Berlin. Lange hat sich die große Koalition in Berlin um die Frage gedrückt, wie man den durch den Dieselskandal geschädigten deutschen Autobesitzern entgegenkommen kann. Für Millionen Besitzer bedeuteten die manipulierten Abgaswerte einen massiven Wertverlust ihrer Dieselautos. Hinzu kam, dass in mehreren deutschen Städten bereits Fahrverbote für Dieselmotoren verhängt wurden, um die Feinstaubbelastung zu reduzieren. Frankfurt könnte folgen.
Betroffen sind von den Fahrverboten quasi alle Dieselfahrzeuge, die älter als drei Jahre sind. Doch nun schien eine Lösung in Reichweite. Vor einem Treffen der Spitzen von Union und SPD am Montagabend in Berlin wurde unter hohem Einigungsdruck über einen Kompromiss gerungen. Er soll Fahrverbote in Zukunft verhindern und für sauberere Luft in den Ballungsräumen sorgen. Details waren aber bis kurz vor dem Koalitionsgipfel offen.
Dazu zählte auch die Frage der Finanzierung. Konsens herrschte in allen drei Regierungsparteien darüber, dass die Autobesitzer geschont und die Hersteller, die sich ohnehin lange vor ihrer Verantwortung gedrückt haben, zur Kasse gebeten werden. Diese sind laut Medienberichten bereit zu zahlen. Doch auch die Steuerzahler dürften einen Teil der Kosten schultern müssen.
Zwei Alternativen standen jedenfalls zur Debatte - und beide kosten viel Geld. Die technische Nachrüstung der alten Diesel-Motoren, die aber sehr zeitaufwenig ist - oder eine Prämie beim Umtausch von Euro-5-Modellen gegen neue, sauberere Diesel der Norm Euro-6 oder gegen Benziner. Letzteres wird von den Unionsparteien einschließlich der Bundeskanzlerin Angela Merkel - und natürlich von der Autobranche deutlich favorisiert. VW, Daimler und BMW sollen sich in den Verhandlungen mit der Regierung in Berlin bei der Höhe der von ihnen zu leistenden Umtauschprämie flexibel gezeigt haben. So berichtete das "Handelsblatt" unter Berufung auf Regierungs- und Branchenkreise, dass die Hersteller nun sogar bis zu 10.000 Euro pro Fahrzeug angeboten hätten. Bisher war von maximal 8000 Euro Prämie die Rede. Offen war aber, ob in ganz Deutschland oder nur in besonders belasteten Gebieten hohe Prämienzahlungen angeboten werden sollen. Viele blickten etwa auf die Pendlermetropole Frankfurt am Main, wo nach einem Gerichtsurteil im kommenden Fahrverbote kommen sollen.
VW hatte schon einmal eine Umtauschaktion durchgeführt. Damals wurden 2000 bis 4000 Euro offeriert, 200.000 Fahrzeuge im Zuge dessen ausgetauscht. Die SPD beharrte derweil hingegen darauf, dass auch technische Nachrüstungen durch den Einbau von SCR-Katalysatoren auf Kosten der Herstellen Teil des Lösungspakets sein müssten - dort, wo es sich lohne, wie Umweltministerin Svenja Schulze betonte. "Die Automobilindustrie hat uns das eingebrockt, und die muss das auch bezahlen."
Die Union bremst und verweist auf ungeklärte Haftungsfragen. Zuvor hatten sich bereits die Betriebsratsvorsitzenden von Volkswagen, Daimler und BMW gegen pauschale Hardware-Nachrüstungen ausgesprochen. Eine solche Regelung würde "einseitig deutsche Hersteller benachteiligen und Arbeitsplätze gefährden", hieß es in einem gemeinsamen Appell, der in der "Bild"-Zeitung (Montagausgabe) veröffentlicht wurde. Ausländische Marken - mit einem Marktanteil 26,5 Prozent - weigerten sich bislang, nachzurüsten.
Die Dreierkoalition stand unter Zugzwang, eine Lösung zu finden. Denn sie musste sie nach den wochenlangen Querelen bei Migration und der Personalie Hans-Georg Maaßen ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Die Popularitätswerte liegen im Keller. Laut einer von "Spiegel"-Online in Auftrag gegebenen Umfrage des Civey-Instituts fiel die Union bundesweit auf ein neues Rekordtief von 27 Prozent - ein Minus von drei Prozentpunkten binnen vier Wochen. Die SPD rutschte auf 18,6 Prozent ab (gleichauf mit der AfD), dicht gefolgt von den Grünen mit 15,7 Prozent.