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Einer hat schon verloren

Von Alexander Dworzak

Politik

Die CSU muss in Bayern mit dem Verlust der absoluten Mandatsmehrheit rechnen. Seehofers Zeit als Parteichef scheint vorbei.


München/Wien. Zumindest einen Negativrekord wird die CSU nicht brechen. Um 17,3 Prozentpunkte rutschten die bayerischen Christsozialen bei der Landtagswahl 2008 ab. Bei minus 12 Prozentpunkten sehen Demoskopen die Partei vor der Wahl am Sonntag in einer Woche. Der große Unterschied: Vor zehn Jahren landete die CSU dennoch bei 43,4 Prozent. Nun wird sie erstmals seit 1954 bei einer Landtagswahl im Freistaat die 40-Prozent-Marke deutlich unterschreiten. Die vorausgesagten 35 Prozent würden zwar spielend für Platz eins reichen. Gemessen am Selbstverständnis der alleine regierenden CSU wäre es ein Desaster.

Vor zehn Jahren ist die Krise der Volksparteien auch in Bayern angekommen. Nun schlägt sie wieder voll durch, nachdem die CSU bei der Wahl 2013 insbesondere von einer FDP im Zerfallsmodus profitierte und zulegte. Doch der Aufstieg der AfD infolge der Diskussionen um Flüchtlinge, Asyl und Integration hat auch in Bayern den Parteienwettbewerb verändert. "Die CSU ist erstmals eingezwängt", sagt Michael Weigl, Politikwissenschafter an der Universität Passau. "Früher hatte sie die konservative Basis sicher und musste nur noch Wähler aus der Mitte erreichen. Nun muss die CSU zusätzlich Abwanderungen Richtung AfD verhindern, also einen inhaltlichen Spagat wagen."

Berliner Verhältnissein München

Misslingt die Streckung, franst die Parteienlandschaft aus. Das passierte bereits bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr. Seitdem sitzen Vertreter von sieben Parteien aus sechs Fraktionen unter der Reichstagskuppel. In München drohen nun Berliner Verhältnisse. Neben der CSU ziehen die Grünen, die AfD, die SPD und die bürgerlichen Freien Wähler fix in den Landtag ein. Schaffen auch die FDP und die Linkspartei den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde, sind im Maximilianeum sieben Parteien vertreten - in der vergangenen Legislaturperiode waren es nur vier.

Die CSU hat diese Entwicklung befördert. Nachdem sie bei der Bundestagswahl mehr als zehn Prozentpunkte verloren hatte, herrschte Verdruss. Schließlich gab die CSU im Wahlkampf ihre zentrale Forderung gegenüber Kanzlerin Angela Merkel auf, eine Obergrenze für Asylwerber von 200.000 Personen jährlich war bei der CDU nicht durchzusetzen. Konservative Signale sollten nun her, um dem erklärten Hauptkonkurrenten AfD das Wasser abzugraben. Die Nationalpopulisten schafften bei der Bundestagswahl 12,4 Prozent in Bayern.

Zäh wehrte sich Horst Seehofer gegen seine Ablöse als Ministerpräsident, musste aber letztlich Markus Söder den Vortritt lassen. Der sandte mit der Anbringung von Kreuzen in Behörden sogleich ein konservatives Signal. Am Tag seiner Wahl im Parlament, Mitte März, kündigte der 51-jährige Franke den Aufbau einer bayerischen Grenzpolizei an und verwies auf die in der schwarz-roten Koalition im Bund letztlich doch durchgesetzte Obergrenze. Söder gab aber auch den Kümmerer für die Mitte, problematisierte Pflege und Wohnungsknappheit in den Städten.

Der inhaltliche Spagat ging aber unter, stattdessen führte Deutschland wieder einmal eine Islamdebatte. Ausgerechnet an jenem 16. März platzierte Seehofer via "Bild"-Zeitung die Sätze: "Nein. Der Islam gehört nicht zu Deutschland." Seinem Erzrivalen Söder warf Seehofer einst "charakterliche Schwächen" und einen "Hang zu Schmutzeleien" vor. Demontiert, nur noch CSU-Chef und Bundesinnenminister wider Willen, stellte Seehofer persönliches vor Parteiräson.

Seehofer und Söder verband aber ihre Abneigung gegen die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. So war die Islamdebatte der Auftakt zu Auseinandersetzungen mit der Kanzlerin. Die Koalitionspartei CSU betrieb öffentlich Oppositionspolitik.

Seit dem Grenzstreitmit Merkel geht es bergab

Im Sommer eskalierte die Situation aufgrund der Frage, ob Personen an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden sollen, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben. Der Anlass war angesichts der drastisch gesunkenen Zahl an Asylwerbern ein Nebenproblem. Die CSU biss sich aber an einer Abrechnung mit Merkel fest. Söder sprach von "Asyltourismus"; nach öffentlicher Kritik ruderte er zurück, er werde das Wort nicht mehr gebrauchen.

Fast wäre die Bundestagsfraktion aus CDU und CSU zerbrochen. Söder merkte zwar früher als Seehofer, dass die Bayern überzogen hatten, und schlug sanftere Töne an, um eine jahrzehntealte "Schicksalsgemeinschaft" zu retten. Doch die Einsicht kam zu spät, die Umfragen sprechen eine deutliche Sprache: Auch wenn der Grenzstreit beigelegt wurde, seit Anfang Juli ist die 40-Prozent-Marke für die CSU außer Reichweite. Die Zeche dafür zahlt im Wesentlichen Seehofer: "Er wurde in der CSU als Schuldiger ausgemacht, ist dermaßen beschädigt, dass er nach der Landtagswahl als Parteichef wohl abtreten muss", sagt Michael Weigl der "Wiener Zeitung". Dass Seehofer Minister bleibt, hält der Politologe für möglich. Wahrscheinlich sei aber auch dieses Szenario nicht.

Dann aber wäre es vorbei mit den Alleingängen gegenüber Merkel. Ohne den CSU-Vorsitz fehlt ihm die Rückendeckung, wenn er sich wieder auf ein Machtspiel mit der Kanzlerin einlässt. Sie könnte ihren renitenten Minister entlassen, ohne eine konservative Krise herbeizuführen.

Selbst wenn Seehofer geht: Die AfD wird bleiben.