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Endspiel um die Alleinvertretung

Von Alexander Dworzak aus Bayern

Politik

Bayern = CSU, diese Gleichsetzung hat vor der Wahl am Sonntag ausgedient. Notizen aus einem Freistaat im Umbruch.


Ingolstadt. Der Viktualienmarkt in Ingolstadt hat nichts mit seinem Namensvetter in München gemein. Keine Touristenmassen, aber auch kein Charme. Auf der lieblosen Holzbank-Landschaft verlieren sich Kleingruppen, im Hintergrund surrt das Schneidegerät für das Fleisch am Kebabspieß. Nur 50 Meter entfernt treten im Stadttheater Horst Seehofer und Markus Söder auf. Der CSU-Chef in seiner Heimatstadt, dazu der Ministerpräsident, und das in der Woche der Landtagswahl: Doch in der Altstadt ist nichts von dem Auftritt zu spüren, keine Ankündigungen, keine Wahlkampfhelfer. Lediglich neben dem Theatereingang hängen ein paar CSU-Logos. Lieblos ist es auch hier. Und blutleer.

"Es ist paradox", sagt Markus Söder drinnen. "Ich führe seit 25 Jahren Wahlkämpfe. Ging es der Wirtschaft gut, hatten wir Erfolg." Der Ministerpräsident rattert die Erfolgszahlen des Freistaates herunter: eine Million Arbeitsplätze binnen zehn Jahren geschaffen, die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit Europas, seit 13 Jahren keine neuen Schulden gemacht und sechs Milliarden Euro Verbindlichkeiten zurückgezahlt.

Die Wähler interessieren sich nur mäßig für diese Fakten. Am Sonntag wird die CSU bei der Landtagswahl klar unter die 40-Prozent-Marke rutschen. Die absolute Mandatsmehrheit ist dahin.

Denn Politik ist mehr als die Aneinanderreihung von Kennzahlen. Das weiß niemand besser als die CSU: "Laptop und Lederhose", mit dieser genialen Wortschöpfung schaffte sie es in den 1990ern, den Umbruch vom Industrie- zum Hochtechnologiestandort jedem verständlich zu machen. Und ein Lebensgefühl zu vermitteln.

Nichts gelernt von Kurz

Ein derartiger Satz fehlt heute. Söder spricht von der Digitalisierung, bei der Bayern vorne sein müsse. Der 51-jährige Franke hat ein eigenes Raumfahrtprogramm initiiert. Ein Erdbeobachtungssatellit soll Daten liefern, um die Landwirtschaft zu vernetzen. Komponenten für die Raumfahrt sollen erforscht, aber später auch in Bayern produziert werden. "Bavaria One" lautet das Programm. Die anderen Parteien höhnen. Ein Karikaturist zeichnete Astronauten auf dem Mars, die die blau-weiße Landesflagge hissen und einen Biergarten aufbauen.

Die Zukunft wirkt fern, viele hätten gerne Antworten auf die Probleme der Gegenwart. Für AfD-Sympathisanten bestehen diese zuallererst in der Migrationspolitik. An der Grenze zu Österreich und Tschechien erreichten die Nationalpopulisten bei der Bundestagswahl 2017 ihre besten Ergebnisse. Dort war der Kontrollverlust des Staates 2015 besonders stark spürbar, nachdem Kanzlerin Angela Merkel beschlossen hatte, die Grenzen offen zu lassen. "Jeder in Passau kann eine persönlich erlebte Geschichte erzählen, beispielsweise von Flüchtlingen, die nachts von Schleppern auf den Straßen ausgesetzt wurden", sagt Michael Weigl, Politologe an der Universität Passau. Zudem sei Deggendorf besonders konservativ. In diesem Wahlkreis schaffte die AfD 19,2 Prozent. So viel wird es bayernweit nun nicht werden. Aber die AfD hat sich als politischer Faktor auch im Freistaat etabliert.

"Die Nordafrikaner gehören nicht zu uns", sagt ein Mann am Ingolstädter Viktualienmarkt. "Ständig gibt es wegen ihnen Polizeieinsätze", pflichtet ihm seine Sitznachbarin bei. Mit der AfD wollen sie aber nichts zu tun haben: "Die sind ein bissl arg radikal. Aber euer Kurz ist ein super Politiker."

