Zum Hauptinhalt springen

"Spanien zuerst"

Von WZ-Korrespondent Manuel Meyer

Politik

Bisher hatten rechtsextreme Parteien in Spanien keine Chancen. Die Vox-Partei erhält nun regen Zulauf.


Madrid. Santiago Abascal war sich zuvor etwas unsicher, ob es wirklich eine gute Idee sei, gleich die große Vistalegre-Mehrzweckhalle anzumieten. Seine rechtsextreme Vox-Partei wollte sich am 7. Oktober erstmals einem größeren Publikum vorstellen.

Normalweise kamen bisher immer nur ein paar hundert Interessierte zu diesen informativen Partei-Events, mit denen sich die erst 2013 gegründete Vox-Partei bekannt machen will. Diesmal rechnete man mit einigen tausend. Doch in die ehemalige Stierkampfarena Vistalegre im Madrider Außenbezirk Carabanchel passen 10.000 Menschen.

Eine halb leere Arena wäre irgendwie peinlich gewesen, meint Parteichef Santiago Abascal im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" und anderen ausländischen Medienvertretern. "Die Tageszeitungen hätten am nächsten Tag bestimmt geschrieben, wir wären größenwahnsinnig geworden, würden uns vollkommen überschätzen".

Damit die Zeitungen keine Fotos mit unzähligen leeren Sitzplätzen drucken konnten, bereitete man vorsichtshalber hunderte von Partei-Plakate vor, um die unbesetzten Stühle einfach zu verdecken. Doch dann die Überraschung: Die Plakate wurden gar nicht gebraucht. Alle 10.000 Plätze waren besetzt. "Vor der Tür standen noch Tausende, für die es leider keinen Platz mehr gab", versichert Parteichef Abascal auch nach Tagen immer noch ganz euphorisch.

Surfen auf der rechten Welle

Seit dem Event in Vistalegre habe seine Partei 1000 neue Mitglieder gewonnen. Zählte man vor einem Jahr noch 3000 Parteihänger, seien es heuer bereits 11.000 Mitglieder. Peanuts im Vergleich zu den Mitgliederzahlen der großen Volksparteien. "Doch auch die AfD und die FPÖ haben in Deutschland und Österreich mal klein angefangen", meint Santiago Abascal, der sich besonders in Ungarns rechten Ministerpräsidenten Viktor Orbán inspiriert.

Nicht nur der 42-jährige Politiker mit Hipster-Bart und figurbetonten Anzügen wirkt ein wenig überrascht, wie viele Spanier neuerdings auf der rechten Welle mitsurfen wollen. Auch Spaniens traditionellen Volksparteien fühlen sich nahezu überrumpelt vom überraschenden Aufstieg der neuen Rechtspartei, suchen nach Gründen und vor allem nach einem Gegengift. Denn der Publikums-Erfolg beim Meeting in der Vistalegre-Arena spiegelt sich auch in den jüngsten Wahlumfragen wider.

Während die Vox-Partei weder bei den Europaparlaments-Wahlen 2014 noch bei den zahlreichen spanischen Regionalwahlen ein Jahr später einen einzigen Abgeordneten erhielt, prophezeien ihr jüngste Meinungsumfragen gleich dutzende Sitze bei den im kommenden Frühjahr anstehenden Gemeinde- und Regionalwahlen. Mehr noch: Selbst bei spanischen Parlamentswahlen könnten die Rechtsextremen 1,8 Prozent der Stimmen erhalten und damit erstmals mit ein oder zwei Abgeordneten ins Parlament einziehen.

Solche Prognosen hält Abascal für gefährlich. Wenn es dann doch nicht gelingt, könnte die momentane Popularitätsblase schnell wieder platzen. Gerne würden er und seine Partei-Genossen noch mehr Zeit zum Wachsen haben, um sich erneut einem Urnengang zu stellen. Dennoch hat sich die Parteiführung am Mittwochabend entschieden, bereits am 2. Dezember bei den vorgezogenen Regionalwahlen in Andalusien teilzunehmen.

