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"Das ist es nicht, was wir wollten"

Von Michael Schmölzer

Politik

Einen raschen und kompromisslosen Bruch mit der EU fordert der britische Ex-Außenminister am Parteitag der Tories.


Birmingham/Wien. Boris Johnson hat am Parteitag der britischen Tories exakt die Vorstellung geliefert, die von Anhängern und Gegner gleichermaßen erwartet worden war: Der Ex-Außenminister wurde laut, reckte die rechte Faust in die Höhe, unterhielt sein Publikum mit Witzen - und wurde dafür mit Applaus und Bravo-Rufen bedacht.

Johnson pries die traditionellen Tory-Werte Freiheit, Marktwirtschaft und Selbstverantwortung - um dann den Plan von Premierministerin Thersa May zum EU-Austritt Großbritanniens in Bausch und Bogen zu verwerfen. Keine halben Sachen, tönte der gefährlichste Gegner der britischen Regierungschefin; der Ausstieg aus der EU müsse kompromisslos, rasch und gründlich über die Bühne gehen. Der sogenannte Chequers-Plan, der von May verbissen verteidigt wird, sei nicht das, wofür die britische Bevölkerung im Juni 2016 gestimmt habe: Er gehöre, meinte Johnson, in den Mistkübel geworfen.

"Demütigung" für Briten

Dass May eine enge Verbindung mit der EU aufrechterhalten wolle, sei völlig "fehl am Platz". Es würde nichts anderes bedeuten, als dass Großbritannien dazu verurteilt wäre, "ein Vasallenstaat" zu sein. Der Chequers-Plan komme einer Demütigung gleich. "Ich glaube", so Johnson, "dass wir mit einem ordentlichen Freihandelsabkommen nach Vorbild des europäisch-kanadischen Ceta-Vertrags auskommen können."

Der EU aber gehe es in erster Linie darum, an Großbritannien ein Exempel zu statuieren. Jenes, dass ein Austritt aus der Union nur mit großen Nachteilen und unter Schmerzen möglich sei.

Es sei auf keinen Fall ratsam, gleichzeitig halb inner- und halb außerhalb der EU sein zu wollen, sagte der Tory-Wortführer. Eine derartige Vorgangsweise sei "Gift". Der Plan, den May verfolge, sei nichts anderes als ein Versuch, die britischen Wähler in die Irre zu führen, erklärte Johnson unter lautem Applaus und "Bravo"-Rufen des rund 1000-köpfigen Publikums in Birmingham. Damit werde man lediglich die extreme Rechte, etwa Ukip, oder die extreme Linke in Form von Labour-Chef Jeremy Corbyn stärken.

Einem zweiten Referendum über den Brexit erteilte Johnson, der mit Fortdauer der Rede so richtig in Fahrt kam, ebenfalls eine klare Absage. Ein solcher Schritt werde das Misstrauen in die Politik an die Spitze treiben: "Wenn wir die Sache jetzt in den Sand setzen, dann werden uns die Menschen in diesem Land das so schnell nicht verzeihen." Der Plan, den May im Sinn habe, werde Großbritannien für Generationen unter dem Einfluss der Europäischen Union belassen. "Es würde bedeuten, dass die britische Wirtschaft und Industrie - unsere gesamte Wirtschaft - bis in alle Zukunft reguliert würde."

"Egal, mit was die EU in Zukunft daherkommen würde: Es würde bedeuten, dass wir diesen Nonsens implementieren müssten ohne jede Chance, das zu ändern oder uns zu widersetzen." Das wäre laut Johnson "kein Kompromiss", sondern "gefährlich und unsicher".

Nach der Rede war für die meisten Beobachter klar, dass der Politiker am Stuhl der Premierministerin sägt, ohne offen deren Rücktritt zu fordern. Laut den britischen Buchmachern hat er eine gute Chance, May bald an der Spitze der Regierung abzulösen.

Keine Alternative

Ebenso klar ist für Analysten auf beiden Seiten des Ärmelkanals, dass Johnson abseits großer Worte keine wirklich realistische politische Alternative zu bieten hat. Er macht - wie andere überzeugte Brexiteers - die Rechnung ohne den Wirt. Die Bedeutung, der Einfluss und die Gestaltungsmöglichkeiten der britischen Regierung werden bei den stolzen Verfechtern britischer Eigenständigkeit maßlos über-, die Möglichkeiten Brüssels aber unterschätzt.

Gegenüber dem britischen Boulevardblatt "Sun" erklärte Johnson bereits ausführlich, was er als Erstes tun würde, wenn er britischer Premier wäre: den Stichtag für den Brexit, den 29. März 2019, mindestens um sechs Monate hinauszögern, um die Verhandlungen "wieder in Schwung zu bringen". Wie bei den meisten Ideen Johnsons ist aber völlig unklar, ob die EU dem zustimmt.

Kurz vor dem Parteitag ist der Ex-Minister zudem mit Vorschlägen zur Lösung des Irland-Problems an die Öffentlichkeit gegangen. Er schlug vor, die Zollkontrollen, die nach dem Brexit fällig werden, abseits der eigentlichen Grenze mit modernen technischen Methoden vorzunehmen, um eine harte Grenze zu vermeiden.

Das Ende der Freizügigkeit

Knapp vor Johnsons Rede hat May angekündigt, dass sie nach dem Brexit den bevorzugten Status für Arbeitnehmer aus der EU beenden wolle. Nach 2019 werde es neue Regeln für die Einwanderung geben, mit der Bevorzugung von EU-Arbeitskräften sei dann Schluss: "Zum ersten Mal seit Jahrzehnten wird dieses Land selbst kontrollieren und auswählen, wen wir hierherkommen lassen wollen", pries May die geplanten Restriktionen.

Das neue System werde es ermöglichen, die Einwanderung gering qualifizierter Arbeitskräfte und die Zuwanderung insgesamt einzuschränken. Die Briten hätten zu lang das Gefühl gehabt, dass sie "ignoriert" und ihre Anliegen "nicht ernst genug" genommen würden.

Ein Weißbuch zur Einwanderung soll es diesen Herbst geben, ein Gesetzesentwurf könnte 2019 vorgelegt werden.