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Europas Flucht nach vorne

Von Bernd Vasari

Politik
Mit pathetisch-pompöser Musik und Lichtkegeln in grellen Farben wurde bei der Europäischen Woche der Regionen und Städte versucht, die EU erstrahlen zu lassen.
© Vasari

Die EU versucht mit allen Mitteln, ihr Imageproblem in den Griff zu kriegen. Ein Besuch in Brüssel.


Brüssel. Beamtenapparat, abgehoben, in sich gekehrt. Ein halbes Jahr vor den EU-Wahlen hat die Europäische Union ein Imageproblem. Alles, was nicht funktioniert, wird dem supranationalen Staatenbund in die Schuhe geschoben, alles, was funktioniert, funktioniert trotz der EU. So sieht es die Mehrheit der Bürger, 54 Prozent sind laut einer aktuellen Eurobarometer-Umfrage unzufrieden, wie die Demokratie in der EU organisiert ist.

Bei den EU-Wahlen von 23. bis 26. Mai könnten sie den handelnden Akteuren rund um Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine empfindliche Niederlage zufügen. In Brüssel weiß man um diese Stimmung in der Bevölkerung. Bei der Europäischen Woche der Regionen und Städte, die bis Donnerstag in Brüssel stattfand, versuchte man mit großem Aufwand, die EU erstrahlen zu lassen. Hunderte Regionalvertreter und Journalisten aus allen 28 Mitgliedsstaaten wurden eingeladen. Lichtkegel in grellen Farben durchblitzten den angemieteten Saal, pathetisch-pompöse Musik erklang, Juncker tänzelte - Hüften schwingend - zum Rednerpult, junge Europäer erzählten strahlend von ihren Reisen durch Europas Regionen.

Der Fokus auf den Regionen, die Umverteilung zwischen reicheren und ärmeren Gegenden, sie gehören zum Selbstverständnis, zur DNA der EU. Hier ist der Staatenbund am spürbarsten. Parkanlagen, Schulen, Öffis, die mithilfe von EU-Geldern errichtet wurden, sind ideale Werbeträger. Wären da nicht Bürgermeister, Landeshauptleute, die bei der Eröffnung eines Projekts die beiden Buchstaben EU gerne weglassen, sich stattdessen selbst in die Auslage stellen.

"Europa ist tagtäglich bei uns", sagt Pavel Telicka, Vizepräsident des Europäischen Parlaments. "Einiges ist zwar nicht perfekt, aber vieles klappt. Das fällt jedoch weniger auf, es ist für die Bürger selbstverständlich." Karl-Heinz Lambertz, Präsident des Ausschusses der Regionen, ergänzt: "Wenn man mit der U-Bahn fährt, eine Brücke überquert, die mithilfe von EU-Geldern gebaut wurden, wenn man ohne Zusatzgebühren in ein anderes EU-Land telefoniert, nur mit einer Währung zahlt, dann haben wir das der EU zu verdanken. Vielen Bürgern ist das nicht bewusst."

"Was kann ich für die EU tun?"

Er fordert: "Wir müssen auch einmal über die Erfolge der EU reden, wir reden ja immer nur über die Probleme." Die Bürger und Landespolitiker nimmt er in die Pflicht: "Man muss sich auch die Frage stellen, was kann ich für die EU tun, nicht immer nur, was kann die EU für mich tun."

Ob das reicht? Das Thema Migration liegt wie eine graue Wolke über Europa. Viele Bürger fühlen sich machtlos, bedroht, haben Angst. Antonio Tajani, Präsident des Europäischen Parlaments, räumt ein: "Europa hat das Migrationsthema unterschätzt. Wir haben weggesehen, obwohl wir alle wissen, was in Malta, Griechenland, Italien und Spanien passiert." Noch immer landen zahlreiche Flüchtlingsboote an ihren Küsten. Jedes Boot stärkt die rechtsnationalen Parteien, stärkt die Ansicht der Bürger, dass sich die EU nicht kümmert. "Der Aufschrei ist nun groß, vielleicht größer als notwendig. Das haben wir uns aber selbst eingebrockt." Er fordert: "Wir müssen entgegensteuern. Wir brauchen eine größere Solidarität innerhalb Europas." Tajani vergleicht die Situation mit der Zeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. "Der Süden braucht die Solidarität des Ostens, so wie es der Osten damals vom Süden erfuhr."

