Wien. "Ich wusste, meine Chance, Europa zu erreichen, betrug vielleicht ein bis fünf Prozent", sagt Tareke Brhane. "Aber ich wusste auch: Ich muss es probieren, um ein sicheres Leben zu führen, um mich frei zu fühlen."

Tareke Brhane ist davon überzeugt, dass sich die Flüchtlinge nicht aufhalten lassen, nach Europa zu kommen. - © Stanislav Jenis
Tareke Brhane ist davon überzeugt, dass sich die Flüchtlinge nicht aufhalten lassen, nach Europa zu kommen. - © Stanislav Jenis

Der 31-Jährige stammt aus Eritrea, einer Militärdiktatur an der afrikanischen Küste des Roten Meeres. Männer werden zu einem Militärdienst gezwungen, der ein ganzes Leben lang dauern kann und bei dem die Vorgesetzten laut Menschenrechtsorganisationen ihre Untergebenen zur Strafe auch foltern. Das ist heute so, und das war vor rund zehn Jahren so, als Brhane, wie so viele junge Eritreer vor und nach ihm, seine Flucht antrat.

Welches Risiko er damit auf sich nahm, darüber machte er sich keine Illusionen. "Du kannst an der Grenze in deinem eigenen Land aufgehalten, getötet oder eingesperrt werden", berichtet Brhane, der beim dritten humanitären Kongress in Wien zu Gast war, der "Wiener Zeitung". Zudem würden viele Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa in der Wüste verdursten - ein tagelanger, qualvoller Tod. Für andere endet die Reise damit, dass sie in den Transitländern, etwa im Sudan oder in Libyen, verhaftet werden. "Und die Schlepper können den Flüchtlingen alles Mögliche antun, sie foltern oder vergewaltigen", berichtet Brhane. Unterdrückung in der Heimat, ein lebensgefährlicher Fluchtweg voller Erniedrigungen als Alternative. "Du fühlst dich verdammt", sagt Brhane.

Nur die wenigsten schaffen es bis nach Europa - Brhane gehörte dazu und wurde in Italien auch aufgenommen. Heute arbeitet er als Flüchtlingshelfer für "Save the Children", er nimmt auf Lampedusa Flüchtlinge in Empfang, gibt ihnen Essen und erste Unterstützung. Gleichzeitig betreibt er Aufklärungsarbeit, ist "Sprecher des Komitees 3. Oktober" - benannt nach dem Tag im Jahr 2013, an dem 368 Menschen vor der Küste Lampedusas ertranken.

Die Tragödie war für Europa ein Schock. Italienische und europäische Politiker reisten auf die Insel, der damalige EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso sprach davon, dass sich Europa nicht abwenden dürfe. Als Antwort startete Italien die Aktion "Mare Nostrum" - eine Operation, bei der Schiffe weit in internationale Gewässer fuhren. Es war eine breit angelegte Aktion zur Rettung von Flüchtlingen.

Grenzschutz statt Flüchtlingsrettung