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Selbstdemontage noch vor dem Wahlausgang

Von Alexander Dworzak

Politik

CDU und SPD müssen in Hessen mit starken Verlusten rechnen.


Wiesbaden/Wien. Warum die SPD deutschlandweit nur mehr eine 15-Prozent-Partei ist, demonstriert sie kurz vor der so wichtigen Landtagswahl in Hessen nachdrücklich. Keine relevante politische Kraft beherrscht es dermaßen gut, sich selbst zu demontieren. Erst vor zwei Wochen verlor sie bei der Landtagswahl in Bayern die Hälfte der Stimmen. Daraufhin gaben die SPD sowie der zweite große Wahlverlierer, die CSU, und deren Schwesterpartei CDU die Devise aus, bis zum Urnengang in Hessen sollen nicht die Streitigkeiten der schwarz-roten Koalition in Berlin die Schlagzeilen dominieren.

Mittlerweile sind die guten Vorsätze Makulatur. Erst richtete der stellvertretende SPD-Bundesparteichef Ralf Stegner in der "Welt" aus: "Was jetzt noch innerhalb dieser Koalition geht, darüber werden wir sehr ernsthaft diskutieren müssen." Nun bringt die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis ein Mitgliedervotum ins Spiel, ob die Sozialdemokraten die Bundesregierung verlassen sollen. Beide gehören dem linken Parteiflügel an. Während sich Stegner einst zu einem Ja für die sogenannte GroKo in Berlin durchrang, blieb Mattheis stets eine Gegnerin der Regierungsbeteiligung. Nun desavouieren sie gemeinsam Parteichefin Andrea Nahles und den Wahlkampf des hessischen SPD-Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel.

Dabei hat der 49-Jährige die Chance, neuer Ministerpräsident zu werden - trotz der großen Stimmverluste, auf welche sich die Sozialdemokraten auch in Hessen einstellen müssen. Die Querelen im Bund färben auf Schäfer-Gümbel ebenso negativ ab wie auf Hessens CDU-Ministerpräsidenten Volker Bouffier. Doch eine Mehrheit für ein rot-rot-grünes Bündnis ist nicht ausgeschlossen. Allerdings könnte es passieren, dass die Grünen letztlich vor der SPD landen. Der grüne Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir amtierte in den vergangenen fünf Jahren als Wirtschaftsminister in der schwarz-grünen Landesregierung und ist der beliebteste Politiker Hessens.

Rot-Grün-Rot oder Grün-Rot-Rot wäre eine delikate Konstellation, denn die Erinnerungen an 2008 sind noch wach. Im Wahlkampf hatte SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti ein Bündnis mit der Linkspartei ausgeschlossen, wollte sich dann aber doch von der Linken tolerieren lassen, um Ministerpräsidentin zu werden. Vier Abgeordnete aus den eigenen Reihen verweigerten Ypsilanti die Gefolgschaft; eine vorgezogene Wahl folgte, bei der die SPD die Quittung erhielt und 13 Prozentpunkte verlor. Die CDU wird dieser Tage nicht müde, auf das damalige Chaos hinzuweisen, sie warnt vor einer Wiederholung.

Wieder profitieren Grüne und AfD vom Bundestrend

Al-Wazir hält sich in Koalitionsfragen bedeckt und wendet sich gegen "Ausschließeritis". Eine geräuschlose Alternative könnte eine Koalition von Rot und Grün mit der FDP sein, die in Rheinland-Pfalz bereits existiert.

Die Furcht vor einer Regierung mit der Linkspartei ist das einzige Thema, das konservative Wähler emotional erreicht und die CDU-Niederlage im Zaum halten könnte - so wie in Bayern die CSU-Drohkulisse instabiler Verhältnisse im Land dazu führte, dass statt der prognostizierten 33 letztlich 37 Prozent die Partei wählten. Bouffier liegt nun mit 26 Prozent um 12 Prozentpunkte hinter seinem Ergebnis vor fünf Jahren.

Dabei ist die schwarz-grüne Bilanz in Hessen ausgezeichnet: Mit 4,4 Prozent ist die Arbeitslosigkeit so gering wie seit einem halben Jahrhundert nicht; deutschlandweit schneiden nur Bayern und Baden-Württemberg besser ab. Vom Brexit profitiert Frankfurt im Besonderen, und das auf zweifache Weise. 25 Banken haben die Main-Metropole als neuen Standort gewählt, Paris hingegen nur sieben, je sechs Dublin und Luxemburg. Auch der Flughafen boomt, er sichert mittlerweile 80.000 Jobs. Der Erfolg sorgt jedoch für ein enormes Pendleraufkommen und für stark steigende Immobilienpreise.

Unter gewöhnlichen Umständen wäre Bouffier unumstrittener Gewinner des Booms und strahlender Wahlsieger. Stattdessen könnte er am Sonntag traurige Miene zum Verlust von Wählern Richtung Grüne und AfD machen - die Nationalpopulisten landen wohl über zehn Prozent. Die Generalsekretärin der Bundespartei, Annegret Kramp-Karrenbauer, gibt unumwunden die Anspannung bei ihrer CDU, der CSU und der SPD ob der drohenden bundespolitischen Konsequenzen zu. Niemand könne zu 100 Prozent sagen, "wie stabil das bleibt". Sie rechnet mit Neuwahlen, falls die Regierung auseinanderbrechen sollte, nicht mit einer Tolerierung Kanzlerin Angela Merkels durch andere Parteien. Die CSU, oftmals Störenfried der Koalition, fürchtet Neuwahlen. Sie mahnt daher: "Flucht aus der Verantwortung hat noch nie gegen mangelnde Zustimmung geholfen."