Europäische Kluft

Da ist sie also wieder. Die von allen Seiten immer wieder postulierte Aufforderung, zusammenzustehen. Die Kluft zwischen dem Osten, dem Westen, dem Süden, sie schwächt die Europäische Union, sie macht die dringend notwendige gemeinsame Stimme unmöglich. Zu sehr sitzen die Blöcke mit dem Rücken zueinander.

Die Jugend soll es nun besser machen. Ein Projekt der Kommission schickte erstmals acht junge Europäer auf vier Routen über den Kontinent. Auf insgesamt 12.000 Kilometern besuchten sie über 50 EU-finanzierte Einrichtungen, EU-geförderte Unternehmungen in 20 Ländern. Der Andrang war groß. 2000 Menschen hatten sich aus allen Ländern - außer Zypern - für die Reise beworben.

Die acht Auserwählten

Mit breitem Zahnpasta-Lächeln berichten die acht Auserwählten über ihre Erfahrungen. Über den bulgarischen Fischer, der stolz von seinem renovierten Häuschen an der Donau schwärmte, über die mit Solarzellen betriebenen Boote, die Griechenland mit Albanien verbinden, über die portugiesischen Feuerwehrmänner, die vor einem Jahr gegen verheerende Waldbrände kämpften und nun auf eine Technologie zur Überwachung und Erkennung von Bränden zurückgreifen können.

Die Erkenntnis der Reise: "In Europa gibt es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede", sagen sie. Über Facebook und Instagram hielten sie ihre Erlebnisse während ihres Trips fest. Doch obwohl die Werbewirkung groß war, gibt es Bedenken in der Kommission. "Was soll es bringen, junge Europäer mehrere Wochen auf Urlaub durch Europa zu schicken?", lauten die Vorbehalte in den Brüsseler Amtsstuben. Das Projekt soll 2019 fortgesetzt werden, wie genau, können die Organisatoren aber noch nicht sagen.

Dabei gehe es darum, die Jugend ins europäische Boot zu holen, sagt Juncker. Einmal mehr betonte er die Aufstockung der finanziellen Mittel für Erasmus. "Zehn Millionen junge Menschen haben bisher bei Erasmus mitgemacht. Wir wollen die Zahlen nun verdoppeln", sagt er.

Er schüttelt weitere Versprechungen aus dem Ärmel: 373 Milliarden Euro in den kommenden sieben Jahre, die in europäischen Regionen investiert werden, mehr Mittel für Forschungs- und Innovationspolitik, mehr Mittel für eine Migrations- und Verteidigungspolitik. Auch den Klimawandel gelte es in den Griff zu bekommen. Mehr Energieeffizienz, mehr erneuerbare Energien, verspricht der Kommissionspräsident. Ob er die Versprechen halten kann?

Gekürt wurden wie jedes Jahr bei der Woche der Regionen und Städte auch die RegioStars, die Preisträger der besten EU-geförderten Projekte. Darunter auch eines aus Großbritannien. Sieben Millionen Euro investierte die EU in das walisische Zentrum für Sprache und Kultur, Nant Gwrtheyrn, an der walisischen Nordküste. Mit den Geldern der EU wurde die abgeschiedene Gegend belebt, 40.000 Besucher zählt die Gegend heute, bedankt sich der Preisträger. Es war das letzte Mal, das ein Projekt aus Großbritannien prämiert wurde. Im März kommenden Jahres verlassen die Briten die EU.

Seine Rede schließt der walisische Preisträger mit: "Goodbye!" Die EU-Wahlen sind für ihn kein Thema mehr.

Die Pressereise erfolgte auf Einladung der Europäischen Union.