Brüssel/London/Wien. (czar/reu) So zäh die Verhandlungen sich auch gestalten - über die Brexit-Gespräche gäbe es auch Positives zu berichten. Immerhin ist der Großteil des Austrittsabkommens zwischen Großbritannien und der EU ausverhandelt. So wurden bereits Antworten auf die Fragen geliefert, wie London seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft nachkommt und wie die Rechte der EU-Bürger zu garantieren sind, die auf der Insel leben.

Doch einiges bleibt ungeklärt. Und da auch hier die Regel gilt, dass nichts vereinbart ist, bevor nicht alles vereinbart ist, häufen sich schon die Warnungen vor einem chaotischen, da ungeordneten Brexit. Eine Trennung ohne Abkommen wäre für EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker beispielsweise eine "Katastrophe". Die "No deal"-Möglichkeit hatte auch schon EU-Ratspräsident Donald Tusk zur Sprache gebracht: Dieses Szenario sei "wahrscheinlicher als jemals zuvor", schrieb er in seinem Einladungsbrief an die Staats- und Regierungschefs der EU.

Die Spitzenpolitiker kommen am heutigen Mittwoch zu einem Treffen in Brüssel zusammen. Bei einem Abendessen soll der Brexit im Mittelpunkt stehen. Die britische Premierministerin Theresa May ist eingeladen, den Standpunkt Londons darzulegen. Dabei steht sie nicht nur unter Druck der EU, die noch vor einem knappen Monat Teile ihrer Pläne als "unakzeptabel" bezeichnet hatte, sondern ist auch auf die Rückendeckung ihres Kabinetts angewiesen, aus dem es immer wieder Kritik an den Überlegungen Mays gehagelt hat.

Um diese Unterstützung warb die Politikerin bei einer Regierungssitzung in London einen Tag vor dem Treffen mit ihren EU-Amtskollegen. Mit Erfolg, wie der Sprecher der Regierungschefin mitteilte. Ranghohe Kabinettsmitglieder würden hinter May stehen. Es gebe auch keine Minister, die ihren Rücktritt in Erwägung zögen. Denn noch am Wochenende waren Gerüchte kursiert, dass sich bis zu vier Regierungsvertreter zurückziehen wollten, sollte die Premierministerin der EU zu weit entgegenkommen.

Vorbereitungen auf "No deal"

Eines der Zugeständnisse, die in London nicht hingenommen würden, betrifft den sogenannten Auffangmechanismus für die irische Insel, der als "Backstop" bezeichnet wird. Da beide Seiten eine sichtbare Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland vermeiden möchten, sind sie zwar beide an einer Lösung dafür interessiert. Doch den EU-Vorschlag, dass Nordirland zunächst weiterhin Teil des EU-Binnenmarkts und der Zollunion bleibt, lehnt London bisher ab. Das würde nämlich bedeuten, dass nach dem EU-Austritt Großbritanniens Kontrollen zwischen Teilen des Königreichs nötig wären. Es könne aber keine Grenze in der Irischen See geben, befand der britische Brexit-Staatssekretär Martin Callanan. Außerdem pochte er darauf, dass jedes Zoll-Arrangement - wie auch eine mögliche Auffanglösung für Irland - zeitlich befristet sein soll.

Das wiederum kann sich Dublin kaum vorstellen. Eine zeitlich begrenzte Klausel wäre keine Auffanglösung mehr, erklärte der irische Außenminister Simon Coveney. Ein Backstop müsse als Versicherung so lange bleiben, bis etwas Besseres gefunden werde. Einen Durchbruch bei den Gipfelgesprächen erwartet Coveney aber nicht.

Nicht weniger pessimistisch äußerte sich Tusk. Denn die Berichte von EU-Chefverhandler Michel Barnier würden ihm auch keinen Grund zum Optimismus geben, sagte der Ratspräsident. Für einen Durchbruch brauche es nicht nur guten Willen, sondern auch Fakten. Daher möchte Tusk Premier May fragen, ob sie konkrete Vorschläge habe, um aus der Sackgasse zu kommen.

Gleichzeitig werden auch Stimmen laut, die Brexit-Verhandlungen noch zu verlängern. Das hatte unter anderem Barnier suggeriert. Österreich, das derzeit den EU-Vorsitz innehat, lehnt das nicht ab. "Ein paar Wochen sind nicht entscheidend", meinte Bundeskanzler Sebastian Kurz: "Wir müssen alle ein Interesse daran haben, dass es zu keinem harten Brexit kommt."

Dennoch will die EU ihre Vorbereitungen für den Fall eines ungeordneten Austritts Großbritanniens intensivieren. Die verbleibenden 27 EU-Staaten müssten dies gut koordinieren, stellte ein ranghoher EU-Vertreter fest. Zahlreiche Gesetze müssten geändert werden. Ein Beispiel sei der künftige Umgang mit britischen Bürgern: Das wäre zwar die Angelegenheit jedes EU-Landes, würde aber trotzdem eine Koordinierung der Mitgliedstaaten erfordern.