verfehlungen gerieten in den Hintergrund. Normalitäten wie Treffen des ehemaligen BfV-Chefs auch mit AfD-Politikern wurden dagegen zum Skandal aufgebauscht. Auch die Kritik Maaßens an Merkels Entscheidung, im Jahr 2015 die Grenzen offenzulassen, wurde neu aufgekocht angesichts der jahrelangen Auseinandersetzung zwischen Merkel und Seehofer in ebenjener Frage.

In diesem Meinungsklima konnte Seehofer seinen Geheimdienstchef nicht ins Bodenlose fallenassen. Das hätte die AfD dem ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten und dessen CSU vier Wochen vor der Landtagswahl im Freistaat ständig vorgehalten und noch dazu Maaßen zum Merkel-Opfer stilisiert. Noch in der vergangenen Woche sprach der Innenminister Maaßen sein Vertrauen aus. Am Tag nach Maaßens Versetzung betonte Seehofer, er habe Maaßen immer als kompetent und integer erlebt und hätte dessen Ablösung nicht betrieben.

Seehofer überraschte am Mittwoch mit der Ansage, von einem Vertrauensentzug der Kanzlerin gegenüber Maaßen habe er nichts gehört. Zumindest für öffentlich getätigte Äußerungen stimmt das, darf aber inhaltlich angezweifelt werden. Denn die SPD wäre allein zu schwach gewesen, um Maaßens Abgang durchzuboxen. Ihre Drohung, die Koalition zu sprengen, war nicht ernstzunehmen. Denn von Neuwahlen will zuallererst SPD-Chefin Nahles nichts wissen angesichts von maximal 20 Prozent in Umfragen und einer nur knapp hinter den Sozialdemokraten liegenden AfD.

Jungsozialist Kühnert fordert im NDR seine Parteispitze auf, "verbindlich Schmerzgrenzen" im Umgang mit der Union zu definieren. Das scheint ebenso unrealistisch wie ein Ende des Disputs zwischen Merkel und Seehofer. Auch ohne Neuwahlen treibt die Koalition damit der AfD, aber auch den Grünen, Wähler zu. Mittlerweile kommen Union und SPD gemeinsam nur mehr auf 50 Prozent der Stimmen.