Warum ist das Separatistenlager denn zerstritten?

Es herrscht unter den separatistischen Parteien eine gewisse Orientierungslosigkeit. Die Parteien sind zerstritten, weshalb auch die Separatistenbewegung "Nationaler Ruf nach der Republik" (kurz: Crida) des ehemaligen katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont, die die unterschiedlichen Gruppen einen sollte, wohl niemals das Licht der Welt erblicken wird. Vor allem trennt die Parteien ein Richtungsstreit. Die Linksrepublikaner der ERC wollen die Sache langsamer angehen und eine noch größere Unterstützung innerhalb der Bevölkerung erreichen, um mit Madrid ein neues und diesmal legales Referendum auszuhandeln. Sie wollen, dass das Separatistenlager bei mehreren Wahlen mindestens 50 Prozent der Stimmen erhält, um legitimiert zu sein. ERC-Chef Oriol Junqueras erklärte bereits aus der Untersuchungshaft, eine einseitige Unabhängigkeitserklärung komme für seine Partei nicht mehr in Frage. Puigdemont und seine konservative separatistische PDeCAT wollen hingegen so bald wie möglich Neuwahlen und bei über 50 Prozent direkt einen neuen Versuch starten. Die neomarxistische CUP spricht sich für die sofortige Umsetzung der vor einem Jahr ausgerufenen Republik aus. Neben Richtungskämpfen geht es natürlich auch um Machtkämpfe. Unterdessen steigt der Druck. Die Menschen, die jahrelang von den Parteien aufgestachelt wurden, wollen Ergebnisse sehen.

Könnten die Separatisten bei Neuwahlen denn über die Hälfte der Stimmen bekommen?

Sollten die inhaftierten Politiker der damaligen Regierung wirklich wegen Rebellion, zivilem Ungehorsam und anderen Vergehen im Zuge des Referendums und der Ausrufung der Republik verurteilt werden, ja. Viele Katalanen würden das als Erniedrigung und Demütigung des Volkes ansehen.

Spaniens neuer sozialistischer Ministerpräsident Pedro Sánchez verspricht nun allerdings politischen Dialog. Sehen Sie eine Chance?

Eigentlich nicht, denn Sánchez bietet Dialog über mehr Autonomierechte und Investitionen. Damit will und kann er vielleicht erreichen, dass viele Menschen bei den nächsten Wahlen ihre Stimme nicht mehr separatistischen Parteien geben. Aber den Katalonien-Konflikt wird das nicht lösen. Die Separatisten wollen nicht über mehr Geld oder Rechte verhandeln, sondern über die Unabhängigkeit, und das ist auch für Sánchez eine rote Linie.