Zum Hauptinhalt springen

Gestörte Beziehung

Von Karl Ettinger

Politik

Die Gewerkschaft boykottiert eine Feier, Sozialministerin Hartinger-Klein wirbt um Miteinander.


Wien. "Mindestsicherung jetzt in Gefahr." "Geförderte Arbeitsplätze jetzt in Gefahr.""Wochenendruhe jetzt in Gefahr." Gewerkschafter sind ausgestattet mit Schildern vor dem Eingang des Museums für angewandte Kunst postiert, um zu zeigen, dass der ÖGB um hundert soziale Errungenschaften fürchtet. Der ÖGB sieht daher auch "keinen Grund zum Feiern" und bleibt demonstrativ dem Festakt 100 Jahre Sozialministerium, zu dem die amtierende Ressortchefin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) am Montag geladen hat, fern, was diese später "traurig" findet.

Der ÖGB sieht das Sozialministerium als eine Art Erbpacht. Dass die türkis-blaue Bundesregierung und die Sozialministerin die Reform der Sozialversicherung und das neue Arbeitszeitgesetz, das einen Zwölf-Stunden-Tag erlaubt, durchgezogen hat, empört die Gewerkschaft derart, dass sie die Feier boykottiert. Die noch lebenden früheren Minister wie Erwin Buchinger und Lore Hostasch (SPÖ) sind eingeladen und sitzen in der Säulenhalle neben früheren freiheitlichen Amtskollegen wie Herbert Haupt und Ursula Haubner. Ex-Ressortchef Alois Stöger, Metallergewerkschafter und jetzt SPÖ-Parlamentarier, hat sich hingegen der Boykottaktion angeschlossen.

Sein Vorgänger Rudolf Hundstorfer sagt beim Hineingehen, die Entwicklung im Sozialbereich verfolge er "mit Bauchweh und Ablehnung". Denn ein Umbruch solle immer gemeinsam erfolgen. "Ich kann nur hoffen, dass auch diese Regierung wieder auf den Boden der Realität kommt", betont Hundstorfer.

Nein zum "Überbeanspruchen" des sozialen Netzes

Mit dem Video, das dann beim Festakt in der MAK-Säulenhalle einen Streifzug durch die Sozialversicherung liefert, hätten die Gewerkschafter keine Freude gehabt. Während die Arbeitnehmervertreter ihre Macht beschnitten sehen, wird im Beitrag die Selbstverwaltung beschworen und die Fusion von 21 auf fünf Anstalten als Vereinfachung gepriesen.

Die amtierende Sozialministerin geht nicht direkt auf aktuelle Konfliktthemen ein. Am Ende meint aber auch sie beschwörend: "Es geht nur miteinander." Dann versichert Hartinger-Klein: "Wenn wir Rechtsstaat und Demokratie bewahren wollen, müssen wir unsere sozialstaatlichen Errungenschaften in Zukunft auch gemeinsam sichern." In Österreich sei ein gutes soziales Netz vorhanden. Diese "solidarische Hilfestellung" sei in den vergangenen hundert Jahren immer mehr gewachsen und dürfe auch "nicht überbeansprucht" werden, warnt die Sozialministerin. Man müsse den Sozialstaat "mit Augenmaß" erhalten und weiterentwickeln.

Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) und Sozialexperte Christoph Badelt sieht als Festredner neue Herausforderungen für die Sozialpolitik. Vor allem der präventive Charakter - von Bildung über Gesundheit bis zur Kinderbetreuung - werde wichtiger. Dafür werde wahrscheinlich auch mehr Geld notwendig sein: "Ich bin überzeugt, dass diese Ausgaben als Investitionen anzusehen sind."

Es gehe auch um eine "Neudefinition der sozialen Integration". Man müsse "wahnsinnig aufpassen", dass es nicht "zu einer Art Freund-Feind-Denken" und zu Gruppenbildungen in der Gesellschaft, die schaden und bis zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen könnten, komme. Zur Diskussion um Mindestsicherung oder zur Ausgleichszulage für Pensionisten fordert Badelt, man müsse in eine "offensivere Diskussion" einsteigen, wie viel Menschen zum Leben brauchen.

Nach dem Festakt geht es gleich zurück in die Realität - zum neuen Arbeitszeitgesetz. Nach dem Bekanntwerden von drei Fällen, bei denen die Freiwilligkeit für Arbeitnehmer beim 12-Stunden-Tag nicht eingehalten worden sein soll, wird in der Koalition über Verschärfungen nachgedacht. ÖVP-Klubchef August Wöginger erklärte der "Wiener Zeitung": "Wir schicken einmal das Arbeitsinspektorat aus." Dieses solle verstärkt gegen "schwarze Schafe" bei Unternehmen vorgehen. Offen ist aber noch, ob es auch gesetzliche Verschärfungen geben wird. Es gebe "unterschiedliche Wege". Man müsse anschauen, ob es zu Verschärfungen per Gesetz, Weisung oder Verordnung kommen soll, heißt es in der ÖVP.

Das Sozialministerium geht vorerst den publik gewordenen Verstößen nach. Ressortchefin Hartinger-Klein kündigte an, man werde danach mit der ÖVP über Verschärfungen sprechen.

Metallerlohnrunde: Ab Freitag könnte gestreikt werden

Das Arbeitszeitgesetz überschattet auch die Lohnrunde der Metaller. Metallergewerkschaftschef Rainer Wimmer drohte im ORF-Radio mit Streik, sollte es bei der nächsten Verhandlungsrunde an diesem Donnerstag zu keiner Einigung kommen.

Bis dahin kommt es zu rund 300 Betriebsversammlungen, um der Gewerkschaftsforderung nach einer Lohnerhöhung um fünf Prozent oder mindestens hundert Euro Nachdruck zu verleihen. Metall-Industrievertreter Christian Knill bezweifelt jedoch die Streikbereitschaft der Beschäftigten.