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Bedroht von allen Seiten

Von Ronald Schönhuber

Politik
© WZ-Montage: Hackenberg

Bei den Wahlen in Bayern und Hessen haben die ehemaligen Großparteien stets mehr als zehn Prozent eingebüßt. Grüne und AfD haben im gleichen Ausmaß gewonnen. Profitiert haben beide Aufsteiger vor allem vom unscharfen Profil ihrer Gegner.


Berlin/Wien. Dass sie als kommende Volkspartei gehandelt werden, ist für die deutschen Grünen keine vollkommen neue Erfahrung. Schon nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 waren die Zustimmungswerte kometenhaft gestiegen, zeitweise lag man bundesweit bei rund 20 Prozent. Und die Grünen waren nicht nur in Umfragen stark. Im Mai 2011 wurde Winfried Kretschmann, der zuvor bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg mit 24 Prozent Platz zwei geholt hatte, mit Hilfe der SPD zum ersten grünen Ministerpräsidenten Deutschlands gewählt.

Die grüne Welle des Jahres 2011 entpuppte sich allerdings als Strohfeuer. Auf Bundesebene bestimmte die Parteilinke unter Jürgen Trittin die Linie der Gruppierung. Steuererhöhungswünsche und eine Serie von Maßnahmen, die als Bevormundung empfunden wurden, ließen die Partei bei der Bundestagswahl 2013 von 10,7 auf 8,4 Prozent schrumpfen.

Doch diesmal dürfte der Aufstieg, der im vergangenen Jahr nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen begonnen hat, deutlich nachhaltiger sein. Denn die guten Umfrageergebnisse, die die Grünen seit einiger Zeit schon auf Platz zwei vor der SPD sehen, schlagen sich auch nahezu eins zu eins an der Urne nieder. So gelang den Grünen bei der Landtagswahl in Bayern vor zwei Wochen eine Verdoppelung von 8,6 auf 17,8 Prozent. Und in Hessen kratzt man mit einem Plus von 8,7 Prozent bereits deutlich hörbar an der 20-Prozent-Marke.

Vorstoß in die Mitte

Doch es sind nicht allein die absoluten Zuwächse, die die grüne Führungsspitze auf eine Zeitenwende hoffen lassen. Auch der Abstand zu den stärksten Parteien hat sich teils massiv verkleinert. So liegen die Grünen in Hessen nun nur noch 7 Prozentpunkte hinter der CDU und 94 Stimmen vor der SPD. Und selbst in Bayern kommt die einst allmächtige CSU nur noch auf einen Vorsprung von 19 Prozentpunkten.

Eine der Hauptursachen für diesen Aufschwung wird im neuen Spitzenpersonal gesehen. Mit Robert Habeck und Annalena Baerbock ist das Führungsduo erstmals mit zwei Realos besetzt. Nach außen tritt damit die Partei wie erneuert auf, die kräftezehrenden Flügelkämpfe mit der Parteilinken sind bisher so gut wie ausgeblieben.

Doch Habeck und Baerbock stehen nicht nur in Sachen Führungs- und Streitkultur für einen völlig neuen Kurs. Das neue Spitzenduo stößt auch ganz gezielt in jene Lücken, die die Großparteien mit ihrem zunehmend undeutlich gewordenen politischen Profil eröffnet haben. Das betrifft, wenn man die Größe der Wählerwanderung ins Auge fasst, zunächst einmal die SPD. So werden die Grünen heute viel mehr als die Sozialdemokraten als eigentlicher Gegenpol zur AfD wahrgenommen. Während die SPD in der Flüchtlingsfrage mit einer Vielzahl Stimmen und Meinungen aufwartete, vertraten die Grünen von Anfang eine einheitlich und klare Linie. Ein ganz ähnliches Bild zeigt sich auch im Umgang mit der Erderwärmung. So ist die SPD zwar prinzipiell für Klimaschutz, beim Ausstieg aus der Braunkohle warf SPD-Chefin Andrea Nahles den Grünen zuletzt aber eine rücksichtslose Umweltpolitik vor, die sich nicht um die Menschen vor Ort kümmere.

Doch es sind bei weitem nicht nur linke Positionen, mit denen die Grünen im Teich der SPD fischen. Laut Manfred Güllner, dem Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, sind viele der neuen Grün-Wähler SPD-Sympathisanten, die eher zur politischen Mitte tendieren. Der neue Mitte-Kurs, den Habeck und Baerbock ausgegeben haben, macht die Grünen damit aber auch für eine neue Heimat suchende CDU-Wähler attraktiv. Laut Forsa stammen zwar 42 Prozent der "Neu-Grünen" auf Bundesebene von der SPD, 25 Prozent von der Union. Sie bekommen bei Habeck und Baerbock nicht nur ein bürgerliches Auftreten serviert, sondern auch Themen, die früher undenkbar gewesen wären. So besetzen die Grünen auch klassisch konservative Themen, indem sie etwa eine Aufstockung der Polizei fordern.

Schwieriger Umgang

Wie schwer sich die Großparteien mit den Aufsteigern tun, die ihnen an allen Rändern die Wähler abspenstig machen, zeigt schon allein das Beispiel der Union. Schon während der Jamaika-Sondierungen hatte sich CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt als scharfer Kritiker eines Bündnisses mit den Grünen profiliert. Er warnte davor, diesen mit einer Koalition ein Mäntelchen der Bürgerlichkeit umzuhängen, das er für strategisch gefährlich für die Union hält. Auch andere CSU-Politiker warnen seit Jahren, die Hauptkonkurrenz der CSU sei nicht etwa die SPD, sondern vor allem die im urbanen Raum punktenden Grünen. Die CDU geht jedoch einen anderen Weg: In Baden-Württemberg akzeptierte sie 2016 sogar eine Juniorrolle unter Kretschmann, in Hessen regierte relativ lautlos ein schwarz-grünes Bündnis. Auch Kanzlerin Angela Merkel warnte immer wieder davor, dass der geforderte Rechtskurs der CSU und des konservativen Flügels der CDU keine AfD-Wähler zurückbringe, dafür aber immer mehr Wähler der Mitte verschrecke.