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Schock im Hambacher Forst

Von Alexander Dworzak

Politik

Der Wald soll einem Braunkohlerevier weichen, er wird zum Symbol für die Probleme der Energiewende.


Düsseldorf/Wien. "Wir können jetzt nicht einfach so weitermachen, ich kann das zumindest nicht", sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul. Seit einer Woche räumt die Polizei 51 Baumhäuser im Hambacher Forst zwischen Aachen und Köln. 3500 Beamte stehen rund 150 Aktivisten gegenüber, diese wollen verhindern, dass der Wald gerodet und an dessen Stelle Braunkohle abgebaut wird. Nicht immer gewaltfrei, es kam dabei zu Zusammenstößen mit Verletzten. Doch nun beklagen Aktivisten, Politik und der Energiekonzern RWE, Betreiber des benachbarten Kohlereviers, unisono den Tod eines Menschen im Hambacher Forst. Ein Journalist stürzte am Mittwoch rund 15 Meter in die Tiefe, als Bretter auf einer Hängebrücke zwischen zwei Baumhäusern brachen.

Aktivisten schrieben von einem "Freund", der sie seit längerer Zeit begleitet habe. Der Mann habe auf der Brücke einen Einsatz des Sonderkommandos beobachten wollen. Subtext: Die Präsenz der Polizei sei schuld an dem Todesfall. Die Exekutive erklärte, es habe keine Polizeimaßnahmen in der Nähe der Unglücksstelle gegeben. Innenminister Reul appellierte an die Besetzer, die Baumhäuser freiwillig zu verlassen. Es ist zu bezweifeln, dass sie dem Ruf des CDU-Politikers folgen werden.

Die Debatte hat sich verselbständigt. Dabei bleiben auch die Fakten auf der Strecke: Gegner der Rodung argumentieren mit einer 12.000 Jahre alten Geschichte des Waldes. Doch sind die ältesten Bäume maximal 350 Jahre alt. Auch handelt es sich nicht um Europas letzten großen Mischwald. 550 Hektar, nur noch zehn Prozent der ursprünglichen Fläche, bestehen heute. "Allein in Nordrhein-Westfalen existieren 900.000 Hektar Wald", sagt Stefan Ruge von der Hochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg dem "Nordkurier".

Doch der Hambacher Forst ist mittlerweile Sinnbild für die Probleme in der deutschen Klimapolitik. Nicht nur aus der Atomkraft steigt die Bundesrepublik infolge der Energiewende aus, sondern auch aus der Verstromung von Braunkohle - der Art der Stromerzeugung mit den höchsten Kohlendioxid-Emissionen pro Kilowattstunde.

Wann das passiert, ist die große Frage. Um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen, sei ein Ausstieg zwischen 2025 und 2030 notwendig, meint Niklas Höhne vom klimaschutzaffinen New Climate Institute. Für "nicht zu schaffen" hält hingegen RWE-Chef Rolf Martin Schmitz den Kohleausstieg bis 2030. Es gebe "noch nicht genug Gaskraftwerke, die die Versorgungssicherheit garantieren".

Die schwarz-rote Bundesregierung - sie ging vom Ziel ab, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent gegenüber dem Wert von 1990 zu reduzieren - hat eine Kohlekommission einberufen. Bis Jahresende sollen die Vertreter aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Umweltgruppen ein Ausstiegsdatum vorlegen. Für Ärger sorgte Ronald Pofalla, Co-Vorsitzender der Kommission. Der frühere Kanzleramtsminister von Angela Merkel soll sich eigenmächtig mit Regierungsvertretern getroffen und einen Ausstieg bis 2038 in der Kommission als durchsetzbar bezeichnet haben.

Trotz Energiewende ist Braunkohle noch immer enorm wichtig, auf ihr basiert jede vierte in Deutschland verbrauchte Kilowattstunde Strom. Während deutsche AKW 2005 noch 154 Terawattstunden Strom erzeugten, waren es im vergangenen Jahr nur mehr 76 Terawattstunden. Dem steht ein lediglich leichter Rückgang bei Braukohle gegenüber, von 154 Terawattstunden 2005 auf 147 Terawattstunden 2017.

Jobmotor Braunkohle

Dementsprechend wichtig sind die Braunkohle-Abbauer als Arbeitgeber geblieben. Vier große Reviere gibt es in Deutschland: das Rheinische Revier - der Tagebau Hambach zählt dazu -, das Lausitzer und Mitteldeutsche Revier im Osten der Bundesrepublik sowie das Helmstedter Revier in Niedersachsen. Rund 21.000 Personen sind landesweit direkt beschäftigt, laut dem Bundesverband Braunkohle hängen rund 70.000 Jobs an der Branche. Die Kohlekommission soll daher auch Konzepte vorlegen, wie die strukturschwachen Gebiete den Ausstieg verkraften können.

Dass RWE noch vor dem Endbericht der Kommission auf die - rechtsgültige - Rodung besteht, stößt manchem sauer auf. Das Unternehmen argumentiert, der Hambacher Forst sei nötig, um den Tagebaubetrieb zwei weitere Jahre aufrechtzuerhalten. Würde die Förderung stillstehen, käme das teuer. Schließlich liege laut Analyst Thomas Deser der Anteil der Kohle bei RWEs Stromerzeugung bei rund 70 Prozent.

Die Umstellung auf die Energiewende verlief für die Essener - sie betreiben noch vier AKW - mehr als holprig, der Aktienkurs sackte im Fünf-Jahres-Vergleich zeitweise um mehr als 50 Prozent ab, derzeit sind es minus 12 Prozent. Die 2016 an die Börse gebrachte Ökostromtochter Innogy liegt momentan bei plus 6 Prozent; sie soll zwischen RWE und Konkurrent Eon neu aufgeteilt werden. So schnell lässt sich ein Wald nicht restrukturieren.