Der Urnengang in Spaniens bevölkerungsreichsten Region mit 8,4 Millionen Einwohnern ist wichtig. Er gilt als eine Art erster Stimmungstest mit Blick auf die landesweiten Gemeinde- und verschiedenen Regionalwahlen im Frühjahr und die Europawahlen im Mai. Zudem könnte die sozialistische Minderheitsregierung von Pedro Sánchez in jedem Moment zusammenbrechen.

Doch woher kommt dieser plötzliche Erfolg der rechtsextremen Anti-Immigrations-Parteien? Denn illegale Migranten werden in der spanischen Gesellschaft noch nicht als Bedrohung wahrgenommen. Zwar wurde Spanien heuer nach der Schließung der Balkan-Route und im Zuge der restriktiven italienischen Flüchtlingspolitik zum Hauptziel der Migrationsströme nach Europa. Doch die meisten Flüchtlinge ziehen ohnehin weiter nach Frankreich, Deutschland, Österreich.

"Vox profitiert vor allem von den Fehlern der konservativen Volkspartei. Der langjährige PP-Chef und Ministerpräsident Mariano Rajoy war viel moderater wie sein Vorgänger José María Aznar. Das gab bereits auch den Ciudadanos Aufwind. Vor allem viele rechte Wähler konnten sich nicht mehr mit den Konservativen identifizieren", erklärt der spanische Politologe Pablo Simón. Andererseits würde die politische Debatte derzeit radikaler werden. Mit Pablo Casado habe die PP erneut einen rechteren Hardliner als Chef. Der politische Ziehsohn Aznars bezieht vor allem im Wählerkampf mit den neuen Ciudadanos von Albert Rivera rechtere Positionen - und diese halten dagegen. "Die Debatten über illegale Migration, vor allem aber über den Umgang mit den katalanischen Separatisten radikalisiert sich. Das kommt Vox ganz klar zugute", so Pablo Simón.

Was den Amerikanern an Donald Trump gefällt, scheint derzeit auch immer mehr Spanier anzuziehen. Santiago Abascal gelingt es zudem, vor allem den Unmut vieler Spanier über den katalanischen Unabhängigkeitsprozess einen neuen spanischen Patriotismus entgegenzusetzen. Spanier sollten "wieder stolz auf ihr Land sein", schmettert Santiago Abascal dem Publikum in der Vistalegre-Arena entgegen.

Abtreibungen wieder strafbar

Man wolle Abtreibungen wieder strafbar machen, die Homo-Ehe rückgängig machen, den Stierkampf als spanisches Kulturgut unter Schutz stellen und illegale Einwanderer sofort wieder abschieben. Er verlangt in den spanischen Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla Mauern, wie sie sein Vorbild US-Präsident Donald Trump an der Grenze zu Mexiko hochziehen will. In der Linie von Trumps "America first" schmettert Abascal ein "España primero" ("Spanien zuerst") heraus und erhält als Antwort ein lautstarkes "Viva España" von den Massen in der Vistalegre-Halle.

Abascal fordert ein Gesetz, das alle Firmen zwingt, erst Spaniern einen Job anzubieten. Er will die Autonomie wieder auflösen, einen Zentralstaat aufbauen. In Katalonien will er die separatistischen Parteien sogar verbieten lassen, die seit Jahren den Unabhängigkeitsprozess vorantreiben, der im Oktober vergangenen Jahres in einem illegalen Referendum über die Abspaltung der Region gipfelten. "Ihr seid hier, um Spanien zu verteidigen", heizt Abascal die Stimmung an.

Vorwürfe, seine Partei sei "europafeindlich", lehnt er ab. "Wir lieben Europa. Wir sind Europa. Das können wir mit mehr Recht als andere sagen. Denn wir Spanier haben Europa vor dem vorrückenden Islam geschützt, in sieben Jahrhunderten Reconquista!" Diejenigen, die die europäische Identität zerstören wollen, indem sie die Masseneinwanderung unterstützen, seien die wirklichen Feinde Europas.