Vom Bundeskanzler hätte sich die CSU abschauen können, wie man Rechtspopulisten ihr Paradethema abknöpft - und in eine neue Botschaft gießt: "Ich habe die Balkanroute geschlossen", lautete diese bei Kurz. Die CSU tat in der Migrationsfrage nicht mehr, als eine Schmalspurvariante der AfD zu geben. Wenn sie eine Obergrenze von 200.000 Aslywerbern pro Jahr forderte, war die AfD mit der Zahl null zur Stelle.

Nicht nur inhaltlich war die CSU ausgelaugt, sie begann auch, wie die AfD zu sprechen. "Wir wollen zeigen, dass der Rechtsstaat noch funktioniert", sagte Söder bei der Präsentation des bayerischen "Asylplans" im Juni - als ob das politische System dysfunktional wäre. Wenn dem so wäre, welchen Anteil hätte die CSU daran, die seit 13 Jahren ununterbrochen Koalitionspartner in Berlin ist und seit 1957 den Ministerpräsidenten in Bayern stellt?

Im Sommer eskalierte der Streit um die Zurückweisung von Personen, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt hatten. Seehofer drohte mit einem Ministerentscheid, über den Kopf der Kanzlerin hinweg. Söder rief das "Endspiel um die Glaubwürdigkeit" aus. Bürgerlich-liberale Wähler wandten sich von der CSU ab, die seitdem nicht mehr aus dem Stimmungstief kommt.

Söder schwenkte um: Der Mann von der Abteilung Attacke versucht sich in der Rolle des Landesvaters. Ausgerechnet er sagt nun: "Der Kompromiss wird als faul diskreditiert." Was Söder in Ingolstadt nicht erwähnt: 2015, Merkel, Asyl-Obergrenze und die fast zu Bruch gegangene Fraktionsgemeinschaft von CDU/CSU. Als ob die Zeit vor der Migrationswende stehengeblieben wäre. Dafür künsteln Söder und Seehofer, die einander über Jahren bekämpft haben, Einigkeit.

Auf der Bühne des Stadttheaters führen die beiden das Stück politische Parallelwelt auf. Im Publikum hält Andreas Spreng ein selbst gemachtes Plakat hoch. "CSU erfolgreich in Bayern und Berlin. 40% + x", steht darauf. Spreng, 82, ist seit 60 Jahren Parteimitglied. Auf seinem Janker prangen Buttons des bayerischen Wappens und der CSU.

Doch selbst Spreng übt Kritik: "Die Ablösung Seehofers macht man so nicht, schon bei Stoiber war es unwürdig." Nachdem die CSU bei der Bundestagswahl 2017 unter 40 Prozent lag, wurde der Druck auf Seehofer so groß, dass er das Ministerpräsidentenamt zurücklegte. Er hatte die Partei nach dem Verlust der Absoluten 2008 übernommen und fünf Jahre später zu alter Stärke in Bayern geführt. 2003 erreichte Edmund Stoiber 60 Prozent, dann holte die CSU die Arroganz der Macht ein. Die Partei wurde ihn aber nicht rechtzeitig los.

Freiheit für Alleingänge weg

Zu kurz greift aber, die Krise nur an den Akteuren festzumachen. Der Werte- und Gesellschaftswandel ist schon lange in Bayern angekommen, schleichender zwar als in anderen Bundesländern, aber unaufhaltsam. 185.000 Mitglieder zählte die CSU 1990, Ende 2017 waren es noch 141.000. Söder greift im Wahlkampf zum letzten Strohhalm, er setzt das wirtschaftliche Erfolgsmodell Bayern mit der CSU gleich. Statt des Endspiels um die Glaubwürdigkeit kämpft er nun im Endspiel um die Alleinvertretung. Wie kann er diese bei weniger als 40 Prozent geltend machen? "Gar nicht", lautet die knappe Antwort von Politikwissenschafter Weigl.

Damit droht der CSU weniger Macht für Querschüsse im Bund. Weigl weist darauf hin, dass sich der Ministerpräsident mit dem Koalitionspartner abstimmen müsse; seien es nun Grüne oder Freie Wähler und FDP. Die Unberechenbarkeit war jedoch stets unabdingbar, wollte die CSU in Berlin erst genommen werden. "Zu viel Unberechenbarkeit ist aber auch nicht gut", zieht Weigl eine Lehre aus einem Wahlkampf, der in die Geschichte eingehen wird.