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Durchhalte-Appell mit doppeltem Union Jack

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Britische Premierministerin demonstriert Entschlossenheit in der Brexit-Frage. Doch ihre Verzweiflung ist unübersehbar.


London. Gleich zwei Union-Jack-Fahnen hatte Theresa May trotzig hinter sich an der Wand, als sie gestern in No. 10 Downing Street ganz ohne Vorwarnung eine Erklärung zur Verhandlungslage mit der EU nach ihrer Rückkehr vom Salzburger Gipfel abgab.

Und ebenso trotzig war ihr Ton, war ihre Botschaft an die Europäer, die ihr und ihrem Land gefälligst "Respekt" entgegenbringen sollten: Sonst sei alle Verhandlungs-Mühe vergebens, sonst gebe es beim Brexit eben "keinen Deal".

Sichtlich getroffen von der Abweisung durch die EU tags zuvor, suchte sich die Premierministerin im Innern der Regierungszentrale mit neuer Autorität zu rüsten. Dass die Brexit-Verhandlungen "total ins Stocken geraten" seien, räumte sie bereitwillig ein.

"Hinterhalt" der EU

Allerdings, beteuerte sie, habe sie keine andere Wahl, als an ihrem ureigenen "Chequers-Plan" festzuhalten. Weder britischer Verbleib im EU-Binnenmarkt - ein "weicher" Brexit - noch Reduktion der künftigen Beziehung zur EU auf einen bloßen Freihandelsvertrag - die "harte" Variante - lösten die Probleme, die sich mit dem Brexit stellten. Sie sei fest entschlossen, sagte May, das Referendumsergebnis von 2016 zu respektieren und zugleich dafür zu sorgen, dass keine "harte" Grenze in Irland entstehe. Und dafür biete eben nur ihr Plan Gewähr.

Mit ihrer Erklärung von höchster Warte suchte May nach Kräften, die Eindrücke des Vortags zu verwischen und zugleich der eigenen Partei zu signalisieren, dass sie sich partout nicht abbringen lasse von ihrem Kurs.

Brexit-Hardliner und Tory-Nationalisten hatten nach ihrer Rückkehr aus Salzburg praktisch schon den Abbruch der Verhandlungen mit der EU gefordert. Für die britische Rechte war die "Demütigung" der Premierministerin in Salzburg diese Woche vollkommen typisch für europäische "Hinterhältigkeit".

Von einem "Hinterhalt" und von "wenig staatsmännischem" Verhalten sprach am Freitag verdrossen auch Dominic Raab, Mays Brexit-Minister. London werde "die Ruhe bewahren", sagte Raab. Man müsse sich aber fragen, "wie ernst" es der EU mit den Verhandlungen sei. "Das erinnert doch nur daran, warum so viele Wähler hierzulande für den Austritt aus der EU gestimmt haben", klagte der frühere konservative Parteichef Iain Duncan Smith. "Die Leute haben mehr als genug von der diktatorischen, herrischen Art, von diesem Von-oben-herab der EU." Ex-Minister Stephen Crabb fand, Salzburg bringe Leute wie ihn zur Überzeugung: "Je schneller wir aus diesem Zirkus raus sind, desto besser für uns."

Die heftige Reaktion der Brexiteers stand zu erwarten - zumal Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron ihre Wortführer "Lügner" genannt hatte, bevor er den Gipfel verließ. Dass Ratspräsident Donald Tusk Theresa May in Salzburg mit dem unverblümten Urteil überraschen würde, ihr Plan fürs künftige Verhältnis Großbritanniens zur EU werde "nicht funktionieren", war so jedenfalls nicht einkalkuliert worden von May. Die Britin hatte geglaubt, dass die EU ihr in Salzburg mit ein paar diplomatischen Floskeln helfen würde, zumindest auf dem Tory-Parteitag über die Runden zu kommen, der übernächsten Sonntag beginnt. Sie hatte darauf vertraut, dass die EU-Repräsentanten sagen würden, Mays "Chequers-Plan" sei eine akzeptable Verhandlungs-Grundlage. Und dass sie bereit wären, Entscheidungen erneut aufzuschieben, in den Herbst hinein.

Stattdessen stießen die EU-Oberen May nicht nur in Sachen "Chequers" vor den Kopf, sondern forderten auch ultimativ eine Lösung der irischen Grenzfrage, zu der sich May seit der Abgabe genereller Garantien im letzten Dezember nicht mehr äußern wollte - nicht zuletzt aus Angst vor Nordirlands Unionisten, die die Verhandlungen mit größtem Argwohn verfolgen.

Von der irischen Regierung sah sich May am Freitag aufgefordert, ihre bislang unverbindlich angekündigten "neuen Vorschläge" zu dieser Frage den EU-Unterhändlern sofort, also schon vor dem Tory-Parteitag, und "in schriftlicher Form" zu unterbreiten. Möglichst in fertiger Gesetzesform.

Kritik an "schrillem Ton"

Britische Politiker und Kommentatoren, die in der verworrenen Lage kühlen Kopf zu wahren suchen, wiesen ihre Landsleute am Freitag darauf hin, dass Dublin und die EU in der Tat neun Monate lang vergebens auf eine Initiative aus London gewartet hatten; dass May, zur Frustration der Europäer, "mit leeren Händen" in Salzburg angereist war; dass ihr schriller Ton, ihre Alles-oder-nichts-Rhetorik weithin Ablehnung hervorgerufen hatte.

Das, urteilte das pro-europäisch Londoner Blatt "i" gestern, habe zum Eklat, zur "Katastrophe von Salzburg" für die Premierministerin geführt. Generell fürchtet man nun in Downing Street, dass May nach Salzburg kaum noch Spielraum für weitere Manöver hat. Ihre Gegner in der eigenen Partei, an denen kein Mangel herrscht, reiben sich schon die Hände mit Blick auf den kommenden Parteitag.

In der Tat findet sich May in keiner beneidenswerten Lage. Die meisten Politiker in London geben ihrem "Chequers-Plan" keine Chance mehr. Andere Wege, auch ein zweites Brexit-Referendum, hat May mehrfach abgelehnt, zuletzt bei ihrer gestrigen Erklärung. Selbst dass sie den 3,8 Millionen EU-Bürgern in Großbritannien feierlich versicherte, sie bräuchten sich keine Sorgen zu machen, sie dürften post Brexit auf jeden Fall im Lande bleiben, klang eher pessimistisch - nach der Erwartung eines Scheiterns der Verhandlungen.